Südwest-AOK-Chef Christopher Hermann über Reformen, Wettbewerb und Qualität im Gesundheitswesen. Foto: dpa

Die größte Südwest-Krankenkasse will mehr Direktverträge mit Kliniken, um mehr Wettbewerb über Qualitätsstandards zu erreichen – und freut sich über das Ende der Kopfpauschale.

Die größte Südwest-Krankenkasse will mehr Direktverträge mit Kliniken, um mehr Wettbewerb über Qualitätsstandards zu erreichen – und freut sich über das Ende der Kopfpauschale.

Herr Hermann, morgen verabschiedet das Bundeskabinett die Gesundheitsreform. Ein Grund zur Freude?
Ja, weil damit der einkommensunabhängige Zusatzbeitrag, die kleine Kopfpauschale, endgültig beerdigt wird. Aber das reicht noch nicht, um einen Wettbewerb hinzubekommen, der nicht über Preise, sondern über Qualität und Versorgung geführt werden muss. Versicherte sollten eine Krankenkasse wählen, weil sie eine gute Versorgung sicherstellt, nicht weil sie ein paar Cent billiger ist.
Auf welche Durchbrüche warten Sie denn noch, damit tatsächlich der Qualitätswettbewerb zwischen den Kassen beginnen kann?
Wir brauchen vor allem mehr Wettbewerb im Krankenhaussektor. Die Kassen müssen im Bereich von planbaren Operationen die Möglichkeit erhalten, mit qualitätsorientierten Kliniken oder Abteilungen Verträge zu schließen. Dies gilt nicht für die Notfall- oder Unfallversorgung. Wir wollen in die Lage versetzt werden, von der ambulanten Versorgung beim Hausarzt über die Fachärzte bis in die Kliniken und die Rehabilitation hinein Versorgungsketten organisieren zu können – und zwar streng nach Qualitätskriterien. Da geht es um optimale Übergänge und Informationsflüsse.
Wie soll das denn gehen?
Das geht nur über Reformen bei dem Riesenblock der Krankenhäuser. Dort entsteht ein Drittel der Ausgaben im Gesundheitswesen. Das ist weiter eine wettbewerbsfreie Zone.
Im Klartext: Sie wollen Direktverträge mit ausgesuchten Kliniken?
Ganz genau. Da muss die Koalition nun mutige Schritte tun.
Wird der Trend zum Abbau von Krankenhausbetten und Klinikschließungen weitergehen?
Alle internationalen Indikatoren weisen darauf hin, dass wir in Deutschland eine hohe Fehlversorgung haben: In einzelnen ländlichen Regionen schlittern wir womöglich in eine Unterversorgung hinein. Aber in Ballungsräumen gibt es jedoch viel zu viele Kapazitäten und zu wenig qualitätsorientierte Versorgung. Die AOK Baden-Württemberg würde gern mit Kliniken zusammenarbeiten, die mit uns entsprechende Qualitätsstandards vereinbaren und auch garantieren. Zur Wahrheit gehört dann auch: In einem solchen Prozess gäbe es natürlich auch Verlierer, die wir für eine sinnvolle Versorgung nicht mehr brauchen.
Die Reform der Koalition sieht auch eine Umstellung beim Krankengeld vor. Dazu gehört eine stärkere Berücksichtigung der tatsächlich entstehenden Ausgaben.
Dieser Entwicklung kann ich nichts abgewinnen. Sie geht in die falsche Richtung. Warum? Das Krankengeld ist abhängig von der Lohnhöhe des Versicherten. Wenn stärker die tatsächlichen Kosten vergütet werden, dann entstehen neue Anreize für die Kassen zur Risikoselektion. Es lohnt sich dann eben wieder mehr, sich massiv besonders um Versicherte mit hohem Einkommen zu bemühen. Auf der anderen Seite verlören die Kassen den Anreiz, etwas für die Versorgung zu tun. Und das ist nicht gut.
Wie werden sich die Beiträge entwickeln?
Die Schere zwischen Ein- und Ausgaben geht bei den Kassen wieder weiter auf. Insofern wird jede Kasse hohe Anstrengungen unternehmen müssen, um den heutigen Satz von 15,5 Prozent auch weiter zu halten. Alle werden das nicht schaffen. Einige werden zunächst etwas darunter bleiben, aber nur solange ihr Überschuss reicht.
Die AOK Baden-Württemberg auch?
Wir legen die Priorität seit langem auf eine gute Versorgung. Wir haben 2013 allein über 300 Millionen Euro in die hausarztzentrierte Versorgung investiert. Wir haben überhaupt keine Veranlassung, unser Finanzpolster damit zu plündern, kurzfristig ein Zehntel Prozentpunkt oder zwei runterzugehen. Das macht keinen Sinn. Wir wollen für einen vernünftigen Beitragssatz die beste Qualität liefern. Das ist für die Versicherten und Patienten viel wichtiger.
Wird das Kassensterben weitergehen?
Wenn Krankenkassen wirklich zum Mitgestalter des Gesundheitswesens werden sollen, geht das nur bei einer hinreichenden Gestaltungs- und Verhandlungsmacht. Wir brauchen große, leistungsfähige Kassen. Gestaltung von Versorgung geht nicht mit Minikassen. Sicher wird am Ende eher eine zweistellige Zahl von Kassen übrig bleiben.