Kann Rishi Sunak eine schwere Niederlage seiner Konservativen bei den näher rückenden Unterhauswahlen noch verhindern?
Im Zuge der drei parlamentarischen Nachwahlen, die diese Woche in England stattfanden, hat sich der Eindruck verstärkt, dass die regierenden Konservativen auf dem Weg zu einer schweren Niederlage sind bei den nächsten Unterhauswahlen. Bei allen drei Nachwahlen verloren die Tories Tausende von Stimmen – wiewohl es ihnen gelang, an Boris Johnsons früherem Wahlkreis Uxbridge knapp festzuhalten, aufgrund einer örtlichen Protestaktion gegen „grüne“ Politik.
Nachwahlen in unterschiedlichen Teilen Englands gelten als Stimmungstest
Die Nachwahlen, in ganz unterschiedlichen Teilen Englands, galten als weitläufiger Stimmungstest im Vorfeld der nächsten Unterhauswahlen, die fürs kommende Jahr erwartet werden. Im nordenglischen Wahlkreis Selby and Ainsty gelang der oppositionellen Labour Party dabei einer der bedeutendsten Nachwahlsiege seit dem Zweiten Weltkrieg: Sie erhöhte ihren Stimmenanteil von 25 Prozent auf 46 Prozent, während der Anteil der Konservativen von 60 Prozent auf 34 Prozent fiel.
Im südwestenglischen Wahlkreis Somerton and Frome, einer ländlichen Gegend, kamen wiederum die Liberaldemokraten auf 55 Prozent und vermochten ihren früheren Anteil so mehr als zu verdoppeln. Die Tories wurden auf weniger als die Hälfte ihrer vormaligen Stärke reduziert. Zahlreiche Labour-Wähler stimmten hier aus taktischen Gründen für die liberale Kandidatin, die im Oppositionslager die besten Chancen hatte. Unterm britischen Mehrheitswahlrecht zieht, wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, ins Unterhaus ein.
Strafgebühr für ältere Autos in Randbezirken Londons
Auch in Johnsons altem Wahlkreis Uxbridge and South Ruislip, am Nordwestrand Londons, verloren die Konservativen gegenüber den Unterhauswahlen von 2019 Tausende von Stimmen. Sie hielten aber, mit einer Mehrheit von 495 Stimmen, ganz knapp am Wahlkreis fest.
Kein Geheimnis machte der dort neugewählte Kandidat der Tories, Steve Tuckwell, aus dem Grund dieses Erfolgs: Tuckwell hatte sich vehement gegen den Plan des Londoner Labour-Bürgermeisters Sadiq Khan gestemmt, künftig auch in den Randbezirken Londons ältere Autos, die relativ viel Abgas produzieren, mit einer Strafgebühr von 12,50 Pfund pro Tag zu belegen. Das sei niemandem zuzumuten, hatte Tuckwell erklärt.
Im Nachhinein meinte dazu Labours Vize-Parteichefin Angela Rayner, dass die Gebühr an sich nicht falsch sei, die Regierung es aber an finanzieller Hilfe für eine zunehmend verarmte Bevölkerung beim Übergang zu umweltfreundlicherem Verhalten fehlen lasse: „Die Leute können es sich schlicht nicht leisten, ihre Autos gegen neuere Modelle auszutauschen.“
Konservative in einer schwierigen Situation
Regierungskritiker in Großbritannien befürchten, dass die Konservativen nun generell gegen „kostspielige“ Umweltpolitik mobilisieren und sich ein Beispiel an diversen Rechtsbewegungen in Europa nehmen könnten – und dass der Labour-Vorsitzende Sir Keir Starmer ehedem ehrgeizige grüne Ziele seiner Partei weiter herabstuft. Nicht schlecht schnitten derweil die britischen Grünen ab, die bei jeder der drei Nachwahlen drittstärkste Partei wurden. Kleineren Parteien wird aller Durchbruch im politischen Spektrum der Insel durch das Mehrheitswahlrecht erschwert.
Alles in allem finden sich Premierminister Sunak und seine Konservativen in der Folge der Nachwahlen in einer schwierigen Lage. Selbst weniger spektakuläre Stimmenverluste der Tories wie die in Uxbridge würden Labour bei einer Unterhauswahl genügen für eine absolute Mehrheit im Parlament. Die geradezu dramatischen Verluste in den anderen beiden Wahlkreisen weisen darauf hin, dass die Stimmung spürbar am Umschlagen ist überall im Land.
Die Liberaldemokraten glauben, nun wieder ihre traditionelle Basis im englischen Südwesten festigen und den Konservativen Mittelstandswähler abspenstig machen zu können, denen die Tories zu weit nach rechts gerückt sind in den letzten Jahren. Labour ist zuversichtlich, in den Arbeiterschichten Nord- und Mittelenglands Wähler zurück zu gewinnen, die bei Boris Johnsons „Brexit-Wahlen“ von 2019 zu den Konservativen „übergelaufen“ waren.
Hoffnungen in den Premier sind enttäuscht worden
Verantwortlich für den gegenwärtigen Stimmungsumschwung sind, wie auch Sunak und seine Minister wissen, vor allem die angespannte wirtschaftliche Lage, die noch immer rekordhohen Lebenshaltungskosten, enorme Haushypotheken-Zinsen, der Niedergang der öffentlichen Dienste und zunehmende Ernüchterung in vielen anderen Bereichen. Sunak selbst wird vorgeworfen, seine zu Jahresanfang gegebenen Versprechen zur Besserung der Lage nicht einhalten zu können.
Die aufseiten der Tories in Sunak gesetzten Hoffnungen sind weithin bitterer Enttäuschung gewichen. Dem Regierungschef, klagen auch konservative Kommentatoren, fehle es „an Ehrgeiz und an Vision“.
Parteistrategen hoffen nun, dass die „Auffrischungsmaßnahme“ einer Regierungsumbildung, eine „zündende Rede“ Sunaks beim Konservativen Parteitag im Oktober und ein attraktives Programm in der „King´s Speech“, der von König Charles zu verlesenden Regierungserklärung im November, Sunak die Chance zu einem Neustart geben und eine Wahlniederlage in letzter Minute verhindern oder zumindest das Ausmass der drohenden Niederlage verringern können.
Sunak könnte im Herbst ein Misstrauensantrag drohen
Mit der an diesem Wochenende beginnenden Sommerpause des Parlaments hofft die Regierung erst einmal Zeit zum Atemholen zu finden und in ruhigere Gewässer zu steuern. Bis zum Herbst, kalkuliert man in Downing Street, könnte zumindest die Inflationsrate von gegenwärtig knapp 8 Prozent weiter sinken – auch wenn Experten warnen vor unwägbaren Entwicklungen in nächster Zeit.
Schon die schweren Verluste bei den landesweiten Kommunalwahlen im Mai haben freilich viele Tory-Abgeordnete zu der Schlussfolgerung geführt, dass die nächsten Wahlen mit Sunak nicht zu gewinnen sind. Vier Dutzend Tory-Parlamentarier haben bereits erklärt, dass sie 2024 nicht mehr antreten werden. Sie suchen neue Jobs.
Andere behalten sich vor, Sunak im Herbst noch durch einen Misstrauensantrag in der Fraktion abzulösen. Und auch wenn nur die wenigsten ein Comeback Boris Johnsons für denkbar halten: Johnson selbst hält sich, hinter den Kulissen, für den Fall der Fälle bereit.