„Ich bevorzuge nach Möglichkeit Medikamente, die natürliche Bestandteile haben“. Das sagen immerhin 20 Millionen Menschen in Deutschland. Foto: fotomania61

Die Homöopathie spaltet die Ärzteschaft. Es gibt viel Trennendes und wenig Versöhnendes. Ein Klärungsversuch.

Manchmal kann es sich Jürgen de Laporte selbst nicht erklären: etwa bei der jungen Versicherungsangestellten, die ihn wegen eines ausgeprägten Hautekzems unter den Achseln aufgesucht hat. Sie war deswegen schon bei diversen Fachärzten gewesen – ohne Erfolg, wie die junge Frau erzählt. Das Ekzem war nach wie vor da. De Laporte, ein Internist mit Zusatzausbildung Homöopathie, nahm sich Zeit. Er untersuchte sie gründlich nach internistischen und hausärztlichen Vorgaben und verschrieb ihr nach einer homöopathischen Erstanamnese Globuli, die ihr mit ihren Symptomen dauerhaft helfen sollen.

 

Zeit ist bei homöopathischen Behandlungen ein wichtiger Faktor

Wenn er einen Patienten homöopathisch behandelt, wartet er erst einmal sechs bis acht Wochen ab und schaut, was passiert. „Auch wenn sich der Gesundheitszustand stark gebessert hat, glaube ich erst einmal an gar nichts“, sagt er. Dann könne der Fortschritt immer noch dem Placebo-Effekt zugeschrieben werden. Schreitet der Heilungsprozess länger als sechs Monate voran, dann kommt auch de Laporte zu der Überzeugung: „Da muss doch irgendetwas dran sein – auch wenn ich es nicht erklären kann.“

Kritiker erklären Heilerfolge mit Placeboeffekt

Es sind Krankheitsgeschichten wie diese, die der Homöopathie einen Platz in der modernen Medizin sichern sollen – und ihn zugleich infrage stellen. So prägt seit etlichen Jahren ein erbitterter Glaubensstreit die Gesundheitsrepublik Deutschland. Homöopathie wirkt natürlich, sagen die Befürworter. Allerdings gibt es keine klaren wissenschaftliche Belege, dass diese Heilmethoden verlässlich mehr hervorrufen als einen Placebo-Effekt. Die kann es auch gar nicht geben, zeigen sich die Kritiker überzeugt. Schließlich sind die Wirkstoffe so stark verdünnt, dass sie oft gar nicht mehr nachweisbar sind.

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Krankheit als innere Störung des gesamten Körpers

Zwei Jahrhunderte ist es her, dass die Homöopathie von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann entwickelt wurde – in einer Zeit, in der das Wissen über das, was im menschlichen Körper vor sich geht, noch dürftig war. Nach der sogenannten Vier-Säfte-Theorie galt Krankheit als ein Missverhältnis von Blut, Schleim, Schwarzer und Gelber Galle. Mithilfe von Aderlässen, Abführ- und Brechmitteln sollte es wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Dazu wurden giftige Gemische verordnet, die auf Arsen und Quecksilber basierten.

Hahnemann hingegen fasste Krankheit als eine innere Störung des gesamten Körpers auf. So wird es im Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung vermittelt, die Hahnemanns Nachlass aufbewahrt. Fieber, Schmerz oder Entzündungen wertete er als Symptome. Somit gilt ein Mensch der Hahnemannschen Lehre nach erst als gesund, wenn sein Organismus ihn befähigt, auf krankmachende Reize seiner Umwelt ausgleichend zu reagieren. Das Ziel der homöopathischen Behandlung besteht also darin, das Gleichgewicht mithilfe einer Arzneimitteltherapie wiederherzustellen.

Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden

„Similia similibus curantur“ – Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden: So lautet seither das Grundprinzip der Behandlung. Seine Arzneimittel stellte Hahnemann selber her. Die Ausgangsstoffe wurden mit Alkohol verschüttelt oder mit Milchzucker verrieben und dabei immer weiter verdünnt.

Heute sind Homöopathika in Deutschland gefragt wie nie: Ende vorigen Jahres stimmten in einer Umfrage der Verbrauchs- und Medienanalyse (Vuma) hochgerechnet mehr als zehn Millionen Menschen der Aussage „Ich bevorzuge nach Möglichkeit Medikamente, die natürliche (pflanzliche, homöopathische) Bestandteile haben“ voll und ganz zu. Etwa 20 Millionen gaben an, Homöopathika den konventionellen Arzneimitteln vorzuziehen. Demnach ist das Lager der Befürworter gegenüber den Umfrageergebnissen vier Jahre zuvor noch einmal deutlich gewachsen. Dazu beigetragen haben positive Heilerfahrungen und der Glaube an die bessere Verträglichkeit der Mittel.

