Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist ein Freund der Atomkraft. Nun kündigt er an, neue Meiler bauen zu wollen. Das sorgt aber für Unmut in der EU. Foto: AFP/BERTRAND GUAY

Präsident Macron kündigt den Bau neuer Anlagen an und befeuert in der EU damit den Streit um die zukünftige Rolle der Kernkraft

Brüssel - Emmanuel Macron macht Nägel mit Köpfen. In der von ihm gewohnten Mischung aus Pathetik und politischer Dynamik verkündete der französische Präsident am Dienstagabend in einer Fernsehansprache den Bau von neuen Atomkraftwerken. „Um Frankreichs Energieunabhängigkeit zu gewährleisten, die Stromversorgung unseres Landes zu sichern und unser Ziel der Kohlenstoffneutralität im Jahr 2050 zu erreichen, werden wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Errichtung von Kernreaktoren in unserem Land wieder aufnehmen,“ sagte der Staatschef.

Ein Versprechen an das eigene Volk

Das ist nicht nur ein Versprechen an das eigene Volk, welches unter den steil ansteigenden Energiepreisen stöhnt, sondern auch eine deutliche Botschaft an Brüssel. Denn die EU hat für die nächsten Jahrzehnte den Kampf gegen den Klimawandel ausgerufen, doch über die dafür notwendigen Maßnahmen wird noch heftig gestritten. Im Raum steht auch eine Renaissance der Kernkraft, befürwortet vor allem von Frankreich, wo mehr als 50 Reaktoren Strom liefern. Weil diese Meiler praktisch kein CO2 verursachen, will Emmanuel Macron, dass auch die Atomenergie als nachhaltig eingestuft wird. Unterstützt wird er dabei etwa von Polen und weiteren osteuropäischen Ländern. Ohne Atomstrom könne die EU nicht wie geplant bis 2050 klimaneutral werden, argumentieren die Befürworter. Erneuerbare waren zwar laut EU-Kommission 2020 erstmals die größte Energiequelle in Europa. Aber sie stehen bisher nur für einen Anteil von 38 Prozent, während fossile Energieträger wie Kohle und Gas auf 37 Prozent kommen und die Atomkraft auf 25 Prozent.

Hektisches Treiben hinter den Kulissen

Die Aussicht auf eine Rückkehr der Atomenergie hat unter der Regie französischer Diplomaten hinter den Kulissen in Brüssel eine hektische Betriebsamkeit ausgelöst. Auf der Suche nach Verbündeten sind sie fündig geworden, denn inzwischen scheint eine Mehrheit der EU-Staaten überzeugt, dass die Atomkraft als nachhaltige Energie eingestuft werden und Teil der sogenannten Taxonomie werden soll.

Dabei handelt es sich um einen Rechtstext der EU-Kommission, der die Kriterien festlegt, ob ein Unternehmen ökologisch wirtschaftet. Natürlich wartet die mächtige französische Atombranche mit Sehnsucht auf dieses Zeichen, erhofft sie sich davon doch Milliardensummen. Denn sollte die Brüsseler Behörde Atomenergie in einigen Wochen als „nachhaltig“ einstufen, kommt das einer Empfehlung an die Finanzmärkte gleich, in Atomanlagen zu investieren. Auch würden dann natürlich auch Subventionen der EU in den Unterhalt der AKW fließen.

Ein Sieg der Atom-Befürworter

Vieles deutet inzwischen darauf hin, dass sich die Atombefürworter durchgesetzt haben. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte Atom wie Erdgas nach dem jüngsten EU-Gipfel in Brüssel Ende Oktober „stabile“, also zuverlässige Energiequellen, solange Europa seinen Strom nicht allein aus Wind, Sonne oder Wasserkraft erzeugen kann. Von diesem Ziel ist die EU noch weit entfernt.

Diese Formulierung hat nicht nur Frankreich gefallen, sondern auch Deutschland, wo es eine starke Lobby dafür gibt, Gas als Übergangstechnologie zu fördern, um die Stromversorgung nach dem geplanten Atom- und Kohleausstieg abzusichern. Dasselbe Problem haben auch die meisten osteuropäischen Länder, die noch heute vom Verfeuern schmutziger Kohle abhängig sind.

Auch Deutschland würde profitieren

Das heißt, Deutschland würde von dieser Taxonomie profitieren, doch die lauteste Kritik kommt ausgerechnet aus Berlin. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) stellt sich vehement gegen die Forderungen, die Atomenergie als nachhaltig einzustufen. „Wir wollen keine Atomenergie, wir halten sie nicht für nachhaltig, und wir wollen auch nicht, dass die EU das unterstützt“, sagte die geschäftsführende Ministerin. Atomkraft sei keine Lösung im Kampf gegen den Klimawandel. Das ist auch als sehr direkte Kritik an der noch amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu verstehen.

Auch Umweltschützer und Politiker wie der luxemburgische Energieminister Claude Turmes und der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold werfen Merkel vor, eingeknickt zu sein und auf ihrem wohl letzten EU-Gipfel im Oktober dem „Greenwashing“ von Atom und Gas zugestimmt zu haben. Auch für die geplante Ampel-Koalition in Deutschland birgt die Einstufung der Atomenergie als „grün“ einige Sprengkraft. Deshalb dürfte es auch kein Zufall sein, dass die Brüsseler Kommission ihren Taxonomie im November vorlegen will – noch vor der Berliner Regierungsbildung.