Lena probt für die Titelverteidigung Foto: dapd

Der Eurovision Song Contest hat sich verändert. Das ist nicht zuletzt Lenas Verdienst.

Düsseldorf - Der Eurovision Song Contest hat sich verändert. Er ist keine uncoole Veranstaltung mehr, die man nur ironisch sehen kann. Daran ist Lena Meyer-Landrut nicht ganz unschuldig.

"Die Eurovision ist so etwas ähnliches wie ein großes schwedisches Möbelhaus", erklärte Lena Meyer-Landrut vor kurzem in einem Interview. Und weiter: "Man weiß, wo die Küchenabteilung und wo die Lampenabteilung ist. Es ist irgendwie das Gleiche. Nur mit anderen Ländern, Kulturen und Menschen." Um in dem - zugegeben etwas schiefen - Bild zu bleiben: Meistens klappt es dann zuhause mit dem Regalaufbau doch nicht so, wie man sich das vorher in der Theorie ausgemalt hat.

Deshalb kann man sich nur wünschen, dass alle Buchmacher mit ihren Prognosen (Lena auf Platz sechs! Frankreich vorne!) falsch liegen - und dass am Ende eine Überraschung wartet. Am Samstagabend schauen viele Menschen aus 55 Ländern auf Deutschland, auf Düsseldorf und summen mit bei Paradise Oskars Lied "Da Da Dam".

Beim Eurovision Song Contest geht es eigentlich um das Lied

Es geht bei einem Sangeswettbewerb natürlich um eine gute Stimme und einen tollen Auftritt. Es geht aber auch um Sympathie, um große Momente, um kleine Patzer, um das alles, was man eben nicht planen und einstudieren kann. Und es geht: um das Lied. Das sagt schon der Begriff "Song" im Namen des ESC. Es ist ein Liedwettbewerb, dieser Eurovision Song Contest, der früher Grand Prix Eurovision de la Chanson genannt wurde.

Es geht um die Lieder und ihre Geschichte. Allesamt sind es doch bunte Blubberblasen, die meistens schnell zerplatzen, manchmal aber auch in die Geschichte eingehen wie etwa Udo Jürgens' "Merci Chérie" (1966), Sandie Shaws "Puppet On A String" (1967), Abbas "Waterloo" (1974) oder Nicoles "Ein bisschen Frieden" (1982). Und auch Lenas Lied "Satellite", das zu Beginn durchaus etwas Erfrischendes hatte. Vermutlich hat Lena mit ihrem recht spartanischen Auftritt im vergangenen Jahr auch etwas geändert am großen Grand-Prix-Spektakel, das ja immer auch von Trash und Kitsch, dem Einsatz von Windmaschinen und jeder Menge Pyrotechnik lebte.

Lena bringt den Wandel

Mit Lena wurde es anders. Sie sang in einem kleinen schwarzen Kleidchen, tänzelte sympathisch unbeholfen über die Bühne und lebte das Popmädchen-Märchen zumindest für über einen Sommer. Es ist natürlich ein hehres Wagnis, den Titel verteidigen zu wollen. An diesem Samstag tritt sie mit dem Lied "Taken By A Stranger" an, das durchaus ein mutiger Elektropopsong ist. Vielleicht zu wenig eingängig für die Eurovisions-Zuschauer, könnten manche unken. Zu wenig kitschig für die Fans, die den ESC nicht erst seit vergangenem Jahr verfolgen.

 Künstlerisch ist es jedoch einer der spannendsten Beiträge. Für die wieder einmal schlichte Show hat sich Lena ein paar Backgroundtänzerinnen engagiert, die mit ihren Ganzkörpergummianzügen an Kylie Minogues artifizielles "Can't Get You Out Of My Head"-Video erinnern. Es gibt schlechtere Ideen. Lenas Stärke ist aber das Andere - nicht das Einstudierte: ihre scheinbar naive Art, das fröhliche, lockere Auftreten. Nicht die Choreographie und das Tamtam.

Diese Weniger-ist-mehr-Variante wählen in diesem Jahr gleich mehrere Teilnehmer. Die Schweizerin Anna Rossinelli beispielsweise, eine ehemalige Straßenmusikantin, hat genau jenen smarten, unverbrauchten Charme, mit dem Lena im vergangenen Jahr die Zuschauerherzen eroberte. Ihr Song ist sympathischer Jazzpop, der niemandem weh tut.

Lena will in die Top Ten - "Auf jeden Fall"

Finnland gilt als einer der Favoriten. "Da Da Dam" ist ein schönes, ironisches Gitarren-Liedchen. Doch für jeden Zuschauer ohne Englischkenntnisse ebenso funktioniert. Das finnische Bübchen, das sich Paradise Oskar nennt, singt für ein bisschen Umweltschutz, so wie Nicole einst von "Ein bisschen Frieden" sang und hält dabei ebenfalls nur eine Gitarre in der Hand.

Dann sind da etwa noch sechs Isländer, die eine altmodische Nummer namens "Coming Home" darbieten. Die Geschichte dahinter berührt: Eigentlich sollte der Sänger Sjonni Brink für das kleine Eiland antreten. Doch im Januar 2011 starb er an einem Hirnschlag. Heute singen seine Freunde für ihn seinen Song und schafften es damit überraschend ins Finale.

Bei all den ernstzunehmenden Künstlern mit den oft sogar selbst geschriebenen Liedern gibt es aber auch die klassischen ESC-Nummern, die überdreht, überpathetisch oder einfach nur einen Tick zu viel sind. Spanien tritt mit einer fröhlichen Hupfdohlen-Nummer an, Ungarn hält die Kitsch-Eurodance-Pop-Fahne hoch. Frankreich wagt sich mit einem Opern-Sänger an den Start. England belebt für den Wettbewerb die Boygroup Blue wider. Und wir haben Lena. Mindestens Top Ten sei ihr Ziel, sagt sie in einem Interview. Dann zieht sie eine ihrer Lena-Schnuten und fügt an: "Auf jeden Fall."