Gute Nachrichten: Die Kasse übernimmt die Kosten der Behandlung. Foto: Archiv

Medikament jetzt in Europa zugelassen. AOK sichert Kostenübernahme für Behandlung zu.

Geislingen-Binsorf - Gute Nachrichten im Fall Tiago: Die AOK will im Fall des an spinaler Muskelatrophie erkrankten Tiago aus Binsdorf die Kosten für Zolgensma, das teuerste Medikament der Welt, übernehmen. Die Eltern des Zweijährigen reagierten mit großer Freude auf die Nachricht.

Wie Tiagos Familie auf Facebook mitteilt, hat die AOK die Kostenübernahme bereits zugesichert: 

"Am Dienstag Vormittag hatten wir kurzen Kontakt mit der AOK die uns wenige Stunden später in einem persönlichen Gespräch die Kostenübernahme für Zolgensma zugesichert hat. Wir freuen uns riesig über diese Nachricht", postete die Familie. Aufatmen wolle man aber erst,  wenn das Medikament Tiago erfolgreich verabreicht worden sei. Vorab stünden noch einige Untersuchungen an.

Möglich ist die Kostenübernahme durch die Krankenkasse, weil das Medikament Zolgensma nun auch in Deutschland auf dem Markt kommen kann. Zolgensma habe eine vorläufige EU-Zulassung erhalten, bestätigte ein Sprecher der EU-Kommission am Mittwoch. Sie gilt demnach für die Behandlung von an spinaler Muskelatrophie (SMA) erkrankten Babys und Kindern mit einem Gewicht von bis zu 21 Kilogramm – wie etwa Tiago.

AOK-Chef überbringt Nachricht persönlich

Wegen der bisher fehlenden Zulassung hatte die AOK bislang erklärt, die Kosten für die Behandlung des jungen Binsdorfers mit Zolgensma nicht übernehmen zu dürfen. Genau das hat sich nun geändert. Klaus Knoll, Geschäftsführer der AOK-Bezirksdirektion Neckar-Alb, Klaus Knoll, war am Mittwoch selbst zu den Eltern des zweijährigen Tiago gefahren, um ihnen die erfreuliche Nachricht zu überbringen: Die Zulassung sei da, die AOK bezahle die Behandlung, wenn der behandelnde Arzt dieses verschreibe, teilte er Stephanie de Freitas und Jens Hafner mit.

Wie berichtet, hat die Familie bereits einen Arzt gefunden, der ihrem Sohn das Medikament verabreichen würde. Ob es wirklich so kommt, steht aber noch nicht zu 100 Prozent fest, sagte Stephanie des Freitas unserer Zeitung: Grundsätzlich seien alle Voraussetzungen dafür gegeben, dass Tiago die Millionen-Spritze erhalten kann. Allerdings stünden in der nächsten Woche noch mehrere zusätzliche Untersuchungen an.

Wegen der bislang fehlenden Zusage für die Kostenübernahme hatten die Eltern von Tiago versucht, das Geld über Spenden zusammenzubekommen. Seit November 2019 rollte eine bis dato beispiellose Welle der Hilfs- und Spendenbereitschaft durch den Zollernalbkreis. Zahlreiche Menschen und Firmen gaben Geld, allerorten gab es Aktionen zugunsten von Tiago. Mehr als eine Million Euro kamen bislang zusammen.

Was geschieht nun mit diesem Geld, wenn die AOK die Kosten der Behandlung übernimmt? Stephanie de Freitas sagte dazu am Donnerstag, dass die bisher eingegangene Spendensumme für zwei Jahre zwenkgebunden und speziell für Tiago zu Verfügung stehe: für weiterhin notwendige Hilfsmittel etwa, oder für Therapien. Eingerichtet ist das Spendenkonto bei der Deutschen Muskelstiftung, die Familie habe keinen direkten Zugriff auf das Geld. Nach Ablauf der zwei Jahre werde entschieden, wie das Geld weiter verwendet werde, etwa für die SMA-Forschung. "Uns liegt sehr am Herzen", sagt Stephanie de Freitas, "anderen Familien mit an SMA erkrankten Kindern zu helfen."

Zolgensma ist eine von der Novartis-Tochter Avexis entwickelte Gentherapie. Verabreicht wird sie als einmalige Spritze. Die Therapieform ist in den USA bereits seit einiger Zeit zugelassen und kostet dort lautet Listenpreis 2,1 Millionen Dollar (1,9 Millionen Euro). Die Erbkrankheit SMA löst unter anderem Muskelschwund aus. Unbehandelt führt sie oft vor Erreichen des zweiten Lebensjahres zum Tod.

Therapie bekämpft genetische Ursache

Das für Zolgensma zuständige Novartis-Unternehmen Avexis rechtfertigt den hohen Preis für sein Medikament damit, dass es im Gegensatz zu einem Konkurrenzprodukt nur einmal verabreicht werden muss und dafür sorgt, dass höhere Kosten vermieden werden könnten. Derzeit koste die Versorgung eines an SMA erkrankten Kindes allein in den ersten zehn Jahren zwischen 2,5 und 4 Millionen Euro, heißt es von Avexis.

Das Medikament Zolgensma zielt nach Angaben von Avexis darauf ab, die genetische Ursache der spinalen Muskelatrophie zu bekämpfen, indem sie die Funktion des fehlenden oder nicht funktionierenden SMN1-Gens ersetzt. Die Therapie wird einmalig intravenös verabreicht und bringt eine neue Arbeitskopie des SMN1-Gens in die Zellen des Patienten, was das Fortschreiten der Krankheit stoppen soll.