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Schulen und Kommunen brauchen mehr Freiheit, sagt der Vorsitzende des Erziehungsverbands.

Stuttgart -Schulen und Kommunen brauchen mehr Freiheit, um Schulen nach ihren Bedürfnissen zu gestalten, fordert der neue Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Gerhard Brand.

Herr Brand, seit acht Monaten hat Baden-Württemberg eine neue Kultusministerin. Sind Sie mit der Arbeit von Marion Schick zufrieden?

Die Erwartungen, die Ministerpräsident Stefan Mappus in Frau Schick gesetzt hat, hat sie erfüllt. Er wollte jemanden, der kommunikativ ist, auf Menschen zugeht, sie einbezieht und mitnimmt - und das ist gut. Verwundert hat mich allerdings, dass sie kurz nach ihrem Amtsantritt die Werkrealschule in den Himmel lobte und kurz nach den Sommerferien erklärte, die Werkrealschule sei nicht der Stein des Weisen. Das sind für mich gegensätzliche Aussagen. Wir suchen das Gespräch mit ihr.

Welche Wünsche haben Sie an Frau Schick.

Wir wollen die Frage um das Schulsystem nicht mehr in den Mittelpunkt stellen, sondern die Lehrer. Die Bildungslandschaft in Baden-Württemberg ist heterogen, und das erfordert auch flexible Antworten. Statt auf ein einheitliches Schulsystem zu pochen, sollte die Landesregierung das Bildungssystem öffnen, so dass die Verantwortlichen vor Ort auf die konkreten Bedürfnisse eingehen können. Wenn die Kommunen, die Lehrer und Eltern Haupt- und Realschulen zusammenlegen wollen, weil es für alle Beteiligten von Vorteil ist, dann muss das an diesem Ort möglich sein, aber nicht prinzipiell. Ebenso muss es möglich sein, die bestehenden Realschulen zur R 8, also zu achtjährigen Realschulen, auszubauen, die mit der Fachhochschulreife und der Studierfähigkeit abschließen und eine zweite Säule neben dem achtjährigen Gymnasium G 8 bilden. Aber wo bestehende Systeme gut funktionieren, sollen diese auf keinen Fall geändert werden.

Damit sind wir bei der neuen Werkrealschule, die die Hauptschule weiterentwickeln soll. Wie schätzen Sie diese ein?

Wir haben noch keine belastbaren Zahlen zum Übergangsverhalten. Unsere Erfahrung ist, dass diejenigen Grundschüler, die eine Empfehlung für Haupt-/Werkrealschule und die Realschule erhalten haben, zur Realschule gehen. Die Werkrealschule ist keine Konkurrenz zur Realschule und entlastet diese auch nicht. Wir sind nicht gegen die neue Werkrealschule. Wir sind aber dafür, dass Schulen geschaffen werden, die bei Eltern und Lehrern Akzeptanz finden. Wenn allerdings wie im Remstal eine Werkrealschule geschaffen und dafür eine Hauptschule gegen den Willen der Eltern geschlossen wird, ist das nicht in Ordnung.

Die Kultusministerin will in Kürze ein Konzept zur Verbesserung der Frühförderung vorlegen. Was brauchen Sie?

Die Mittel für die Modellversuche zum schulreifen Kind müssen erhalten bleiben. Das Projekt ermöglicht eine enge Zusammenarbeit zwischen Schulen und Kindergärten und ist sehr erfolgreich. Wenn es flächendeckend eingeführt wird, sind dafür auch genügend Mittel nötig. Auch die Bildungshäuser sind gut. 90 Bildungshäuser für ganz Baden-Württemberg sind aber nicht genug.

Ein zentrales Thema in Kindergarten und Schule ist die Sprachförderung...

Und dafür fehlen uns vor allem im ländlichen Raum die passenden Angebote. Dort gibt es oft keine internationalen Vorbereitungsklassen, in denen Schüler mit fehlenden Sprachkenntnissen erst einmal Deutsch lernen. Ohne diese Unterstützung bleiben Kinder zurück. Ein weiteres Problem sind verhaltensauffällige Schüler. Für sie bräuchten wir Fachleute, die wir hinzunehmen können oder die auch außerschulisch mit den Kindern arbeiten. Mit diesen Aufgaben werden die Lehrer oft alleingelassen.

Künftig sollen mehr behinderte Kinder in Regelschulen unterrichtet werden. Sind Sie darauf vorbereitet?

Nein! Die Schulen müssen erst noch in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe zu lösen - dafür sind sächliche und personelle Anpassungen nötig. Für Kinder im Rollstuhl beispielsweise sind an vielen Schulen bauliche Veränderungen nötig. Noch wichtiger ist die Schulung der Lehrer, die auf diese Aufgabe in ihrer Ausbildung gar nicht vorbereitet wurden. Entsprechende Fortbildungen sind dringend nötig. Bei allen Inklusionsbemühungen spricht sich der Verband Bildung und Erziehung aber deutlich für den Fortbestand der Sonderschulen aus. Eltern müssen entscheiden können, an welche Schule sie ihr Kind schicken.

Die Kultusministerin hat kürzlich festgestellt, dass es im Grundschulbereich bisher nur wenige Ganztagsschulen gibt. Liegt das anden Lehrern?

Nein, die Grundschulen waren anfangs ausgenommen. Dann kam man darauf, dass es aus pädagogischen Gründen sinnvoll sein könnte, auch für Grundschüler Ganztagsangebote anzubieten. Doch nicht alle Eltern wollen das. Wenn wir offene Ganztagsschulen anbieten, dann kommen deren Kinder nicht, aber auch nicht die Kinder, für die Nachmittagsangebote gut wären. Vor allem im ländlichen Raum machen wir auch immer wieder die Erfahrung, dass nur wenige Eltern entsprechenden Bedarf melden. Wenn wir gute Ganztagsschulen wollen, dann müssen wir rhythmisierten Unterricht anbieten und dürfen nicht morgens Unterricht und nachmittags ehrenamtliche Betreuung anbieten. Dafür brauchen wir aber auch mehr Lehrerstunden.