Ilkay Gündogan (rechts neben Cacau): Offensiver Impuls fürs deutsche Mittelfeld. Foto: dapd

Wenn die deutsche Fußball-Elf am Freitagabend auf die Auswahl der Schafsinseln trifft, wird sich der Druck aufs deutsche Tor in Grenzen halten.

Stuttgart - Der große deutsche Fußball-Lehrer Otto Rehhagel hielt es gern mit den schlichten Wahrheiten. „Männer“, pflegte er zu sagen, „es ist ganz einfach: Solange wir den Ball haben, schießt der Gegner schon keine Tore.“ Weil die Burschen von Borussia Dortmund den Ball ziemlich oft und ziemlich lange haben und noch dazu etwas mit ihm anzufangen wissen, ist der Meister der vergangenen beiden Spielzeiten inzwischen eine Art deutscher Prototyp des modernen Tempofußballs.

Rehhagels These gilt demnach als empirisch belegt, was Joachim Löw in der Nachbereitung der Fußball-EM offenbar dazu bewog, die Mixtur im Spiel der deutschen Nationalmannschaft zu überdenken. Vor dem Start in die Qualifikation zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien vollzieht der Bundestrainer nun den ideologischen Schwenk weg von „Jogi van Gaal“, wie ihn einst der Bayern-Stürmer Thomas Müller scherzhaft nannte, hin zu „Joachim Klopp“. Was bedeutet, dass der eher abwartende und auf schnelle Gegenstöße lauernde Spielstil abgelöst wird von der intensiven Bearbeitung der gegnerischen Elf – am besten schon in deren Hälfte.

Fachleute reden weniger profan von Pressing und Gegenpressing. Und Co-Trainer Hansi Flick, der Sancho Panza des Bundestrainers, beschwört in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten des „schnellen Umschaltspiels“, das im EM-Halbfinale gegen Italien so gut funktioniert hat wie ein Klavier ohne Tasten. „Manche Spieler sind nicht den letzten Schritt gegangen“, bemängelt Flick, was er weniger physisch als psychisch verstanden wissen will.

Gündogan sprach so wie einer, der keinen Navigator mehr braucht, um ins Spiel zu finden

Doch genau darin sind die Spieler des Ballspiel-Vereins Borussia bestens geübt. Was ihnen nun zu Beginn des Wegs an die Copacabana neue Horizonte eröffnet. Linksverteidiger Marcel Schmelzer, der im schwarz-gelben Trikot stets couragiert nach vorne verteidigt, in der Nationalelf aber regelmäßig aus dem Niemandsland zwischen Mittelfeld und Angriff zurückgepfiffen wird, darf nun seinen Vorwärtsdrang ausleben. Philipp Lahm wechselt zurück auf rechts, wo er sich nach eigener Auskunft „am wohlsten fühlt“. Und neben dem Mittelfeldchef Sami Khedira bekommt gegen die Färöer Inseln aller Voraussicht nach der BVB-Stratege Ilkay Gündogan eine Chance zur Bewährung. Der in Deutschland aufgewachsene Türke saß am Donnerstag schon mal auf dem Podium bei der täglichen Pressekonferenz und sprach so wie einer, der keinen Navigator mehr braucht, um ins Spiel zu finden. „Die schnelle Balleroberung möglichst schon in der gegnerischen Hälfte“, erläuterte Gündogan, „hat den Vorteil, dass man den Gegner vom eigenen Tor weghält. Und der Weg zum gegnerischen Tor wird kürzer.“ Das trainieren Löw und seine Spießgesellen seit Tagen. „Es sieht schon richtig gut aus“, verriet Gündogan mit einem Lächeln im Gesicht. Weil in Marco Reus ein weiterer Klopp-Jünger das Angriffsspiel belebt, könnte es klappen mit dem schnellen Umschalten von Abwehr auf Angriff – oder umgekehrt. Das Unfall-Risiko dürfte sich gegen die Maurermeister von den Färöer Inseln in Grenzen halten.

Der Bayern-Block im deutschen Team, so scheint es, ist jedenfalls Geschichte. Ab sofort lautet Löws neuer Plan: Ein bisschen mehr Dortmund, bitte!

Rehhagels Regel hat eine entscheidende Schwäche

Womit sich allem Anschein nach auch DFB-Kapitän Philipp Lahm anfreunden kann. Er ist zwar ein VIP aus dem Ensemble des eher betulich kickenden FC Bayern, doch nachdem das abwartende Ballgeschiebe so gar nicht zum Erfolg führen wollte, stehen jetzt auch in München die Zeichen wieder auf Sturm. Was zuletzt auch der VfB Stuttgart nach dem 1:6 bestätigen konnte.

Ob diese Bemühungen sozusagen zwangsläufig zum Weltmeistertitel 2014 führen, ist freilich eine andere Frage. „Immerhin spielen vier, fünf Teams weltweit auf diesem Niveau“, schätzt Philipp Lahm, „darunter die Jahrhundert-Mannschaft aus Spanien. Da kann es immer mal passieren, dass man in einem Halbfinale ausscheidet.“ Denn selbst wenn die deutschen Fußball-Helden laufen, als würden sie nach Kilometergeld bezahlt, und pressen, dass dem Gegner Hören und Sehen vergeht, sind Gegentore nicht ganz und gar auszuschließen. Denn Rehhagels Regel hat eine entscheidende Schwäche: Sie gilt im gleichen Maße für den Gegner.