Rund 1400 Jahre hat der oder die Tote in der Erde gelegen – der benachbarte Ort hieß vermutlich damals schon Lutilinga. Foto: Kistner

Lautlingens Boden ist geschichtsträchtig; Bauherren können ein Lied davon singen. Das Landesamt für Denkmalspflege hat dieser Tage vorsorglich auf Hirnau sondiert, wo ein Gewerbegebiet entstehen soll. Und wurde fündig.

Albstadt-Lautlingen - Zwei Wochen lang haben Mitarbeiter des Landesdenkmalamts unter Leitung von Marc Heise, dem Leiter des Referats für operative Archäologie, mehrere Meter breite Grabungsschneisen durch die Wiesen im Gewann Stetten, dem nordöstlichen Teil des künftigen Gewerbegebiets Hirnau, gezogen und mit dem Bagger Grasnarbe und Humus abgetragen, um an den sogenannten "gewachsenen Boden" zu gelangen. Dort hofften sie, anders als im Humus, auf vor- und frühgeschichtliche Siedlungsspuren zu treffen. Die Spekulation ist fundiert: Die Wasserscheide, die Eyach und Schmiecha, Rhein und Donau, Atlantik und Mittelmeer trennt, hat seit jeher ihre Anziehungskraft auf Menschen ausgeübt, die Siedlungsraum und Bauland suchten. Die Römer etwa platzierten ihre Kastelle mit Kalkül auf den Passhöhen; im Zollernalbkreis kann man sich sowohl in Hausen als auch in Lautlingen davon überzeugen.

 

Sie waren nicht die ersten. Die Archäologen sind, fast erwartungsgemäß, in den fünf, sechs Meter breiten, bis zu 100 Meter langen und knapp einen Meter tiefen Gräben auf sogenannte Pfostenlöcher gestoßen, kreisförmige Verfärbungen im Erdreich, deren dunklere Farbe organisches Material anzeigt. Stellenweise erkennt man Pfostenreihen, letzte verbliebene Spuren einer Hauswand, deren Pendant sich außerhalb des Grabens unter dem Rasen befinden muss. Aus welcher Zeit die Löcher stammen, darüber geben sie selbst keinen Aufschluss. Dafür die allgegenwärtige Keramik: Wer gräbt, stößt zuoberst auf den – so Heise – unvermeidlichen "mittelalterlichen Fundschleier", der seine Existenz der Gewohnheit der mittelalterlichen Menschen verdankt, ihre Abfälle auf den Feldern zu entsorgen. Weiter unten folgen der Reihe nach Römer, Kelten und schließlich die sogenannte Urnenfelderkultur zwischen 1200 und 800 vor Christus. Die Pfostenlöcher auf Stetten stammen aus dieser Zeit. Wie groß die Siedlung auf der Wasserscheide war, lässt sich im Zuge einer Sondierungsgrabung, die sich auf Stichproben beschränken muss, nicht ermitteln – möglicherweise nicht ganz klein.

Die Grabräuber waren zuerst da

Spektakuläre Grabfunde darf man sich von einer Epoche, die "Urnenfelderzeit" heißt, nicht erhoffen. Umso größer war die Überraschung, als an einem der letzten Grabungstage Nachricht aus einer der Schneisen kam: "Wie haben ein Grab." Keine frühgeschichtliche Bestattung, sondern, wie der Fachmann rasch erkannte, eine frühmittelalterliche: Rückenlage, von Ost nach West ausgerichtet, zwei grünlich schimmernde Flecken im Brustbereich, deren Form sie als Reste von Bronzefibeln auswies – hier lag ein Alamanne oder eine Alamannin aus der Zeit um 600 nach Christus. Geschlecht, Alter, eventuell Gesundheitszustand oder gar Todesursache wird der Anthropologe in Tübingen anhand der mittelprächtig erhaltenen Skelettreste ermitteln müssen; die Funde lassen keine Rückschlüsse zu; dazu sind sie zu spärlich. Nicht dass der Tote arm gewesen wäre: Die Almandineinlagen der beiden Fibeln konnte sich seinerzeit nicht jeder leisten; der Halbedelstein wurde aus der Himalayaregion importiert. Aber das Grab ist "antik beraubt"; was immer es an Waffen respektive Schmuckstücken enthalten haben mag, ist verschwunden. Zwei im rechten Winkel zueinander gebohrte Grabungsschächte indizierten den Archäologen, dass sie zu spät kamen – womöglich war der Leichenschmaus noch im Gang, als die Grabräuber an die Arbeit gingen.

Der Stichprobe folgt eine große Grabung

Was geschieht nun mit dem Grabungsgelände? Der Tote ist noch am Fundtag, dem Donnerstag, nach Tübingen abgereist; die Gräben mit den Pfostenlöchern schüttet der Bagger wieder zu. Aber die Archäologen kommen wieder – wenn nicht die vom Landesdenkmalamt, dann die Experten einer von der Stadt beauftragten privaten Firma, die immer mehr Notgrabungen übernehmen. Wobei die bevorstehende größere Grabung, die Aufschluss darüber geben könnte, wie groß die Lautlinger Urnenfeldersiedlung war und ob es sich beim Alamannengrab um eine Einzel- oder Reihenbestattung handelt, keine hastige Kampagne in letzter Minute werden soll – laut Lautlingens Baubürgermeister Udo Hollauer wird das Bebauungsplanverfahren "Hirnau" noch einige Zeit dauern; mit dem Auslegungsbeschluss rechnet er nicht vor dem nächsten Sommer. Für solide archäologische Arbeit bleibt also noch Zeit.