Zum Dankeschönabend hatten sich die Sängerinnen der aufgelösten Beerdigungschors Glatten nochmals getroffen. Bürgermeister Tore-Derek Pfeifer (links) und Pfarrer Reinhard Sayer (rechts) dankten für diesen Dienst der Nächstenliebe. Foto: Günther Foto: Schwarzwälder Bote

Trauer: In Glatten singt kein Beerdigungschor mehr / Beim Dankeschönabend zum Abschied werden viele Erinnerungen wach

Glatten. Eine fast 100-jährige Tradition ist zu Ende gegangen: Bei Trauerfeiern in Glatten singt kein Beerdigungschor mehr. Er hat sich aufgelöst. Bis zuletzt waren mehr als 20 Sängerinnen im Chor aktiv, einige davon waren über 60 Jahre lang pünktlich bei jeder Beerdigung dabei. Die Auflösung hat demografische Gründe. Trotz eindringlicher Suche wurden keine neuen Sängerinnen gefunden.

Bereits im Frühjahr entschlossen sich die Sängerinnen gemeinsam mit Chorleiterin Renate Pusich-Kesselhut, den Chor aufzulösen. Ausschlaggebend war, dass auch der letzte und dringliche Appell, dass neue und vor allem jüngere Sängerinnen den Chor verstärken mögen, keine Resonanz fand.

Bei einem Dankeschönabend der Kirchengemeinde wurden nochmals die vielen gemeinsamen Stunden und Erlebnisse in Erinnerung gerufen. Heute kaum zu glauben: Wie die älteren Chorsängerinnen berichteten, wurden sie in der 8. Klasse geradezu zum Singen im "Leichenchor", wie der Beerdigungschor einst hieß, zwangsverpflichtet. Ab der Konfirmation gab es keine Ausrede mehr, zumal nun ein schwarzes Kleid vorhanden war.

Beerdigungen liefen damals nach einem heute ungewohnten Ritual ab. Bis 1972 wurden die Verstorbenen von ihrem Haus aus in einem großen Trauerzug zur Kirche gebracht; lange noch auf einem von zwei Pferden gezogenen Leichenwagen. Später ersetzte ein Auto das Pferdefuhrwerk. Anstrengend für die Sängerinnen war damals auch, dass sie zuerst zum Trauerhaus laufen mussten, bei der "Hammerschmiede" waren dies über zwei Kilometer, ehe es gemeinsam im Trauerzug zurück zur Kirche ging. Brauch war, dass der Beerdigungschor dem Fuhrwerk voran ging, dahinter lief der Pfarrer zusammen mit dem Sargschreiner, danach die Angehörigen und zum Schluss die teilnehmende Bevölkerung.

Pfarrer Reinhard Sayer: ein großer Verlust

Ein erschreckendes Erlebnis aus dieser Zeit ist den Sängerinnen bis heute in Erinnerung: An der Steilstelle der engen Niederhofer Straße scheuten einmal die Pferde, und die vorauslaufenden Frauen mussten sich schnell in Sicherheit bringen.

An der Kirchstraße angekommen, wurde jeweils zum ersten Mal vor der Linde gesungen. Welche Lieder erklangen, bestimmte damals der Chorleiter, diskutiert wurde nicht. Liedtitel wie "Im Grabe ist Ruh" oder "Lasst mich gehen" hören sich heutzutage eher ungewöhnlich an.

Dass für die Chorsängerinnen dieser Dienst am Nächsten viele Jahrzehnte lang selbstverständlich war, zeigten beim Dankeschönabend auch ihre pragmatischen Einschätzungen des Ehrenamts: "Sonst hätt’ in Glatten was gefehlt", "Ich bin doch sowieso fast zu jeder Leich’ gegangen" oder "Eine musste das doch machen." Selbstverständlich war es früher auch, dass die einheimischen Betriebe ihren Angestellten zum Beerdigungssingen frei gaben.

In den vergangenen Jahren gab es beim Beerdigungschor eine Änderung: Während früher der Dirigent allein für die Liedauswahl zuständig war, wurden unter den letzten beiden Dirigentinnen Inge Bayer und Renate Pusich-Keßelhuth die Lieder gemeinsam ausgesucht. Seither wurde auch viel Wert auf Ausflüge gelegt. Mehrmals standen die Freilichtspiele in Ötigheim, die Chrysanthema in Lahr und die Passionsspiele in Oberammergau auf dem Programm.

Pfarrer Reinhard Sayer bezeichnete beim Abschiedsabend die Auflösung des Beerdigungschors für Glatten als großen Verlust. Sei dieser doch nicht nur von den Abläufen einer Beerdigung her wichtig, sondern vor allem auch, weil damit Menschen, die in einer besonderen Notlage sind, in ihrer Trauer würdig begleitet werden. Für Sayer steht auch fest, dass die Botschaft der Lieder tiefer als gesprochene Worte wirken kann. Aber auch ihm als Pfarrer fehle der Chor sehr.

Im Namen der Chormitglieder dankte Marie-Luise Reich mit einem Blumengesteck Inge Bayer und Erna Weigold für die Arbeiten, die diese viele Jahre lang übernommen hatten. Für Heiterkeit sorgte sie mit einem Gedicht, in dem sie Stationen des Beerdigungschors wieder in Erinnerung rief: "Viele Jahre hent mir aus Achtung vor de Verstorbene ond de Angehörige zom Trost gsunga, hoffentlich isch uns des wenigstens manchmal au gelunga."

Für Heiterkeit sorgte auch der Lösungsvorschlag, den Bürgermeister Tore-Derek Pfeifer ob der Auflösung des Beerdigungschors parat hatte: Er könne zwar künftig zusammen mit dem Pfarrer auf Beerdigungen singen: "Ich glaube aber nicht, dass das Trost spenden wird." Wie Pfeifer betonte, werde der Beerdigungschor in der Gemeinde sehr vermisst: "Sie hinterlassen eine große Lücke." Nicht nur der feierliche Gesang werde schon jetzt in der Gemeinde vermisst, berichteten ehemalige Chormitglieder, sondern auch die lange, würdevolle Reihe der über 20 schwarz gekleideten Frauen, die vor der Gemeinde zum Grab schritten.