Im Alltag stoßen behinderte Menschen immer noch an Grenzen. Foto: dapd

Behinderte sollen bei der Umsetzung der UN-Konvention für Rechte Behinderter mitreden.

Stuttgart - Wenn Gerd Weimer auf Reisen ist, kehrt er oft mit einer Wunschliste zurück. In China hat ihn beeindruckt, dass es auf den Straßen in den modernen Städten eine Leitspur gibt, an der sich Blinde mit ihrem Stock orientieren können. Auf Teneriffa haben ihm die riesigen Tafeln im Flughafen gefallen, auf denen sich Hörgeschädigte orientieren können, die die Durchsagen nicht verstehen. „Der Weg zu einer barrierefreien behindertengerechten Gesellschaft ist noch weit“, sagt der 63-jährige Tübinger.

Vor einem Jahr hat Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) Weimer zum Landesbeauftragten für Behinderte bestellt. Erstmals kümmert sich damit nicht mehr ein Mitglied der Landesregierung, sondern eine externer Beauftragter um die Belange der Behinderten in Baden-Württemberg. Damit soll dessen Unabhängigkeit gestärkt werden – eine Forderung vieler Betroffener. Weimer kennt sich mit dem Thema aus. Als SPD-Landtagsabgeordneter und später als Sozialbürgermeister in Tübingen machte sich der Gymnasiallehrer dafür stark, die Bedingungen für Behinderte zu verbessern. Zu seinen jetzigen Aufgaben gehört, zu überwachen, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf allen staatlichen Ebenen umgesetzt und Qualitätsstandards eingehalten werden. Bei ihm landen aber auch Beschwerden. „In diesem Jahr sind es wohl doppelt so viele Anrufe wie in früheren Jahren“, schätzt er. Es spreche sich herum, dass sich etwas bewege.

Kein Ausschluss vom Leben

Die Behinderten sind beileibe keine kleine Randgruppe in der Gesellschaft.1,4 Millionen der 10,8 Millionen Einwohner im Südwesten haben eine Behinderung. 800.000 von ihnen sind schwerbehindert, 200.000 sogar zu 100 Prozent.

2009 hat Deutschland die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet und sich damit verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Menschen mit Handicap nicht vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind. Den guten Absichten müssen nun Taten folgen: Grüne und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Landesregierung zusammen mit Betroffenenverbänden, den Wohlfahrtsverbänden und den Kommunen einen Plan für die Umsetzung erarbeitet. Eine große Aufgabe, denn das betrifft viele Bereiche: Bildung und Erziehung, Gesundheit, Arbeit, Wohnen, Barrierefreiheit, Kultur-Freizeit-Sport, Persönlichkeitsrechte. Ein erster Schritt dazu ist getan – der Landes-Behindertenbeirat hat mittlerweile einen Aktionsplan vorgelegt. Auf 36 Seiten formulieren die Vertreter verschiedener Behindertenverbände, welche Ziele sie anstreben und wie diese erreicht werden sollen. Nach der Sommerpause sind vier Regionalkonferenzen in Stuttgart, Tübingen, Karlsruhe und Freiburg geplant, bei denen der Entwurf diskutiert wird. Auch über das Internet können sich Interessierte an der Debatte beteiligen. Die Ergebnisse werden zum Jahresende dem Sozialministerium übergeben, das danach einen Gesetzentwurf erarbeitet.

Sonderschulpflicht ist aufgehoben

Beispiel Inklusion in der Schule: Zwar ist im Südwesten inzwischen die Sonderschulpflicht aufgehoben, allerdings lehnen es viele Kreise ab, eine Assistenz zu bezahlen für Kinder mit geistiger Behinderung, die eine Regelschule besuchen. Nach den Sommerferien gehen die ersten Gemeinschaftsschulen an den Start, in denen Schüler mit unterschiedlichem Leistungsniveau gemeinsam unterrichtet werden. Doch das Thema gemeinsamer Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern betrifft künftig auch alle anderen Schularten – viele von ihnen sind darauf noch gar nicht eingestellt. Inklusion müsse Teil der Ausbildung künftiger Lehrer werden, fordert Weimer. Er plädiert dafür, Eltern die Wahl zu lassen – sie müssten entscheiden, ob sie ihr Kind in die Regelschule oder in eine Sonderschule schicken.