Messungen unserer Zeitung zeigen: Das Volksfest hält neue Grenzwerte mehr oder weniger ein. Foto: Michele Danze

Das Volksfest darf nicht lauter sein als 80 Dezibel. Mit diesem Grenzwert will der Gemeinderat das Lärmproblem in Wohngebieten am Wasen entschärfen. Doch wird der Grenzwert eingehalten? Unsere Zeitung hat selbst gemessen – mit teils überraschenden Resultaten.

Stuttgart - Der Lärm von Volksfest und Frühlingsfest ist seit 2012 ein Politikum. Aus Sorge, dass ein künftiges Wohngebiet auf dem Areal des alten Güterbahnhofs für bis zu 450 Wohnungen am Wasen-Lärm scheitern könnte, hat der Gemeinderat im März 2012 Lärmobergrenzen beschlossen: In den Festzelten dürfen seitdem 90 Dezibel (dB) nicht mehr überschritten werden; auf den Straßen zwischen Zelten, Karussells, Fahrgeschäften und Buden dürfen es nicht mehr als 80 Dezibel sein.

Halten sich Wirte und Schausteller an die Grenzwerte? Gelingt es der städtischen Tochtergesellschaft in.Stuttgart als Festveranstalterin, die neuen Obergrenzen zu kontrollieren und durchzusetzen?

Messmethode

Unsere Zeitung hat die Lautstärke des Volksfestes am 2. Oktober zwischen 14 und 24 Uhr auf dem Festplatz und im Wohngebiet Veielbrunnen gemessen. Das Messgerät wurde von einer Ingenieurfirma zur Verfügung gestellt. Es hat eine Genauigkeit von plus/minus drei Dezibel und wird zum Beispiel von Konzertveranstaltern oder von Arbeitsmedizinern genutzt.

Die Messpunkte lagen bei den Fahrgeschäften und Verkaufsständen auf der Mitte der Straße dem Geschäft gegenüber. In Festzelten wurden vis-á-vis der Bühne in rund 15 Meter Abstand gemessen. Im Wohngebiet wurde auf dem Gehweg zwischen zwei Häusern gemessen. Die Messungen unserer Zeitung ist stichprobenartig und situativ; die Ergebnisse sind nicht mit Messungen von Experten oder Gutachtern gleichzustellen.

Lautstärken Festzelte

In Grandls Hofbräu Zelt spielt die Band um 14 Uhr „Die kleine Kneipe“. Die Digitalanzeige des Messgeräts zeigt 82 dB. Alles im grünen Bereich. Um 14.20 Uhr im Fürstenbergzelt spielt die Band „Zicke zacke“. Messwert: 97,4 dB. Zu laut also. Am Abend gibt es kaum noch Unterschiede: Ob bei Grandl (Zeitpunkt der Messung: 20 Uhr/oberer Messwert: 99 dB), im Fürstenbergzelt (20.40 Uhr/86 dB ohne Musik), im Cannstatter Wasenzelt (23.10 Uhr/98 dB) oder beim Göckelesmaier (23.20 Uhr/98 dB) – überall wird der Grenzwert überschritten.

Lautstärken Fahrgeschäfte

Die XXL-Schaukel kommt um 14.10 Uhr auf bis zu 85 dB; der Gladiator um 14.30 Uhr auf 79 dB. Das ändert sich im Laufe des Abends: Ob beim Breakdancer (20.20 Uhr/bis zu 94 dB), der Achterbahn Teststrecke (20.30 Uhr/bis zu 89 dB), beim Booster Maxxx (20.35 Uhr/84 bis 86 dB) oder dem Megabooster (22.45 Uhr/ bis zu 88 dB) –viele Betriebe liegen am Grenzwert oder darüber. Das Karussell Flasher (21.05 Uhr/90 bis 100 dB) ist an dem Abend mit Abstand am lautesten. Hier mischen sich die Musik und die „Ab die Luzi, halleluja“-Sprüche des Ansagers zur dröhnenden Spaßbotschaft.

