Akrobatik pur aus Norwegen: Die Boogie-Woogie-Weltmeister von Stuttgart, Thorbjorn Solvoll Urskog (li.) und Susanne Barkhald Sandberg. Foto: Pressefoto Baumann

Sie sind die Spaßvögel der Szene: die Boogie-Woogie-Tänzer. Bei den 27. German Open Championships (GOC) in Stuttgart begeistern die Meister der Improvisation das Publikum mit ihrer Weltmeisterschaft. Wobei die deutschen Teilnehmer in der Liederhalle nur hinterhertanzen.

Stuttgart - Es war wie immer: Als Thorbjorn Solvoll Urskog und Susanne Barkhald Sandberg nach der Urteilsverkündung jubelnd aufs Parkett des Beethovensaals stürmten, konnten Matthias Rein und Regina Kuglstatter von der Zuschauertribüne nur anerkennend applaudieren. Wieder einmal hatten die deutschen Boogie-Woogie-Meister bei der Weltmeisterschaft das Finale verpasst. Und wieder einmal mussten der 33 Jahre alte Bad Reichenhaller und seine drei Jahre jüngere Partnerin bei der Titelvergabe in der Hauptklasse mitansehen, wie sich die beiden aufgeweckten Norweger in Stuttgart Gold holten – zum dritten Mal in Folge.

Für Rein/Kuglstatter, seit Jahren das beste deutsche Paar, war dagegen wie bei der WM in Norwegen im vergangenen Jahr das Halbfinale Endstation. „Wir sind trotzdem mit Rang neun zufrieden“, meinte Rein, der an der Seite von Kuglstatter für den 1. RRC Freilassing startet. Doch die beste deutsche Platzierung zeigt auch, dass die Boogie-Woogie-Tänzer hierzulande der Weltelite hinterhertanzen – und zwar mit großem Abstand. Für Bundestrainer Leo Beck hat das viele Gründe. „Wir haben das Problem“, gibt er zu, „dass wir im Moment weder bei der Athletik noch bei der Musikinterpretation mithalten können.“

Blöd nur, dass es gerade darauf beim Boogie-Woogie-Tanzen ankommt. Auf dieses taktvolle tiefe Tanzen in den Knien, das durch spektakuläre, nicht länger als acht Sekunden dauernde Akrobatikfiguren ergänzt wird. Zu einem Song aus 200 Boogie-Woogie-Liedern müssen die Tänzer ein fetziges Programm improvisieren, bei dem der Herr seiner Partnerin über Impulse an Hand oder Arm andeutet, welche Figuren folgen.

Mentale Schwierigkeiten der Schützlinge erkannt

Und das sieht bei der Konkurrenz zurzeit eben deutlich flüssiger aus als bei den deutschen Tänzern. „Das liegt auch daran“, sagt Tobias Grimm (19), der mit Lara Vogt (17) auf dem 14. WM-Platz landete, „dass wir an unsere Trainingsleistungen bei den internationalen Wettkämpfen einfach nicht herankommen.“ Auch die beiden Bundestrainer Christian Punk und Leo Beck haben die mentalen Schwierigkeiten ihrer Schützlinge erkannt. „Unsere Paare wollen oft zu viel und machen deshalb Fehler bei der Ausführung der Akrobatikübungen“, sagt Christian Punk. Bei der Kaderschulung vor der WM wurde deshalb extra in Sachen Psychologie gearbeitet. Geholfen hat es nicht.

Denn auch bei den Junioren lief es kaum besser. Und schlimmer noch: Keines der drei Nachwuchspaare überstand bei den in die GOC integrierten Weltmeisterschaften in Stuttgart die Vorrunde. Einzig bei den Senioren (über 35 Jahre) erreichten Oliver und Patrizia Fritsche aus München die Finalrunde und wurden Vierte. Aber auch dieser Erfolg hat einen Wermutstropfen: Erstmals seit 2007 gab es keine WM-Medaille für deutsche Senioren.

Mehr Training reicht nicht

Geht es nach Leo Beck, soll die Bilanz künftig besser aussehen. „Unser Anspruch ist es, mindestens mit ein oder zwei Paaren in der Endrunde dabei zu sein“, sagt der Bundestrainer und verspricht: „Daran werden wir hart arbeiten.“ Doch allein mit mehr Training ist es nicht getan. Was dem Deutschen Rock ’n’ Roll und Boogie-Woogie-Verband (DRBV) fehlt, ist der Nachwuchs. Und das, obwohl die Boogie-Woogie-Tänzer in Stuttgart sehr gut ankamen – insbesondere beim jüngeren Publikum. Unter den vielen Latein- und Standard-Tänzern wirkten sie wie Paradiesvögel, völlig losgelöst von der so straffen Tanzetikette. Bei ihren Auftritten saß ein Teil der Zuschauer auf dem Parkett in der Liederhalle und feuerte die Sportler lauthals aus nächster Nähe an.

Leo Beck hat deshalb die berechtigte Hoffnung, dass sich künftig noch mehr Talente für seine – vor allem in Skandinavien populäre – Sportart begeistern. Denn er weiß: „Nur wenn die Leistungsdichte größer wird, werden sich auch die Erfolge einstellen.“ Damit künftig nicht mehr nur die Norweger Thorbjorn Solvoll Urskog und Susanne Barkhald Sandberg jubeln dürfen.