In den Streit um einen Mindestlohn von 15 Euro funkt womöglich der Europäische Gerichtshof hinein. Der Gewerkschaftsbund zeigt sich vom Plädoyer des Generalanwalts beim EuGH für eine Rücknahme der EU-Mindestlohnrichtlinie überrascht.
Sie ist das Kernargument des Gewerkschaftsbunds (DGB) im Streben nach einer gesetzlichen Untergrenze von 15 Euro pro Stunde: die EU-Mindestlohnrichtlinie. Demnach gelten Mindestlöhne als angemessen, wenn sie mindestens 60 Prozent des mittleren gesamtwirtschaftlichen Lohns von Vollzeitkräften (Medianlohn) entsprechen.
Dänen und Schweden gehen gegen die Richtlinie vor
Allerdings steht die im Oktober 2022 vom Europäischen Rat angenommene Richtlinie nun plötzlich vor dem Aus. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) dringt Dänemark mit schwedischem Rückhalt auf ihre Beseitigung. Begründung: das Arbeitsentgelt ist im Grundlagenvertrag aus dem Zuständigkeitsbereich der EU ausdrücklich ausgenommen. Hintergrund der Ablehnung ist die sehr hohe Tarifbindung in den skandinavischen Ländern von etwa 90 Prozent. Ihrer Argumentation ist jüngst auch Nicholas Emiliou, der Generalanwalt beim EuGH, in seinen Schlussanträgen gefolgt: Die Richtlinie greife unmittelbar in das Arbeitsentgelt ein, befindet er – doch sei in diesem Bereich jegliche EU-weite Harmonisierung unzulässig.
„Wir sind alle überrascht darüber“, sagte DGB-Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell am Mittwoch bei einer Veranstaltung der Arbeitgebervereinigung BDA. Er habe sich aus dem Gerichtssaal berichten lassen, dass aber auch die Richter vom Plädoyer des Generalanwalts überrascht gewesen seien. In der Regel folge zwar der Gerichtshof dem Votum des Generalanwalts, doch habe es in der Vergangenheit auch schon in mehreren Fällen Entscheidungen gegen dessen Plädoyer gegeben. „Wir sind sehr dafür, dass die europäische Mindestlohnrichtlinie bleibt“, sagte Körzell. „Es darf in Europa nicht der Eindruck entstehen, dass sich ausschließlich um freien Handel, gute wirtschaftliche Beziehungen und alles, was damit zu tun hat, gekümmert wird – und bei den Löhnen wirtschaftet jeder so, wie er das gerade will.“ Denn dies „würde das Vertrauen in die Europäische Union zerstören“. Es brauche eine starke und geeinte EU mit guten Handelsbeziehungen und guten Löhnen.
Urteil im Laufe des Jahres zu erwarten
Zu Wochenbeginn hatte Körzell gesagt: „Wir sehen dem sehr gelassen entgegen.“ Der DGB sei der Meinung, dass der Europäische Gerichtshof ein Urteil fällen werde, dass die Richtlinie weiterhin Gültigkeit hat. DGB-Chefin Yasmin Fahimi ergänzte mit Blick auf die Mindestlohn-Kommission: „Selbst wenn die europäische Richtlinie vom EuGH gekippt wird, heißt das ja nicht, dass wir in Deutschland nicht unsere eigenen Kriterien festlegen können.“ Das Urteil des EuGH ist spätestens für den Herbst zu erwarten.