Dass auch Losbuden laut sein können, beweisen die Boutique (20.55 Uhr/82 bis 84 dB) oder der City Shop, wo es der Ansager mit Musikunterstützung um 22.55 Uhr auf bis zu 99 dB bringt. Das Karussell Shaker gegenüber kommt zur gleichen Zeit nur auf 88 dB. Dass ein vermeintlich lautes Fahrgeschäft deutlich leiser sein kann, zeigt sich beim Gokart. Als die Wagen über die Piste knattern, zeigt das Messgerät nur 78 bis 82 dB.

Lautstärken Festplatz

Auf der größten Freifläche bei der Fruchtsäule, wo vier Festzelte angrenzen, zeigt das Messgerät nachmittags 75 dB und eine Viertelstunde vor Mitternacht maximal 80 dB. Auch vor anderen Festzelten wird der Grenzwert von 80 dB selbst bei Hochbetrieb eingehalten. Der ruhigste Punkt auf dem rappelvollen Festplatz ist am Abend Bauers Blumenland. Vor dem Losverkauf zeigt das Messgerät lediglich 75 dB.

Lautstärken im Wohngebiet

Das Wohngebiet Veielbrunnen ist wenige Gehminuten entfernt; die beiden Riesenräder sind noch gut zu sehen. Doch hier wohnen Menschen. Zwischen 22 und 6 Uhr gilt hier ein Lärmgrenzwert von 45 Dezibel. Im neuen Wohnquartier, das noch näher beim Wasen liegen soll, will die Stadt nachts künftig maximal 30 Dezibel erreichen.

Am 2. Oktober 2012 ist man davon weit entfernt: Um 22.20 Uhr sind es im vorderen Teil der Reichenbachstraße 58–62 dB; in einem Hinterhof 58 dB. Als Fußgänger kann man beinahe die Liedtexte verstehen, die in den Festzelten gesungen werden. Auch die Martinshörner von Polizei- und Rettungsfahrzeugen, die in den Abendstunden beinahe im Minutentakt auf dem Festplatz ausrücken, sind aus der Ferne besonders laut zu hören. Erst zwei Querstraßen weiter, auf Höhe des Bellingwegs, wird es mit 50 dB auf dem Gehweg spürbar leiser.

Messungen der Profis

Das Ingenieurbüro Heine und Jud kontrolliert im Auftrag von in.Stuttgart bei den Wirten und Schaustellern die Einhaltung der Grenzwerte. „Wir messen unangekündigt und verdeckt“, erklärt Thomas Heine. Die Messgeräte der Sachverständigen zeigen Mittelwerte an, die über einen Zeitraum von mehreren Minuten erhoben werden. Außerdem werden sämtliche Nebengeräusche wie ein singendes Publikum, die Sirenen der Polizei oder die Motoren eines Karussells ausgefiltert. „Für uns ist maßgeblich, was aus den Lautsprechern kommt“, sagt Heine.

Reaktionen der Anwohner

„Obwohl der Wasen voll ist, ist das Volksfest 2012 bisher leiser als das Volksfest 2011“, sagt Andrea Knieß von der Anwohnerinitiative Veielbrunnen. Offenbar würden die Grenzwerte eingehalten. Wenn die Stadt am Ende des Volksfests die amtliche Lärmmessung vorlegt, will die Initiative entscheiden, wie sie weiterhin vorgeht. „Falls die Grenzwerte nicht eingehalten werden, könnte jeder Anwohner die Stadt auf Unterlassung verklagen“, erklärt der Rechtsanwalt Roland Kugler. Er würde den Fall im Zweifelsfall gerne vor Gericht klären. „Der Lärm ist eine Geißel in der Großstadt“, sagt Kugler.

Reaktionen der Stadt

„Unsere bisherigen Lautstärkemessungen zeigen, dass wir im Bereich der Festzelte sehr gut liegen“, sagt Andreas Kroll, Geschäftsführer von in.Stuttgart. Im Bereich der Fahrgeschäfte gebe es allerdings „einige Ausrutscher“. An diese Betriebe habe man bereits „gelbe Karten“ verteilt, sagt Kroll. Er bestätigt, dass die Messungen unserer Zeitung ein ähnliches Bild ergeben wie die professionellen Messungen im Auftrag der Stadt.

„Durch die neuen Lärmbeschränkungen hat das Volksfest deutlich an Qualität gewonnen“, sagt Kroll. Und die Kasse bei den Wirten und Schausteller stimme trotzdem. Krolls Fazit: „Laut ist nicht besser.“