Die Kontraste zwischen den Farben am Boden und der Eis-Welt am Fjord sind so unerwartet wie frappierend. Foto: Eichler

Es gibt gute Gründe, um nach Grönland zu reisen. Eis und Farben des Landes sind zwei besonders schöne. Manchmal verschwindet die Farbenpracht im Nebel. Doch wenn der Blick wieder frei wird, ist man überwältigt.

Wie im Horrorklassiker „The Fog“ schleicht sich der Nebel an. Heimtückisch. Lautlos. Pfeilschnell. Wo eben noch polarkalte Morgensonne die bunten Häuschen von Ilulissat zum Leuchten und die Eisbergfront am Horizont zum Glitzern gebracht hatte, frisst jetzt eine graue Masse Natur und Menschen. Fakt jedenfalls ist: Der geplante Hubschrauberflug zum Eisfjord fällt aus - wenn kein Wunder passiert. Aber danach sieht es nicht aus. Bleibt also nur das Städtchen Ilulissat, in dem sich 4000 Menschen mit ebenso vielen Schlittenhunden ganz passabel eingerichtet haben. Nach einer Stunde sind alle Souvenirshops abgeklappert. Wurden Bilder bewundert von pastellfarben schimmernden Eiskolossen in der Mitternachtssonne, die man so nie selbst vor die Kamera bekommt. Wurde das Knut-Rasmussen-Museum unter die Lupe genommen, das dem Polar- und Grönlandforscher ein liebevolles Andenken setzt. Wurde einer schläfrigen Café-Bedienung mühsam ein Imbiss aus dem Kreuz geleiert. Wurde um einen Tupilak gefeilscht, eine aus Walrosszahn oder Rentierknochen geschnitzte groteske Figur.

Die Landschaft begeistert

Inzwischen ist es früher Nachmittag, und ganz langsam wird es lichter. „Lasst uns eine Wanderung machen“, schlägt Maiken vor. Die Studentin aus dem dänischen Aarhus jobbt jeden Sommer für eine ortsansässige Agentur und begleitet vor allem deutsche Gäste zu den touristischen Highlights der Diskobucht. Eine Wanderung? In Grönland? „Keine Sorge“, beruhigt die nette Dänin, „wenn wir was sehen, werdet ihr begeistert sein.“ Also los. Von Ilulissats altem Heliport geht es hinaus auf die Strümpfe in Richtung Eisfjord. Dieser wurde von der Unesco 2004 als Weltnaturerbe klassifiziert und ist die wohl bedeutendste touristische Attraktion Grönlands. 45 Kilometer lang und gefüllt mit gigantischen Eisbergen, die der Kangia, der produktivste Gletscher der Nordhalbkugel, unermüdlich gebärt. Diese treiben gemächlich in Richtung Meer, bis sie an der Mündung des Eisfjordes stranden. Dort nämlich stoppt sie ein Riff, etwa 250 Meter unter der Meeresoberfläche. Hier nun bleiben sie liegen, wochen-, ja monatelang, bis sie so weit abgeschmolzen sind, dass sie die Barriere überwinden. Obwohl es nur zwei Kilometer Luftlinie sind von der Stadtmitte bis zum Fjord, ein Spaziergang ist es nicht. Das Terrain ist rau, es geht bergauf, bergab, mitunter verschwindet der Weg im Geröll. Ein Friedhof wird passiert, bevor man absteigt in eine kleine Bucht. Am Strand warnen Schilder vor Tsunamis.

Die Aufmerksamkeit der Gruppe jedoch gehört längst etwas anderem. Denn das erhoffte Wunder stellt sich ein: Der Nebel hat sich verflüchtigt, die Sicht wird klar, die Sonne sendet erste strahlende Signale. Binnen Minuten verändert sich das unwirtliche Land, bekommt Konturen und - noch viel erstaunlicher - es bekommt Farbe. Der bis dato trübselig graue Boden beginnt regelrecht zu leben - in tiefen warmen Tönen. Vor der umwerfenden Eisbergkulisse strahlen Flechten plötzlich in einem dunklen Rembrandt-Rot. Moose zeigen sich. Ganze Baumwollgras-Armeen salutieren mit strahlendweißen Puschelhelmen, während Kolonien krokusartiger Blümchen jede Menge gelbe Tupfer auf die Palette sprenkeln. Ein Farbrausch, der umso mehr überwältigt, weil er so unerwartet kommt. Maiken setzt noch eins drauf. Wie aus dem Nichts hält sie plötzlich einen formidablen Pilz in den Händen. Vorbei an jahrtausendealten Siedlungsresten und an nur von Eingeweihten auffindbaren Gräbern gelangt man schließlich zum Eisfjord. Zeit zum Picknick, befindet Maiken und zaubert aus dem Rucksack eine Thermoskanne, Kekse, Schokolade und Weintrauben. Ein paar Steine dienen als Sitz, die Wetterjacken als Unterlage. Es ist richtig warm geworden inzwischen, die Sonne wärmt den Rücken und jene einzigartige Szenerie, an der sich keiner in der nächsten Stunde sattsehen wird: Eis, so weit das Auge reicht. Eisberge, Eistore, Eishöhlen, Eiszinnen, Eiswände - und all das von einer Größe und Erhabenheit, über die man nur Bauklötze staunen kann.

Infos zu Grönland

Grönland

Anreise

Air Greenland fliegt täglich von Kopenhagen nach Kangerlussuaq (4,5 Stunden), von dort starten kleinere Maschinen zu den zehn Inlandsflughäfen. Flugzeit bis Ilulissat ca. 45 Minuten. Preis für Hin- und Rückflug ca. 4000 DKK (535 Euro).

Unterkunft

Der Klassiker in Ilulissat ist das Hotel Arctic mit prächtigem Blick auf den Eisfjord. Neben Hotelzimmern stehen auch einige Iglu-Hütten als Unterkunft auf dem Areal zur Verfügung. Das DZ mit Frühstück kostet in der Sommer-Hochsaison 270 Euro, ein Iglu 200 Euro; www.hotel-arctic.gl

Informationen

Greenland Tourism, www.greenland.com/de, www.greenland-guide.gl, www.worldofgreenland.com