Neun Protestanten aus der Kirchengemeinde Stammheim-Holzbronn wagen den Selbstversuch: Bis Ostern üben sie sich in Verzicht. Scheitern ist möglich – und „nicht schlimm“, meint Pfarrer Rottach.
An Aschermittwoch beginnt die Zeit des Verzichts: die Fastenzeit. Bis Ostern wird verzichtet – knapp sieben Wochen oder gut 40 Tage lang. Für Christen geht es dabei um mehr als eine Diät. Aber um was genau? Auf was verzichten sie und warum? Eine Fastengruppe aus der evangelischen Kirchengemeinde Stammheim-Holzbronn lässt uns teilhaben an ihren Erfahrungen.
Nachhaltigkeit spielt große Rolle
Fasten spielte bisher keine allzu große Rolle in seiner Kirchengemeinde, berichtet Pfarrer Philipp Rottach. Wohl aber das Thema Nachhaltigkeit. Einen entsprechenden Ausschuss gebe es seit ein paar Jahren. „Ziel ist es, Menschen für die Bewahrung der Schöpfung zu sensibilisieren und konkrete Aktionen anzustoßen, die Schöpfung zu bewahren.“ In den vergangenen Jahren seien so auch Aktionen umgesetzt worden. „In diesem Jahr ist uns das Nachhaltige unserer Nachhaltigkeitsarbeit wichtig geworden: Machen wir nur schöne Aktionen, oder verändert es die Menschen, Einstellungen, Verhaltensweisen?“, erklärt Rottach.
So kamen die Protestanten auf das Thema „Verzicht“. Doch Verzicht habe leider einen negativen Klang. „Man hört darin Verbot und Einschränkungen, Quälerei und geringere Zufriedenheit.“ Das wolle die Kirchengemeinde Stammheim-Holzbronn mit ihrer Fastenaktion umdrehen und „Verzicht als etwas Heilsames und Schönes entdecken, das Lebensqualität herstellen kann“, erläutert der Pfarrer. Dazu passt die Jahreslosung: „Prüft alles und behaltet das Gute.“
„Fasten soll Christen eine besondere Zeit für und vor Gott ermöglichen.“ Denn wer auf etwas verzichte, der schafft bestenfalls Freiräume – zum Beten oder zum Hören auf Gott, erläutert der Theologe. Dabei gehöre zum Fasten auch die „Selbstprüfung vor Gott und die Umkehr“.
Keine Selbstgeißelung, sondern Neuausrichtung
Allerdings verzichten christliche Faster ja auch gerne mal auf Süßigkeiten oder Alkohol. Dasselbe tun Menschen, die mit dem Verzicht ihrer Gesundheit etwas Gutes tun wollen. Was also ist der Unterschied? „Eine Diät verändert (im besten Fall) den Körper“, meint Rottach. „Fasten will unsere Seele verändern und eigentlich unser ganzes Leben.“ Aus seiner Sicht ist es deshalb wichtig, sich bewusst zu halten, warum man faste.
Allerdings gehe es weder um einen Wettbewerb, noch um Selbstgeißelung. „Fasten dient ja der inneren (Neu-)Ausrichtung. Und die hängt nicht an einzelnen Genussmitteln, Ausrutschern oder gescheiterten Vorhaben“, findet Philipp Rottach.
Da könne es auch gut sein, dass die Faster nicht durchhalten oder mancher doch anders handele, als er sich das vorgenommen hatte. „Das ist nicht schlimm. Wir wollen den Verzicht ja als etwas Schönes und Wertvolles entdecken.“
Welche Erfahrungen die Faster aus der Kirchengemeinde Stammheim-Holzbronn machen, das berichten sie in lockerer Folge immer wieder bis Ostern.
Johannes „Joe“ Schwarz (54) ist Architekt und wohnt in Stammheim. Er hat sich für die Fastenaktion ein sportliches Ziel gesetzt: Seit Herbst hat er ein E-Bike und ist begeistert, wie viele Alltagsfahrten sich damit erledigen lassen. „In den sieben Wochen vor Ostern will ich versuchen, sämtliche beruflichen und sonstigen Alltags-Termine ohne Auto zu absolvieren.“
Jana Heer ist 17 Jahre alt (rechts) und Abiturientin, die 18-jährige Lena Schwarz Raumausstatterin. „Wir haben gemeinsam beschlossen, Social Media zu fasten beziehungsweise im Konkreten Instagram, TikTok, Youtube und ähnliche Streamingplattformen“, erklären die Stammheimerinnen.
Diana Hörmann aus Stammheim ist 43 Jahre alt und arbeitet als Assistenz der Gemeindeleitung im Pfarramt. Hörmann hat ihren Fastenselbstversuch unter das Motto „Sieben Wochen – sieben Bekleidungsstücke“ gestellt und sich vorgenommen, auf Neukäufe zu verzichten und weniger zu waschen – das kommt auch der Umwelt zugute. Sie wolle durch klare Vorgaben und begrenzte Möglichkeiten Zeit und Überlegungen einsparen. „Ich löse mich durch das Fasten über einen bestimmten Zeitraum bewusst von Gewohnheiten, sammle dadurch neue Erfahrungen und muss mich im Durchhalten und einer Art Unbequemlichkeit üben“, schreibt die 43-Jährige. In früheren Jahren hat Diana Hörmann bereits auf Alkohol und Süßigkeiten verzichtet.
„Mit der Fastenzeit denke ich auch an die Leidenszeit Jesu. Wenn ich faste, lebe ich bewusster, übe mich in Dankbarkeit und versuche, meinen Blick wieder mehr auf Gott zu richten.“
Stephanie Hoevels arbeitet als Waldpädagogin und hat sich vorgenommen, in der Fastenzeit auf Übermüdung zu verzichten, berichtet die 46-Jährige. „Ich werde mein ungesundes Schlafverhalten ablegen.“
Philipp Rottach
hat sich vorgenommen, dieses Mal beim Fasten die Stille zu suchen – zum einen in der Natur, zum andern durch den bewussten Verzicht auf „Berieselung“, etwa durch Musik, Podcasts, Radio oder Fernsehen. In der Vergangenheit waren es eher Süßigkeiten oder Alkohol, die er wegließ.
Ralf Baral (70) bezeichnet sich als „Rentner im Multitasking-Modus“. Die Fastenzeit ist für ihn „wie ein Sprung aus dem Hamsterrad der gewohnten Abläufe“.
Susanne Fischer ist 48 Jahre alt, verheiratet und Mutter von drei Kindern. Die Landschaftsarchitektin arbeitet nach vielen Jahren in ihrem Beruf derzeit als Assistenz der Gemeindeleitung in der Kirchengemeinde.
Julian Hoevels
will in der Fastenzeit auf sein Smartphone verzichten. Lediglich 30 Minuten am Tag will sich der Stammheimer erlauben, um Nachrichten zu beantworten. Der Sog des Smartphones tut ihm nicht gut und lenkt oft vom Wesentlichen im Leben ab, meint der 45-jährige Beamte.