Manfred Ostertag (oben, Vierter von rechts) spricht drakonische Urteile: "zweimal das halbe Leben und ein Drittel des Kopfes!" Auch die Bürgermeister (Foto unten) lässt er ungeschoren nicht davonkommen. Das Narrengericht mit den Figuren Bäder, Hanswürste (links) sowie Zugführer und Platzmajor (ganz) unten) findet alle fünf Jahre statt. Foto: Archiv

Grosselfinger Narrengericht Grosselfingen findet nach fünf Jahren erstmals wieder Ende Februar statt.

Grosselfingen - Das Grosselfinger Narrengericht hat Seltenheitswert: Die Urteile werden nur alle fünf Jahre gesprochen. Narrenvogt Manfred Ostertag leitet die Gerichtsverhandlungen. Im Interview spricht er über das Strafen – und er erklärt, was es für dieses Grosselfinger Brauchtum bedeutet, dass es Immaterielles Kulturerbe der Unesco ist.

Herr Ostertag, wie gespannt sind Sie aufs Narrengericht?

Ich bin bereits sehr gespannt, vor allem auf die Delinquenten, die sich der hohen Gerichtsbarkeit stellen. Die Gerichtsverhandlungen sind eine sehr spannende Angelegenheit, da die Angeklagten in Grosselfingen vorher nicht wissen, welcher "Vergehen" sie beschuldigt werden.

Welchem Moment fiebern Sie am meisten entgegen?

Der ergreifendste und auch spannendste Moment im Narrengericht ist für mich der Sommervogelraub.

Für die Unwissenden: Erklären Sie doch, was es damit auf sich hat.

Eine Szene, die sich innerhalb kürzester Zeit abspielt und die es in sich hat. Wie der Verführer listig mit einem Trunk die Nestwache ablenkt und es so den Räubern überhaupt erst möglich macht, den Vogel zu rauben, ist schon sehr aufregend. Der schönste Moment dieses Spielteiles ist, wenn ich als "Vogt der Herrn" von Venedig nach erfolgter öffentlicher Gerichtsverhandlung den Stab breche und so das Leben den Räubern abspreche. Die Sentenz ist bekannt: es folgt der "Wassertod der Räuber".

Gnade sieht anders aus.

Selbst bei diesem harten Urteil zeigt das Grosselfinger Narrengericht aber noch seine wahre Größe, indem das Brunnenwasser durch die Bäder mit brennenden Strohwischen symbolisch erwärmt wird, der Brunnen brennt sozusagen. Besser kann man die verkehrte Welt des fastnächtlichen Spiels nicht darstellen. Dieser Spielteil zeigt auch die Axiome unseres Narrengerichts deutlich auf: Es ist dies der Kampf zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Recht und Unrecht, zwischen Gut und Böse.

Sie fungieren als Richter. Wie hart werden Ihre Urteile ausfallen?

Die Urteile können unter Umständen drakonisch ausfallen, die Höchststrafe ist ein Drittel des Kopfes und zweimal das halbe Leben. Meist verfallen die Angeklagten jedoch in eine Geldstrafe in Höhe der gesamten Barschaft! Da die Majore die Untaten schonungslos aufdecken, ist der Rat des Magistrats gefragt. Die Delinquenten können sich dann selbst verteidigen oder einen unserer Redmänner wählen. Stellen wir vor dem hohen Venezianischen Gericht fest, dass bei Delinquenten keinerlei Kommunikation zwischen den grauen Zellen und der Zunge besteht, können diese durch unsere anwesenden Doktore an Ort und Stelle untersucht und zur Heilung in eines unserer Venezianische Bäder eingewiesen werden.

Dieses Jahr steht eine Premiere an: Erstmals ist das Narrengericht immaterielles Kulturerbe der Unesco. Was bedeutet das für Sie?

Als immaterielles Kulturerbe der Unesco stehen wir noch mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Schließlich stehen wir jetzt kulturell auf einer Stufe mit beispielsweise den Festspielen Oberammergau.

Warum ist das Narrengericht immaterielles Kulturerbe geworden?

Die Gebrüder Martin und Simon Beck haben als erste erkannt, dass eine Eintragung ins Verzeichnis der Unesco als immaterielles Kulturerbe auch für historische Fasnetsbräuche möglich ist.

Woher wusste die Unesco, dass es in Grosselfingen ein Narrengericht gibt?

Martin und Simon Beck ist es mit meiner Unterstützung gelungen, in akribischer Kleinarbeit den Antrag korrekt zu stellen, sodass dieser tatsächlich mit lediglich kleinen Änderungen durch die Unesco-Kommission anerkannt wurde. Dies ist durch die Gebrüder Beck eine herausragende Leistung, die in Grosselfingen wohl kaum jemand anders zu Wege gebracht hätte.

Wird die Einhaltung der Unesco-Regeln geprüft?

