Die Angst vor Untoten, die sich aus ihren Gräbern erheben und als Wiedergänger durch die Welt der Lebenden geistern, ist tief im Unterbewusstsein der Menschen verwurzelt. Eine Reise durch Religion, Ethnologie und Kulturgeschichte.
Der Aberglaube an Untote ist uralt – und existiert bis heute. Dass Verstorbene ruhelos seine können, davor fürchteten sich Menschen seit es Bestattungsriten gibt.
Belgische Archäologen um Johan Claeys von der Katholischen Universität Löwen waren im März 2023 bei Ausgrabungen in der antiken römischen Stadt Sagalassos auf ein Grab gestoßen, das die Angst vor der Rückkehr jener widerspiegelt, die nicht ordentlich begraben worden oder eines unnatürlichen Todes gestorben waren. Ihre Studie veröffentlichten sie im Fachmagazin „Antiquity“.
Seltsame Art der Bestattung
Das Grab in der Ausgrabungsstätte im Südwesten der Türkei unweit des heutigen Ortes Ağlasun in der Provinz Burdur enthielt die verkohlten, nicht vollständig verbrannten Knochen eines Mannes. Das Alter der Überreste datierten die Forscher auf die Zeit zwischen 100 und 150 n. Chr.. Was diese letzte Ruhestätte archäologisch so interessant macht, ist die Art der Bestattung.
Die Totengräber hatten eine Reihe von rituellen Maßnahmen getroffen, die man in der Altertumswissenschaft bisher so noch nicht kannte. An den Rändern des Scheiterhaufens lagen 41 gebogene und verdrehte Nägel verstreut. Zudem waren 24 Ziegelsteine sorgfältig auf den noch schwelenden Scheiterhaufen gelegt worden, über den eine Schicht Kalkputz geschüttet wurde.
Drei Arten der Versiegelung
„Diese Bestattung wurde nicht auf eine, nicht auf zwei, sondern auf drei verschiedene Arten verschlossen“, schreibt Johan Claeys in der Studie. „Das kann durchaus als Versuch verstanden werden, die Lebenden vor diesem Toten zu beschützen – oder umgekehrt.“
Obwohl jede dieser Praktiken von antiken römischen Friedhöfen bekannt ist – Einäscherung direkt vor Ort, Bedeckung mit Kacheln oder Gips, verbogene Nägel als magische Talismane –, haben Archäologen diese drei Rituale noch nie in dieser Kombination nachweisen können. Nach Ansicht Claeys deutet das Begräbnis auf eine besondere Angst vor einem „ruhelosen Toten“ hin, der in einem Wiedergänger-Grab“ bestattet wurde.
„Unabhängig davon, ob der Tod des Mannes gewalttätiger Natur, krankheitsbedingt oder das Ergebnis einer Bestrafung war“, urteilen die Wissenschaftler in ihrer Studie, „es spricht vieles dafür, dass die Hinterbliebenen Angst davor hatten, dass er mit Rachegedanken aus dem Reich der Verstorbenen zurückkehren könnte.“
Glaube an Wiedergänger und Untote in der Geschichte weit verbreitet
Von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit war der Aberglaube weit verbreitet, dass die Untoten aus der Gemeinschaft der Lebenden und Toten ausgeschlossen und dazu verdammt sind auf Erden umher zu wandeln.
Der französische Ethnologe Michel Leiris beschreibt diese Wiedergänger in seinem Buch „L’Afrique Fantôme“ („Phantom Afrika“, 1934) als „Individuen, die man künstlich in einen Scheintodzustand versetzt, beerdigt, dann wieder ausgegraben und geweckt hat und die infolgedessen folgsam wie Lasttiere sind, da sie ja gutgläubig annehmen müssen, dass sie tot sind“.
Leiris fand Hinweise auf Untote im haitianischen Voodoo-Kult und in der Religion der Yoruba, einem Volk im Südwesten Nigerias. Im zwar christianisierten, aber immer noch von heidnischen Bräuchen durchtränkten Leben der Haitianer besitzen Voodoo-Hexer und Priesterinnen die geheimnisvolle Fähigkeit, Lebende mit einem Fluch zu belegen, so dass sie scheintot sind.
Nekrophobie – die Angst vor den Untoten
Die Angst vor den Untoten lässt sich auch psychologisch erklären. Nekrophobie – das Gegenteil ist Nekrophilie, die Liebe zum Tod und zu Toten – ist eine spezielle Art der Phobie, die sich in einer krankhaft übersteigerten Angst vor Toten und toten Dingen wie Leichen, Kadavern oder Mumien ausdrückt.
Die Betroffenen haben eine regelrechte Höllenangst vor der Nähe zu Sterbenden, Friedhöfen und Krankenhäusern.
Bizarre Begräbnisriten
Im bulgarischen Sozopol am Schwarzen Meer fanden Archäologen vor einigen Jahren ein Skelett aus dem 13. Jahrhundert, dass mit Eisenpfählen und Nägeln in der Brust an den Sarg festgenagelt war. Ein anderer Knochenmann, der in einem bulgarischen Kloster entdeckt wurde, war an Händen und Füßen gefesselt.
Auch in anderen Gräbern in Südeuropa ist man Leichen gestoßen, denen die Glieder zertrümmert, die Sehnen durchtrennt, das Herz gepfählt, Erde in den offenen Mund geschoben oder Kreuze auf die Brust gelegt worden waren.
In der englischen Ortschaft Southwell fanden Archäologen 2012 ein Grab aus der Zeit 550 bis 700 n. Chr., das auf einen Wiedergänger-Begräbnisritus schließen lässt. Dem Toten waren Pfähle in die Schultern, das Herz und die Knöchel getrieben worden. Vermutlich in der Absicht, dass der so Fixierte seine Ruhestätte nicht mehr verlassen kann.
Angst vor Wiedergängern
Solche Funde deuten nach Ansicht von Anastasia Tsaliki auf bizarre Begräbnisriten hin, die von der Angst vor einer Wiederkehr der Toten angetrieben wurden. Die griechische Archäologin, die an der englischen Durham University lehrt, hat sich intensiv mit dem Phänomen der Wiedergänger-Gräber beschäftigt.
Anastasia Tsaliki zufolge gibt es natürliche Erklärungen dafür, dass sich Tote im Grab regen. Der Leichnam kann sich durch bakterielle Fäulnisvorgänge in seinem Inneren aufblähen. Eilig zugescharrt kann es sein, dass plötzlich ein Hand aus dem Grab ragt. Die Verwesung kann dazu führen, dass sich im Magen- und Darmtrakt Gase bilden, die entweichen und wie schmatzende Geräusche klingen.
Ein Utensil aus allseits bekannten Gruselfilmen, dass auf Wiedergänger und Untote schließen lässt, haben Forscher bisher allerdings niemals gefunden: die für Vampire so unentbehrlichen spitzen Eckzähne.