Heimatgeschichte: Kolpingsfamilie übergibt Bände mit Protokollen von Gerichtsverhandlungen an Geislinger Stadtarchivar
Gut 300 Jahre alt sind die beiden dicken Bücher, die Uschi und Volker Amann von der Kolpingsfamilie Geislingens Stadtarchivar Alfons Koch übergeben haben. Sie enthalten Gerichtsprotokolle aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Geislingen. Nach einer Vorstandssitzung der Kolpingsfamilie im Oktober ging Uschi Amann wie gewöhnlich noch am offenen Bücherregal zwischen Pfarrhaus und Kirche vorbei. Sie wollte dort eigentlich nach neuem Lesestoff schauen – doch auf dem obersten Regalbrett sah sie zwei dicke, alte, graue Bücher liegen.
Schon der erste Blick zwischen die Ledereinbände offenbarte ihr Seite um Seite in alter, deutscher Handschrift. Sie zeigte eines der Bücher dem Kolpingsvorsitzenden Volker Amann. "Protokoll, 1708." Mehr konnte auch er nicht lesen. "Aber die alten Wälzer, die sind wichtig", erkannte Amann sogleich und beschloss, die Bücher dem Stadtarchivar zu zeigen.
Alfons Koch beherrscht die deutsche Schrift, las quer und erkannte schnell, worum es in den Texten ging: Die Vögte, also Verwalter von Geislingen, haben darin Protokolle der sogenannten "Jahresgerichte" zwischen 1661 und 1730 niedergeschrieben.
Bei Jahresgerichten handelte es sich um öffentliche Verhandlungen, in denen Geislinger Bürger Klagen vorbrachten und die Übeltäter gerügt wurden – was oft Geldstrafen oder Einsitzen im 1661 erbauten Karzerhäusle nach sich zog. Das sollte den Frieden im Ort bewahren, und die beiden adeligen Eigentümer Geislingens – Purschütz und Stotzinger – ließen gemeinsam Gericht halten.
In den beiden Bänden sind Klagen über mangelhaften Schulbesuch und fehlende Beteiligung an den Gottesdiensten ebenso zu finden wie Prozesse wegen Beleidigungen, Fluchen, Raufereien, Zechprellerei oder "Nachlässigkeit bei der Kinderzucht." Nebenbei spiegeln sie auch die Herrschaftsgeschichte und das dörfliche Leben Geislingens im Verlauf jener 70 Jahre wider, über die sich die Protokolle erstrecken.
"Es ist enorm, was man da herausziehen kann", ist Alfons Koch begeistert. Der Fund sei ein Glücksfall. Und auch Uschi Amann freut sich: "Es ist ja doch wichtig, was wir gefunden haben."
Ursprünglich hätten diese Unterlage gleich im Gemeindearchiv stehen müssen, sagt Koch. Das sei aber nie der Fall gewesen, wie das Fehlen der entsprechenden Stempel belegt. Vermutlich habe sie jemand auf einem Dachboden entdeckt und nicht gewusst, was er damit anfangen sollte, glaubt er.
Der Stadtarchivar hofft aber, dass noch weitere "verlorene" Dokumente in Geislinger Häusern verborgen ruhen und mögliche Finder diese direkt zu ihm bringen. Denn "verloren" seien solche ortsgeschichtlich wichtigen Unterlagen damit ja nicht: Das Stadtarchiv stehe allen an der Heimatgeschichte Interessierten offen.