Damit wir diese hohe Auszeichnung behalten, werden alle relevanten Angelegenheiten mit der deutschen Unesco mit Sitz in Berlin abgesprochen. So ist zum Beispiel die Verwendung des Unesco-Logos exakt vorgeschrieben. Selbstverständlich wird auf uns ein Auge geworfen, was aber kein Problem darstellt, denn wir werden das Narrengericht wie immer getreu unserer überlieferten Statuten abhalten. Schließlich haben wir ja bis jetzt alles richtig gemacht, sonst hätten wir diese bedeutende Urkunde nicht bekommen.

Und noch eine Premiere gibt es: Erstmals wird das Narrengericht vom neu gegründeten Kulturverein organisiert. Was muss da alles getan werden?

Der Kulturverein unterstützt die Bruderschaft bei der Planung und Vorbereitung des Narrengerichts. Damit kann sich die Bruderschaft auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren, dafür zu sorgen, dass das Narrengericht gemäß der Statuten abgehalten wird. Man kann es so ausdrücken: die Bruderschaft sorgt dafür, dass die Mitspieler sich gemäß ihrer Rolle verhalten und korrekt gekleidet sind und der Kulturverein sorgt dafür, dass diese und die Besucher gut verköstigt werden.

Narrenvogt zu sein, ist die größte Ehre, die einem Mitglied des Ehrsamen Narrengerichts zuteil werden kann. Aber ist es nicht auch eine Bürde, weil die ganze Verantwortung auf Ihren Schultern lastet?

In der Tat ist die Rolle des Narrenvogts die größte Ehre, die einem in der Bruderschaft zu Teil werden kann. Allerdings ist es bei weitem nicht so, dass die gesamte Verantwortung nur auf meinen Schultern lastet. Die Vorstandschaft besteht immerhin aus zwölf Personen und mir. Narrengericht ist echte Teamarbeit, da müssen alle an einem Strang ziehen. Die momentane Besetzung der Vorstandschaften im Narrengericht sowie Kulturverein Narrengericht ist ein wahrer Glücksfall für unsere gemeinsame Sache. Wir beschließen alle wichtigen Dinge gemeinsam. Außerdem haben wir auch junge Mitglieder in unseren Gremien, die neue Ideen zum Beispiel für das Bewirtungskonzept einbringen und so eine echte Bereicherung darstellen. Als eine Bürde sehe ich das nicht, denn letzten Endes bin auch ich ein Diener der Bruderschaft, der wie alle anderen immer sein Bestes gibt.

Wie sind Sie Vogt geworden?

Ehrlich gesagt konnte ich es selbst nicht glauben, dass dafür überhaupt für das Höchste Amt vorgeschlagen wurde. Im Narrengericht 1982 brauchte mein Vorgänger, Vogt Otto Karsch, ein großes Vorbild in dieser Rolle, einen Redmann für das Gericht. Eigentlich wollte ich damals Bäder werden, eine gleichfalls tolle Rolle im Spiel. Offensichtlich waren meine Verteidigungsstrategien und Reden so überzeugend, dass mein Talent sofort erkannt wurde. Otto Seifert, damals Major der Anklage, ansonsten ein großer Venezianer, der immer mit sehr viel Herzblut bei der Sache war, überredete mich dazu, mich der Wahl zu stellen.

Danach mussten sie gewählt werden.

Am 20. Juni 1982 wurde ich von der Generalversammlung mit überzeugender Mehrheit gewählt. Es war mir sofort klar, dass ich ab jetzt dazu bestimmt war, das Spiel in die nächste Generation zu tragen.

Das Spiel hat sich seither nicht verändert?

Um die restlichen Zweifel aus dem Weg zu räumen machte ich der Versammlung in meiner Antrittsrede sofort klar, dass in meiner Amtszeit das Spiel getreu den Überlieferungen weitergeführt wird. Sofort machte ich mich an die Arbeit über unser Narrengericht ein Büchle zu schreiben, in dem die Spielhandlungen und Rollen so exakt wie nie zuvor beschrieben sind, um nachträgliche Änderungen zu erschweren oder nach Möglichkeit ganz auszuschließen! Als Lektor fungierte damals Prof. Dr. Werner Mezger aus Rottweil, ein Kenner Der Fastnacht, der weit und breit seinesgleichen sucht.

Seite 2: Info

Das Narrengericht hat eine Tradition von mehr als 500 Jahren. Die Bruderschaft des Ehrsamen Narrengerichts zu Grosselfingen hat das in Deutschland einmalige Volks- und Heimatspiel originalgetreu bewahrt: In der Art wie es am Sonntag und Donnerstag, 24. und 28. Februar, stattfindet, wird es seit Jahrhunderten aufgeführt. Das Narrengericht tagt nur alle fünf Jahre. In einer Serie stellt der Schwarzwälder Bote in den Wochen bis zum Narrengericht die Facetten dieses seltenen Ereignisses vor.