Placeboeffekte gibt es auch in der konventionellen Medizin

Placebo-Effekte sollten nicht unterschätzt werden. Diese sind biophysiologisch genauso real wie die Effekte von Pharmazeutika. Sie wirken selbst bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Immunerkrankungen, Magengeschwüren und Parkinson. Auch in der konventionellen medizinischen Therapie gehören Placebo-Effekte dazu. Metastudien bewerten den Anteil auf bis zu einem Drittel.

Mangels handfester Belege sehen sich die gesetzlichen Krankenkassen im Zwiespalt: Homöopathie gehört nicht zu ihrem Leistungskatalog. Stattdessen erstatten viele von ihnen den Versicherten einen Teil der Kosten als freiwillige Leistung. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte verweist auf Studien, die nahelegen, dass der Körper auf Homöopathika reagiere – etwa bei Begleitbehandlungen nach Brustkrebsoperationen. Er fordert aber auch mehr Lehrstühle, die sich dem Diskurs öffnen.

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Glaubensstreit schreckt junge Mediziner ab

Für die ärztlichen Vertreter der Homöopathie – von denen es in Deutschland rund 7000 gibt – zählen vor allem ihre Praxiserfahrungen. Es sei ja nicht so, dass man mit dem Erlangen der homöopathischen Weiterbildung seinen gesunden Menschenverstand und seine Kenntnisse sowie Erfahrungen aus der leitlinienbasierten Medizin auf dem Stand von 2022 hergegeben hat, befindet die Internistin Silke Wegeleben, die in Stuttgart eine Praxis für Innere Medizin und Homöopathie führt. Doch dieser Eindruck werde ihr und gleichgesinnten Kollegen von den Vertretern der konventionellen Medizin häufig vermittelt.

Es sei tragisch, dass in dieser Kontroverse vor allem die jungen Mediziner abgeschreckt werden, sich mit der Homöopathie eingehender zu beschäftigen, sagt die Ärztin. Denn dabei würden sie merken, dass die Dosisfrage bei Globuli & Co. längst nicht das einzige Charakteristikum der homöopathischen Therapie sei: „Das entscheidendere Prinzip ist, dass man nicht nur die Erkrankung, sondern vielmehr den gesamten Menschen mit seiner Erkrankung behandelt.“ Den Patienten in Gesprächen und Untersuchungen „sehr genau wahrzunehmen“, ist Wegelebens Bemühen.

Behandelt wird integrativ, nicht ausschließlich homöopathisch

So sehen sich die Vertreter alternativer Behandlungsformen im steten Selbstverteidigungsmodus. „Als homöopathische Ärzte sind wir doch längst in der modernen Medizin angekommen“, betont Jürgen de Laporte, der als Vizepräsident der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg auch ein führender Vertreter der ärztlichen Selbstverwaltung ist. Behandelt werde integrativ, nicht ausschließlich homöopathisch. „Gerade weil wir einer fundierten medizinischen Anamnese und einer individuellen Einschätzung jedes Krankheitsbildes und jedes Patienten so viel Bedeutung beimessen, sagen wir: Die Homöopathie gehört in ärztliche Hand.“

Landesärztekammer überlegt, Homöopathie als Weiterbildung zu streichen

Dass der Grundsatzkonflikt auch die Landesärztekammer erfasst hat, kann da kaum noch überraschen: Im November wurde der Antrag eingebracht, die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung zu streichen. Im Juli will der Vorstand darüber entscheiden, ob er diesem stattgibt und damit den Kammern in zwölf weiteren Bundesländern folgt, wo das Streichkonzert bereits stattgefunden hat.

Für den Münsteraner Kreis – einen Zusammenschluss von Medizinern, Ethikern und Juristen mit Expertise in komplementärer und alternativer Medizin, deren Kritik sich insbesondere gegen die Homöopathie richtet – sind solche Entscheidungen folgerichtig: Dies würde viele Patienten künftig vor „Scharlatanerie und falschen Therapien“ schützen. „Es zeigt sich, dass auch die Ärzteschaft vor evidenzfreien Glaubenskonzepten nicht gefeit ist“, sagt der Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke von der Universität Bremen, der dem Münsteraner Kreis angehört und das Buch „Der Glaube an die Globuli“ über falsche Versprechen der Homöopathie geschrieben hat.

Kritiker lehnen weitere Forschung ab

Er findet es befremdlich, dass es von Harvard bis zur Universitätsklinik München im „Establishment“ der Forschung und Ausbildung Befürworter von Homöopathie und anderen ähnlich unwirksamen Verfahren gibt, wie er meint. „Es erstaunt, welche ‚Klimmzüge’ unternommen werden, um doch eine spezifische Wirksamkeit der Homöopathie für denkbar zu halten und weitere Forschung zu fordern.“ Dabei sollte allein der Blick auf die beiden Kernannahmen der Homöopathie reichen, um die Analogie zum Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ zu ziehen: „Aber er hat ja gar nichts an“, so Schmacke.

