Fährt mit ihren Gegnern Schlitten: Rodlerin Natalie Geisenberger Foto: dpa

Gold für Natalie Geisenberger, Silber für Tatjana Hüfner. Der Jubel über den Doppelsieg der deutschen Rodlerinnen bei den Winterspielen von Sotschi war groß – allerdings gab es auch Misstöne.

Sotschi - Der Mann war fix und fertig, er schloss die Augen, er atmete ein, dann kräftig wieder aus. Das Ganze wiederholte sich ein paarmal, dann war Helmut Geisenberger wieder einigermaßen in der Spur. Und sagte: „Am allermeisten freut es mich für Natalie.“ Natalie ist seine Tochter – und die war gerade Olympiasiegerin geworden.

Nach zwei Tagen und vier Läufen lag die 26-Jährige aus Miesbach klar vor Teamkollegin Tatjana Hüfner und Erin Hamlin (USA). Am liebsten, sagte sie, habe sie schon in der letzten Kurve losschreien wollen vor Freude, und als die erste Siegerehrung an der Bahn im Sanki-Bob-und-Rodel-Zentrum vorüber war, fiel sie überglücklich Felix Loch in die Arme. Geisenbergers Trainingspartner hatte zwei Tage zuvor sein zweites Olympiagold gewonnen. Die herzliche Umarmung mit der zweitplatzierten Hüfner, die vor vier Jahren in Vancouver noch Gold gewonnen hatte, fiel dagegen aus. Aber das war ja auch kein Wunder.

Die beiden Topathletinnen waren noch nie ein Herz und eine Seele, stattdessen gab es immer wieder mal Zoff. „Das Wort reserviert beschreibt unser schwieriges Verhältnis wohl noch am besten“, hat Hüfner einmal gesagt – und am Dienstagabend in Sotschi dann dafür gesorgt, dass es in Zukunft nicht unbedingt harmonischer werden wird.

Als die 30-jährige Rodlerin aus Neuruppin im Anschluss an das Rennen ihre Silbermedaille einordnen sollte, drückte sie nämlich nicht nur ihre Freude aus, sondern beklagte auch die ihrer Meinung nach mangelnde Hilfe des Deutschen Bob- und Schlittenverbands. „Ich habe an vielen Kleinigkeiten gemerkt, dass mir nicht die Unterstützung zuteil wird wie anderen“, sagte sie, beklagte unter anderem, dass sie in Sotschi auf ihren Trainer André Florschütz habe verzichten müssen – und verpasste es auch nicht zu erwähnen, wer denn angeblich bevorteilt werde: Natalie Geisenberger.

Die Kollegin, die viel mehr Konkurrentin ist, kam wenig später dazu, wurde auf die Vorwürfe angesprochen, wollte sich den Abend mit derlei Themen aber nicht verderben lassen. „Ich habe anderes zu tun“, sagte sie – und zählte lieber die Gründe auf, die ihren Sieg ermöglicht hatten. Oder besser: Sie fasste alle zusammen, als sie sagte: „Das Gesamtpaket hat einfach perfekt gepasst.“ Und die jahrelange Arbeit zahlte sich aus. Eine Arbeit, die früh begann.

Bei einem Schnuppertraining wurde die Lust aufs Rodeln bei Natalie Geisenberger geweckt, die Kunsteisbahn am Königssee aber war 130 Kilometer vom Heimatort entfernt, weshalb die Eltern zum Taxiunternehmen umfunktioniert wurden. Als die Schule in Miesbach die vom Sport verursachten Fehlzeiten nicht mehr mittragen wollte, zog die damals 14-jährige Natalie mit ihrem Vater in eine Ferienwohnung nach Berchtesgaden, wenig später kam sie bei Stützpunkttrainer Martin Schwab unter – und die Karriere nahm Fahrt auf. Sie gelangte in die Weltspitze, etablierte sich als Podiumsfahrerin, holte in Vancouver 2010 Olympia-Bronze – und legte danach noch einmal zu. „Seit der WM im vergangenen Jahr, ist sie aufgeblüht“, sagt Trainer Georg Hackl, „seitdem weiß sie: Wenn ihre eigene Performance stimmt, ist sie in der Lage, alles zu gewinnen.“ Auch Olympia-Gold.

Das hat Natalie Geisenberger nun bewiesen – und machte ihre Trainingsgruppe zu einer überaus erfolgreichen. „Wir haben eine perfekte Stimmung“, sagte Felix Loch, „wenn einer mal einen Durchhänger hat, wird er mitgezogen – das macht uns so erfolgreich.“ Loch und Geisenberger haben ihr Gold sicher, die Doppelsitzer Tobias Arlt/Tobias Wendl, die ebenfalls zum Team aus Berchtesgaden gehören, haben an diesem Mittwoch die Chance nachzulegen. In der Staffel könnte das Quartett dann sogar gemeinsam auf Gold-Jagd gehen. „Das wäre was ganz Besonderes“, meinte Loch. So wie der Sieg von Natalie Geisenberger.

Die hatte in der Nacht zwischen dem ersten und dem zweiten Wettkampftag zwar nicht wirklich viel geschlafen („Ich bin um 3 Uhr aufgewacht“), ihre Titelsammlung machte sie dann dennoch in beeindruckender Manier komplett. Europameisterin, Weltmeisterin, Olympiasiegerin – keine Frage: Vater (der auch Manager ist) und Tochter Geisenberger hatten am Dienstagabend allen Grund, in Sotschi zusammen zu feiern.