Wer schnelle Hilfe braucht, muss sie laut Gesetz auch bekommen – doch in der Praxis kommen Rettungswagen und Notärzte kaum noch hinterher Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Retter in Stuttgart haben zuletzt die gesetzlichen Vorgaben nicht einhalten können. Jetzt sollen zusätzliche Rettungswagen und ein weiteres Notarztfahrzeug Abhilfe schaffen. Nötig wäre das auch mancherorts in der Region – dort sind die Werte ähnlich.

Stuttgart - Nach großen Anstrengungen hat die Notfallrettung in Stuttgart zuletzt jahrelang funktioniert. Doch das hat sich geändert. Zehn, in Ausnahmefällen 15 Minuten dürfen in Baden-Württemberg vergehen, bis Rettungswagen oder Notarzt den Einsatzort erreichen. Dieses Zeitfenster muss in 95 Prozent aller Fälle eingehalten werden. In der Landeshauptstadt schafft man das inzwischen nicht mehr.

Bereits im vergangenen Jahr ist Stuttgart bei den Rettungswagen auf 94,2 Prozent gerutscht. Die Einwohnerzahl steigt seit Jahren – und genauso die Zahl der Einsätze. Obwohl seit Februar bereits ein zusätzlicher Rettungswagen im Einsatz ist, hat sich der Wert weiter verschlechtert. Im Juni 2016 lag er noch bei 93,18 Prozent. Die Notärzte kratzen gerade so an den Vorgaben. Im vergangenen Jahr kamen sie immerhin noch auf 95,4 Prozent – auch hier eine Verschlechterung.

Die Stadt muss deshalb reagieren. Ordnungsbürgermeister Martin Schairer – er wacht als Rechtsaufsicht über den Bereichsausschuss, in dem Krankenkassen und Rettungsorganisationen sitzen und die notwendige Ausstattung besprechen – sieht „dringenden Handlungsbedarf“ hinsichtlich eines Maßnahmenplans. Ein Gutachten hat deshalb zwischenzeitlich die Strukturen untersucht. Es empfiehlt, die Fahrzeugvorhaltung für Rettungswagen und Notärzte um 16 Prozent zu erhöhen.

Im Einsatz von Januar an

Die Vertreter der Krankenkassen haben bereits signalisiert, die zusätzlichen Maßnahmen finanzieren zu wollen. Zwar seien sich Kassen und Hilfsorganisationen noch nicht ganz einig darüber, wie die Vorhaltestunden beim Personal abgerechnet werden können, doch man rechne bis Mitte September mit einer Entscheidung, sagt Stadtdirektor und Feuerwehrchef Frank Knödler. Klar sei, dass dem bereits in Dienst gestellten zusätzlichen Rettungswagen, der jetzt zur Dauereinrichtung wird, ein weiterer folgen soll. Die Gesamtzahl steigt damit auf 17. An Werktagen soll zudem ein zusätzliches Notarztfahrzeug auf die Straße. „Wir denken, dass es im Januar so weit sein könnte“, sagt Knödler.

Mit diesen Schritten ist man in der Landeshauptstadt schon um einiges weiter als anderswo in Baden-Württemberg und in der Region. Denn dort weisen die Retter teils seit Jahren miserable Werte auf. Auch 2015 haben viele Landkreise die gesetzlichen Vorgaben nicht erfüllen können. Bei den Rettungswagen war das in 26 der 34 Rettungsdienstbereiche des Landes der Fall, bei den Notärzten sogar in 31 von 34. Die Bilanz fiel damit exakt gleich schlecht aus wie im Jahr zuvor. Als Schlusslichter glänzten die Kreise Waldshut und Heilbronn.

In der Region Stuttgart hat der Kreis Böblingen sowohl beim Notarzt als auch bei den Rettungswagen die Latte teils deutlich gerissen. Esslingen, Göppingen und der Rems-Murr-Kreis haben immerhin wie Stuttgart in jeweils einem der beiden Felder die Ziele erreicht. Ludwigsburg sticht dagegen aus einem anderen Grund hervor: Von dort lagen dem Innenministerium schlicht keine verwertbaren Zahlen vor – als einzigem der 34 Bereiche landesweit.

DRK beklagt steigende Einsatzzahl

Beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), das den Großteil der Rettungseinsätze im Land übernimmt, sieht man die Zahlen mit gemischten Gefühlen. „Im Vergleich zur bundesweiten Entwicklung brauchen wir hier kein so schlechtes Gewissen zu haben“, sagt Udo Bangerter, Sprecher des DRK-Landesverbandes Baden-Württemberg. Gleichwohl „hinken wir der Entwicklung hinterher“. Zwar habe man in vielen Regionen zuletzt große Anstrengungen unternommen, neue Fahrzeuge in Dienst zu stellen, allerdings „haben wir dadurch zumindest 2015 noch nicht überall Verbesserungen gesehen“. Im einen oder anderen Bereich seien die erst in diesem Jahr zu erwarten.

Zudem erschweren die auch landesweit stetig steigende Zahl der Einsätze sowie die wachsenden Probleme, für zusätzliche Rettungswagen überhaupt Personal zu finden, größere Schritte nach vorn. „Das ist eine generelle Tendenz, die wir beobachten. Wir bauen die Kapazitäten aus, jagen den Zahlen aber stetig hinterher“, sagt Landesgeschäftsführer Hans Heinz. Zwar müsse man sich die Ursachen für die Probleme in den einzelnen Bereichen im Detail anschauen, allerdings sprechen manche Werte bereits eine deutliche Sprache.

Gewaltige Zuwächse in der Region

So ist die Zahl der abgerechneten Rettungswageneinsätze in Stuttgart von 2014 auf 2015 um knapp sechs Prozent gestiegen. Bei den Notarztfahrzeugen waren es sogar über zwölf Prozent. Im Kreis Göppingen betrugen die Steigerungsraten gar zwölf und gut 20 Prozent – in nur einem Jahr. Das liegt auch daran, dass offenbar immer häufiger auch wegen Bagatellen der Notruf 112 gewählt wird. Die Nachfrage nach den Rettern wächst – und ein Ende ist nicht absehbar.

Die Zahlen für 2015 sind spät gekommen, weil das Innenministerium ein Maßnahmenpaket aus allen Kreisen angefordert hat, die die Vorgaben verfehlen. Nach der erneut verheerenden Bilanz dürften viele Gespräche mit allen Beteiligten auf dem Programm stehen. Man werde die Zuständigen in den betroffenen Stadt- und Landkreisen zu „notwendigen Schritten auffordern“, heißt es jetzt aus dem Ministerium.