Das Klima in der Stadt habe sich verändert, sagt eine Studentin
Es sind wohl vor allem die Fragen, ob die beiden Gewaltverbrechen zusammenhängen oder nicht, ob es sich gewissermaßen um einen Serienmörder handelt, der noch immer frei umherläuft, oder ob die Taten vielleicht doch Beziehungstaten waren, die bei den Menschen in Freiburg und Umgebung seit Wochen für Verunsicherung sorgen. Das weiß auch Egetemaier, und auch, dass sich dieses Gefühl wohl kaum legen wird, solange nicht geklärt ist, was genau geschah. Im Moment sei alles denkbar, aber man arbeite mit Hochdruck an der Aufklärung, immer am Anschlag, denn schließlich müsse auch die alltägliche Polizeiarbeit irgendwie bewältigt werden. „Über die Region hat sich ein dunkler Schatten gelegt“, sagt der hochgewachsene Kripo-Chef, und auch ihn nimmt das sichtlich mit, schließlich gab es etwas Vergleichbares in seiner bald 40-jährigen Laufbahn bei der Polizei noch nicht.
Von diesem dunklen Schatten ist hier, in den kopfsteingepflasterten Altstadtgassen zwischen Münster, Schwabentor und Schlossberg in der Freiburger Innenstadt an diesem Tag nicht viel zu spüren. Vor der Universitätsbibliothek stehen ein paar Studierende in der Sonne, und auch vor der Mensa ist viel los. Gerade hat hier das sogenannte „Bändern“ bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, ein Trend, bei dem junge Leute Essensreste von den Rückgabebändern in der Freiburger Kantine nehmen, als Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft.
Aber der Eindruck täuscht, sagt eine Studentin, die Ereignisse hätten das Klima in der Stadt verändert. „Die Mordfälle sind ständig und überall Thema.“ Vor allem nachts sei die Anspannung spürbar, man traue sich nicht mehr ohne Bedenken alleine auf die Straße, jedenfalls nicht als Frau. „Wenn wir abends noch an der Uni sind, wird jetzt gefragt, wie jeder oder jede nach Hause kommt“, sagt die junge Frau, „das war vorher anders.“ Und viele ließen nun das Joggen sein, sagt eine Uni-Mitarbeiterin, oder gingen nur noch mit einem mulmigen Gefühl. „Ich schaue mir genauer an, wer entgegenkommt, und gucke ständig, ob jemand hinter mir ist“, sagt die 26-Jährige.
Die Nachfrage nach Pfeffersprays und Selbstverteidigungskursen in der Stadt ist hoch
Dass tatsächlich etwas anders ist in Freiburg, dass die Leute verängstigt sind, zeigt sich erst auf den zweiten Blick, hinter den Kulissen des Schwarzwald-Idylls, zum Beispiel in den Drogeriemärkten der Kette dm. Seit Wochen seien Pfeffersprays – oder besser: Tierabwehrsprays – hier quasi ständig ausverkauft, sagt ein Mitarbeiter der Filliale am Bertholdsbrunnen und deutet auf eine große Lücke im Regal, wo bestimmt 30 Spraydosen Platz hätten. Die Nachfrage nach Selbstverteidigungskursen, bestätigen mehrere Kampfsportzentren und die Volkshochschule, sei seit den Mordfällen enorm gestiegen. Die derzeitige Nachfrage pro Woche habe man zuvor nicht einmal pro Monat gehabt, heißt es von einem Zentrum.
Auch in dem kleinen Waffenladen von Egon Dietsche ist die Veränderung spürbar. Im Schaufenster des Geschäfts, abseits der großen Einkaufsstraßen im Erdgeschoss eines Wohnblocks, hängt ein einfaches Pappschild mit der Aufschrift „Pfeffersprays“. In einem Regal hinter der Kasse reihen sich duzende kleine und große, pinkfarbene und schwarze Spraydosen, daneben Packungen mit Elektroschockern und Reizgaspatronen. Natürlich, der Verkauf von Pfeffersprays sei spürbar gestiegen, sagt der Waffenhändler, aber Zahlen nennt er keine. Dietsche, grauer Schnauzer, kariertes Hemd, grüne Weste ist gegen Panikmache, und dass es Tierabwehrsprays inzwischen schon bei dm zu kaufen gibt, ärgert ihn. Schließlich sei es wichtig, dass man wisse, wie man sowas einsetze, sagt er. Ob die vielen verkauften Sprays nun auch vermehrt eingesetzt werden? Dietsche zuckt nur mit den Achseln, wünschen tut er es keinem. „Da geht es eher um etwas Psychologisches: Hat man das Spray in der Hand, gibt einem das ein Gefühl von Selbstsicherheit.“
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