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Wenn David Garrett auf der Bühne steht, ist ihm der Beifall auch jener Zuhörer sicher, die sonst mit klassischer Musik nichts anfangen können.

Stuttgart - Wenn David Garrett auf der Bühne steht, ist ihm der Beifall auch jener Zuhörer sicher, die sonst mit klassischer Musik nichts anfangen können. Doch bevor der 28-jährige Geiger zu Erfolg, Glanz, spielerischer Leichtigkeit kam, musste er dunkle Zeiten überstehen. Endstation Sehnsucht? David hatte sich verfahren und war in einer Sackgasse gelandet. Dabei war da am Anfang ein großer Aufbruch gewesen. Vielleicht auch ein Ausbruch, auf jeden Fall ein Sprung ins pralle Leben. Ein Leben in den Tag hinein, vor allem aber in die Nächte. Mitten in London. Touren durch die angesagten Clubs, Musik von Jazz bis Trip-Hop (nur keine Klassik!), Kumpels aus fremden Welten, Frauen, Alkohol, Designer-Drogen.

Dann plötzlich der Tod eines engen Freundes: Kreislaufkollaps, Exitus, eine Überdosis. Auf einmal spürte der 18-Jährige die Angst: Ist das jetzt auch dein Weg? Hattest du früher nicht von einem anderen Leben geträumt? Die Geige, die war doch dein Ding gewesen. Plötzlich wollte er nur noch weg. Sehnte sich zurück auf die Konzertpodien und träumte vom Applaus . . .

Schnitt. Nein, diese Episode taucht in der Biografie David Garretts heute nicht mehr auf. Sie würde sich vermutlich auch nicht mehr so gut verkaufen: Im konservativen Klassikgeschäft sind unangepasste Rebellen nicht gefragt. Selbst im Fall des Pop-Paganinis mit dem Lagerfeld-Zopf, der gerne als bestaussehender oder als schnellster Geiger der Welt ("Hummelflug" spielt er in 65,26 Sekunden) annonciert wird. Stattdessen pflegt der groß gewachsene Twen, der seinen durchtrainierten Körper auf Fotos wie im Konzert gern zur Schau trägt, heute das Image des Künstlers, der nach anderthalb entbehrungsreichen Jahrzehnten als fremdbestimmtes Wunderkind sein Leben selbst in die Hand nimmt.

Die erste Geige hatte Klein David bereits mit vier Jahren in die Hand genommen. Mit zehn gab er unter Gerd Albrecht sein Konzertdebüt mit den Hamburger Philharmonikern, schloss 1994 als jüngster Solist aller Zeiten einen Exklusivvertrag mit dem Nobel-Label Deutsche Grammophon. Es folgten eine Italien-Tournee mit Abbado, Auftritte in ganz Europa und Japan mit Mehta, Eschenbach und Sinopoli, schließlich mit 15 Jahren die Einspielung der höllisch schweren Paganini-Capricen. Damals war er der jüngste Künstler der Platten-Geschichte. Dann aber streikte der Teenie-Körper: Bandscheibenvorfall, Tennisarm, ein eingeklemmter Wirbel, eine über Jahre antrainierte Fehlhaltung. Schier unerträglich waren die Schmerzen in der linken (Griff-)Hand zuletzt - die Folge von sieben Stunden Üben am Tag und bis zu 80 Konzerten im Jahr. Es war dieser physische Leidensdruck, der den damals 17-Jährigen ins Londoner Nachtleben trieb.

Von dort kam er zurück, wollte wieder auf die Bühne. Bayern-Doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt sorgte dafür, dass Garrett wieder beschwerdefrei spielen konnte.

Dann ging der gebürtige Aachener nach New York, studierte bei den besten Lehrern, die sich ein Geigenschüler vorstellen konnte: Isaac Stern, Itzak Perlman, Dorothy Delay. Stunden bei Ida Haendel und Zakhar Bron in Europa schlossen sich an. Doch als der Deutschamerikaner wieder konzertieren wollte, lehnten ihn Veranstalter, Konzertagenturen und Plattenfirmen ab. Der Geiger Garrett, meinen sie, sei durch. Doch statt in ein tiefes Loch zu fallen, kämpfte Garrett - und fand den Weg zurück aus Manhattans U-Bahn-Schächten in die Konzertsäle. Erst in den USA, dann in Asien, am Ende auch in Deutschland.

Dass er dabei die Inszenierungserfahrungen seiner Model-Zeit ebenso zu nutzen weiß wie TV-Auftritte bei Stefan Raab, stößt manchem Klassik-Puristen mindestens so auf wie der Event-Charakter seiner Hallen-Tourneen mit Orchester und Band: Tausende von Zuschauern, kreisende Scheinwerfer und Teenie-Gekreische wie bei Boy Bands, wenn sich David in Jeans, Nietengürtel und Sakko, schwerer Kette samt Kreuz und schwarzem Hut durch die Arenen fiedelt mit einem Programm, das Michael Jacksons "Smooth Criminal" mit Klassik-Radio-kompatiblen Eigenkompositionen und einem zum Violinkonzert aufgedonnerten Arrangement von Bachs "Air" verbindet.

Doch der heute 28-Jährige kennt keine Berührungsängste: "Das ist eine ganz lockere Veranstaltung mit einer ziemlich bunten Mischung", pflegt der schöne junge Mann mit dem lasziven Blick sein Publikum zu begrüßen. Und überhaupt: Habe nicht schon der große Geiger Jascha Heifetz Stücke mit Bing Crosby eingespielt? Am Ende zähle doch, dass sich viele junge Menschen für klassische Musik begeisterten. So wie seine Freunde in New York, die ihn nach einem nächtlichen Streifzug durch die Clubszene bei der Rückkehr morgens um vier bitten würden, noch mal seine San-Lorenzo-Stradivari auszupacken - "meistens improvisiere ich dann etwas . . ."

Ob das am Ende ausreicht? Garrett müht sich mit rein klassischen Programmen wie jetzt in Stuttgart mit der Staatskapelle Weimar unter George Pehlivanian um den Beifall der Klassik-Fans wie um die Rückkehr in die Feuilletons - und schwärmt gleichzeitig von seinen Crossover-Projekten als Brücke zur Klassik für die Massen. Sein Erfolgsgeheimnis? "Mein Perfektionswahn ist einer gewissen Gelassenheit gewichen, und ich habe über das Herz einen neuen Zugang zur Musik gefunden." Der soll diesmal nicht in einer Sackgasse enden. Denn noch eine Chance für eine neue Biografie wird auch der schönste Geiger der Welt nicht bekommen.

"Classical Romance": David Garrett und die Staatskapelle Weimar treten am Dienstag um 20 Uhr im Stuttgarter Beethovensaal auf. Das Konzert ist ausverkauft. Restkarten gibt es nur noch für Garretts Konzert am 7. November unter Tel. 07 11 / 255 55 55.