Eher keine Biomarke: junge Leute beim Bier Foto: imago/Westend61

Im Supermarkt greifen immer mehr Menschen zu Bio. Beim Bier ist das anders. Das kann auch mit dem Reinheitsgebot zu tun haben.

Stuttgart - Wenn Discounter die Mitte der Gesellschaft abbilden, sind biologisch erzeugte Lebensmittel längst dort angekommen. Das gilt nicht nur für Gurken, Milch oder Nudeln, sondern auch für alkoholische Getränke. Wer durch die Gänge von Aldi, Lidl und Co. streift, findet dort auch Biocuvée, Bioprimitivo und Pinot Grigio in Bioqualität in den Regalen.

 

Bei Lebensmitteln boomt der Absatz von Bioprodukten seit Längerem. Laut Ökobarometer des Landwirtschaftsministeriums kaufen etwa 80 Prozent der Menschen in Deutschland immer wieder Bio ein. Der Marktanteil bei Biolebensmitteln und Biowein liegt immerhin bei sechs Prozent. Aber Bier dümpelt bei unter einem Prozent herum, so schätzt die Radeberger-Gruppe die Zahlen. Warum ist das so?

Ein Grund könnte das deutsche Reinheitsgebot sein, das am 23. April seinen 505. Geburtstag feierte. Das Reinheitsgebot sei ein akzeptiertes Qualitätsprädikat, sagte ein Geschäftsführer der Brauerei C. & A. Veltins einst gegenüber der Tageszeitung „Welt“. Bio bleibe eine Nische, „weil jedes Bier in Deutschland im Bewusstsein der Verbraucher ‚bio‘ ist“.

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Glyphosat im Bier trotz Reinheitsgebot

Das sieht man bei der Stiegl-Brauerei in Salzburg, obwohl Bio-erprobt, ähnlich. „Bier wird von den Konsumenten als reines Naturprodukt wahrgenommen. Was natürlich auch mit den Rohstoffen und dem Reinheitsgebot zu tun hat“, sagt Stiegl-Sprecherin Alexandra Picker-Rußwurm. Das Reinheitsgebot sagt allerdings nur etwas über die Zutaten aus – Hopfen, Malz, Hefe und Wasser, aber nichts über deren Qualität. Der Hopfen oder die Gerste für das Malz können also trotzdem mit Pflanzenschutzmitteln bearbeitet worden sein.

Untersuchungen des Münchner Umweltinstituts, eines Vereins von Umweltaktivisten, ergaben in den Jahren 2016 und 2017 erhöhte Mengen des Unkrautvernichters Glyphosat im Bier. Im extremsten Fall wurden 30 Mikrogramm Glyphosat festgestellt, das 300-Fache des erlaubten Grenzwerts für Trinkwasser. Eine Gefahr soll davon nicht ausgegangen sein. Aber das Beispiel macht klar, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auch im fertigen Bier nachweisbar ist. Müsste das nicht für Biobier sprechen?

Fast nur kleinere Brauereien brauen Bio

Das Problem ist: Wer Biobier kaufen möchte, findet es nicht im Discounter, oft auch nicht in etwas teureren Supermärkten, sondern nur in gut sortierten Getränkemärkten oder in Bioläden. Das liegt auch daran, dass kaum eine große Brauerei bisher auf Biobier setzt. Zwar brauen 13 von insgesamt 204 Brauereien in Baden-Württemberg Bio, bundesweit sind es 89, wie eine Übersicht der Seite „Über Bio“ ergibt. In der Regel sind es aber kleinere, die auf Bio umstellen.

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Hoher Aufwand, dieses Argument hört man von Brauern immer wieder, wenn es um Bio geht. Auch von der Schönbuch Braumanufaktur in Böblingen. Denn Schönbuch braut nicht Bio, keine der Brauereien im Raum Stuttgart tut das. Die Gerste dafür komme von 23 verschiedenen Landwirten rund um den Schönbuch. „Die Qualität ist hervorragend“, sagt Pia Radtke von der Schönbuch-Brauerei. Aber die Hürden für die Landwirte, um ihre Gerste Bio-zertifizieren zu lassen, seien hoch. Damit sich das rentiert, „müssten also noch mehr Brauereien an Biogerste interessiert sein“, sagt Radtke.

Biobier-Pioniere aus Bayern sind erfolgreich

Florian Weihrauch von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft hat den Mehraufwand untersucht, den es für Biohopfen braucht. Das Ergebnis: etwa ein Drittel mehr, als wenn er konventionell angebaut wird. Auch die Umstellung sei riskant. „Man darf da nicht blauäugig reinrennen“, sagt Weihrauch.

Als Lammsbräu Ende der 1970er Jahre anfing, erste Bioversuche zu machen, soll es Anfeindungen von anderen Brauern gegeben haben. Man war der Meinung, dass das Reinheitsgebot reicht. Aber Lammsbräu gründete eine Erzeugergemeinschaft für Brauereirohstoffe. Anfangs waren es zwei, heute 170 Landwirte, „die ausschließlich ökologisch wirtschaften“, sagt Lammsbräu-Inhaber Johannes Ehrnsperger. Und das Braugeschäft läuft. Während in Deutschland immer weniger Bier verkauft wird, verzeichnet Lammsbräu ein Plus.

Färbt das auf andere Brauereien ab? Der Baden-Württembergische Brauerbund sieht im Biobier eine Möglichkeit, dem negativen Absatztrend entgegenzuwirken. Mit der französischen Brauerei Kronenbourg wagt derzeit ein großes Unternehmen ein Bioexperiment. Bei Stiegl zählt das Biozwickl zu den erfolgreichsten Sorten. Das Interesse von jungen Brauern sei jedenfalls groß, sagt Landwirtschaftsexperte Florian Weihrauch. „Ich glaube, dass sich in den nächsten Jahren einiges tun wird.“

Der Bierabsatz sinkt stetig

Die Coronazeit ist für die Brauer keine gute. Um 5,5 Prozent ging der Absatz der deutschen Brauereien im Jahr 2020 laut dem Statistischen Bundesamt zurück. Es ist nur ein etwas schärferer Knick nach unten für eine Branche, deren Absätze seit Jahrzehnten abwärtsgehen. Seit 1993 sank der Bierabsatz um ein Viertel.

Deutschland ist immer noch der größte Biermarkt in Europa. Beim Pro-Kopf-Konsum liegt die Bundesrepublik auf Rang 3, 100 Liter Bier trinken die Menschen hierzulande pro Jahr. Nur Tschechen (142 Liter) und Österreicher (107 Liter) trinken noch mehr Bier.