Selbst das Argument, wo nichts drin ist, schade es ja auch nicht, lassen Homöopathie-Kritiker nicht gelten: Im Jahr 2017 kam ein internationaler Verband an Wissenschaftlern zu dem Schluss, dass die Homöopathie sehr wohl gesundheitsschädlich sei – nämlich immer dann, wenn eine wirksame Therapie verzögert oder unterlassen wird. Hinzu komme, dass Homöopathie ein unwissenschaftliches Denken fördere.

Impfskeptiker sind eher im Lager der Homöopathie zu finden

In der Coronapandemie hatte dies offenkundig einen besonderen Effekt: Die große Impfskepsis in der Bevölkerung hat nach Meinung der Ostbayrischen Technischen Hochschule in Regensburg auch mit der Homöopathie zu tun. Wer an alternative Medizin, Naturheilkunde und die Wirksamkeit von Globuli glaubt, verweigere eher eine Schutzimpfung – auch gegen Corona, lautet das Fazit einer repräsentativen Studie. Demnach sind Personen, die regelmäßig zum Arzt gehen und nicht an alternativen Heilverfahren hängen, eher impfbereit.

Es gibt Versuche, den Grabenkampf zu schlichten

Reicht das aus, um die Gretchenfrage nach der Legitimität integrativer Heilmethoden abschlägig zu beantworten? Aus der Gesundheitspolitik gibt es Versuche, die Grabenkämpfe zu schlichten und die Medizin zum Wohle der Patienten neu zu denken – etwa indem untersucht wird, wie die konventionelle Medizin durch sogenannte sanfte Heilmethoden ergänzt werden könnte.

Auch wächst die Zahl der Krankenhäuser im Land, die ihren Patienten ein erweitertes Angebot unterbreiten wollen. Insbesondere in der Onkologie und der Palliativmedizin entstehen Integrative Abteilungen, die Naturheilkunde und die Mind-Body-Medizin mit den durch Leitlinien vorgegebenen Therapien kombinieren. Im Jahr 2019 wurden an der Universitätsklinik Tübingen die Weichen für eine Professur für Naturheilkunde und Integrative Medizin gestellt. Dabei sollen Strömungen wie Homöopathie oder Anthroposophie zwar nicht im Mittelpunkt der Forschung und Lehre stehen, aber innerhalb der Lehre beleuchtet werden.

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Forschungsprojekte sollen die integrative Medizin untersuchen

Zudem gibt es das sogenannte Kompetenznetz Integrative Medizin Baden-Württemberg, kurz „KIM“, das von der Landesregierung unterstützt wird. Rund ein Dutzend Kliniken, darunter Unikliniken wie Ulm und Mannheim, sowie Gesundheitseinrichtungen wollen wirksame und sichere Behandlungskonzepte aus dem Bereich der integrativen Medizin erarbeiten.

Daran nimmt auch die Filderklinik teil – ein Krankenhaus in Filderstadt, das seit Jahrzehnten seinen Patienten komplementäre Behandlungen der anthroposophischen Medizin zukommen lässt: Angebote wie Heileurythmie oder Kunsttherapie, Wärmebehandlungen wie Hyperthermie und naturheilkundliche Verfahren wie Fußbäder, Leberwickel oder spezielle Bewegungstherapien. Viele anthroposophische Medikamente, aber auch homöopathisch potenzierte Mittel können zum Einsatz kommen – „stets ergänzend, nie ausschließlich“, betont der Ärztliche Direktor der Filderklinik, Stefan Hiller.

Wissen über traditionelle Gesundheitspraktiken nicht ausblenden

Die Schulmedizin hat aufgrund ihrer Evidenz Priorität. „Aber die Komplementärmedizin kann die konventionellen Verfahren ergänzen.“ Ganzheitliche Ansätze seien geeigneter, um Zugang zu den Patienten zu bekommen. Gerade bei Krebserkrankungen habe sich dieses Vorgehen bewährt.

Was die konventionelle Medizin von der Homöopathie lernen kann

Letztlich sollten bei allen Grabenkämpfen diejenigen nicht außer Acht gelassen werden, um die es eigentlich geht: die Patienten. Praktisch allen ist es wichtig, dass sie sich von ihrem behandelnden Arzt ernst genommen fühlen – dass er sich etwas Zeit nimmt, was der effizienzgesteigerte Gesundheitsapparat aber kaum erlaubt. Zumindest in diesem Punkt kann man von der Homöopathie lernen, weil Anhänger und Gegner gleichermaßen feststellen: Menschen, die sich in der konventionellen Medizin gut aufgehoben fühlen, halten eher nicht nach weiteren Heilmethoden Ausschau.