In 103 Salons können Spieler in Stuttgart auf ihr Glück warten. Foto: dpa

Fast wie einst die Pest im Lande breiten sich in Stuttgart offenbar die Spielhallen aus.

Stuttgart - Fast wie einst die Pest im Lande breiten sich in Stuttgart und anderen Städten die Spielhallen aus. Inzwischen gibt es in der Landeshauptstadt 103 Spielsalons, vor einem Jahr waren es nach sprunghafter Zunahme 75. Die Ordnungsbehörde der Stadt sieht mehr denn je den Gesetzgeber gefordert.

Könnte er ums Eck sehen, würde Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) das unaufhaltsame Vorrücken der Spielhallen von seinem Bürofenster aus betrachten können. Nur einen guten Steinwurf weit entfernt hielt in der Steinstraße ein Spielcasino Einzug, wo jahrzehntelang das Teppichhaus Ateschrang Perserteppiche feilgeboten hatte. Die Draufsicht wird Schairer zum Glück durch andere Gebäude verstellt. Aber die Anzeichen einer dramatischen Entwicklung mehren sich.

Ob im Stuttgarter Westen oder in Wangen, ob in Bad Cannstatt oder in Zuffenhausen: Das Problem ist fast in allen Stadtteilen, ganz sicher aber in allen Stadtbezirken von Stuttgart angekommen. Diese Entwicklung lässt zwar schon längst die Alarmglocken der Ordnungsverwaltung schrillen, doch die Lage wird immer prekärer.

1999 hatte es in ganz Stuttgart noch 13 Spielhallen gegeben. Im Oktober vergangenen Jahres waren es 75, Mitte Mai dieses Jahres 88, und im Moment weiß die Stadtverwaltung von 103 Einrichtungen. Zusammen mit anderen Einrichtungen bringen sie es auf 2900 Spielgeräte, denn auch in Gaststätten und Internet-Cafés stehen immer mehr Automaten. "Es vergeht kein Tag, ohne dass eine Anfrage kommt, was man tun muss, um ein Spielgerät aufstellen zu dürfen", sagen Stefan Braun und Sandra Böhme von der zuständigen Abteilung des Ordnungsamts. Bei vielen Kneipiers gilt die Faustregel, dass drei Automaten die Pachtzahlung absichern - was man sonst noch einnimmt im Lokal, bleibt nach Abzug der Kosten und Steuern als Verdienst übrig.

Aber auch bei den Spielhallen lasse sich noch kein Ende des Aufwärtstrends absehen, sagt Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU). Der Markt sei offenbar noch nicht gesättigt. Außerdem sind manche Suchtexperten davon überzeugt, dass das Angebot in diesem Genre sich eine Nachfrage schafft. In Deutschland gebe es rund 290.000 Spielsüchtige, sagt Schairer, "für viele führt die Sucht in den Ruin".

Marienstraße ist ein Sorgenkind

Wo die Spielhallen Einzug halten, geht es aber auch mit dem Handel in den betroffenen Straßen abwärts und verändern sich die Nachbarschaften, klagen Bezirks- und Kommunalpolitiker sowie Verwaltungsmitarbeiter auch in Stuttgart. Dabei haben manche Standorte schon vorher eine Stärkung nötig, weil sie für Einzelhandelskunden wegen zu viel Kettenlokalen und Kettenläden uninteressant wurden. Ein solches Sorgenkind in der Stadt: die Marienstraße, immerhin die Fortsetzung der Einkaufsmeile Königstraße in Richtung Stuttgart-West.

Die Möglichkeiten des Ordnungsamts, die Spielautomaten zu verhindern, sind sehr begrenzt. Seit der Liberalisierung der Spielverordnung im Jahr 2006 ist in Spielhallen ein Geldspielgerät pro zwölf Quadratmeter zulässig, früher waren es 15 Quadratmeter. Die Höchstzahl der Geräte pro Spielhalle wurde von zehn auf zwölf hochgeschraubt. In Gaststätten sind heute drei Geräte möglich, früher waren es zwei.

Die Gewinnmöglichkeiten pro Gerät und Stunde sowie die Verlustmöglichkeit wurden zwar strenger geregelt, doch das werde durch bestimmte technische Ausgestaltung der Geräte unterlaufen, beobachten die Ordnungshüter. Und mancherorts, wie im Fall der Marienstraße, werden mehrere Spielhallen nebeneinander beantragt, um die zahlenmäßige Begrenzung der Spielgeräte-Zahl auszuhebeln. Wer mit den Bestimmungen zurechtkommt und ein sauberes Führungszeugnis hat, kann von den Behörden zumindest in den Kernzonen kaum gebremst werden. Das Betreiben von Spielgeräten gilt als freies Gewerbe.

Immer wieder versucht die Stadtverwaltung daher, mit Veränderungssperren auf Bauanträge für Spielhallen zu reagieren. Das kann funktionieren, aber nur mit großem Aufwand. Denn binnen kürzester Zeit müssen dann Bebauungspläne erlassen werden, in denen Spielhallen ausgeschlossen sind. Städtebaubürgermeister Matthias Hahn warnte die Stadträte jetzt aber vor dem Irrglauben, dass dies zum generellen Verfahren überall im Stadtgebiet tauge. Auf die Verwaltung würde eine riesige Arbeit zukommen, zumal sie auch für die Umgebung das Baurecht neu bestimmen müsste. In Ortskernen wie dem von Möhringen, wo viel Altbestand vorhanden ist, käme das einer Herkulesarbeit gleich. Dennoch prüft die Verwaltung, ob mit dem Mittel des Baurechts stärker gegengesteuert werden kann.