Michael Ilg, stellvertretender Leiter des Referats Prävention in Tuttlingen, und Polizeihauptmeisterin Jessica Hakenjos sind an den Schulen im Schwarzwald-Baar-Kreis unterwegs. Foto: Leroy Behrens

Ein falscher Klick, ein verletzender Kommentar, ein verstörendes Video – die digitale Welt birgt für Kinder und Jugendliche viele unsichtbare Risiken. Mit dem Präventionsprogramm „Klasse im Netz“ geht die Polizei im Schwarzwald-Baar-Kreis aktiv an Schulen, um aufzuklären, zu schützen und zu stärken.

Ein unbedachter Klick – und das Leben kann sich schlagartig verändern. Vielen Schülern wird diese Realität erst bewusst, wenn es längst zu spät ist. Ob verletzende Kommentare auf Social Media, ungewolltes Begehen von Straftaten oder Mobbing in Klassengruppen: Das Internet ist für Jugendliche längst nicht nur Spielplatz und Unterhaltungsort, sondern auch eine Zone voller Risiken. Doch genau diese Gefahren bleiben oft im Verborgenen.

 

Um dem entgegenzuwirken, verstärkt die Polizei im Schwarzwald-Baar-Kreis ihre Präventionsarbeit an Schulen – mit besonderem Fokus auf Mediengefahren. Michael Ilg, stellvertretender Leiter des Referats Prävention in Tuttlingen, und Polizeihauptmeisterin Jessica Hakenjos berichten aus ihrem Alltag. „Das Thema ist so schnelllebig – man lernt täglich etwas Neues“, sagt Ilg. Seit 2005 ist er im Bereich Prävention tätig und hat in dieser Zeit zahlreiche Entwicklungen im Umgang mit digitalen Gefahren beobachtet. Hakenjos, die seit März 2024 Teil des Teams ist, empfindet die Arbeit in diesem Bereich als besonders bereichernd: „Es ist ein wahnsinnig schönes Berufsfeld der Polizei. Man kann wirklich etwas bewegen.“

Mediennutzung beginnt oft im Kindergarten

Früher sei er noch selbst regelmäßig in Schulklassen unterwegs gewesen, erklärt Ilg, heute überlasse er das vor allem seinen Kollegen. Eine von ihnen ist Jessica Hakenjos. Die Polizeihauptmeisterin ist beinahe täglich an Schulen im Einsatz. „Oft beginnt die Mediennutzung schon im Kindergarten“, erklärt sie – und macht damit deutlich, wie früh Aufklärung heute ansetzen muss.

Im Rahmen der Präventionsmaßnahme „Klasse im Netz“ geht die Polizei an Schulen, um mit den Schülern über die Gefahren der digitalen Welt zu sprechen. „Wir gehen in die fünfte bis siebte Klassen, aber bei einer Anfrage lehne ich es auch nicht ab, in höhere Klassen zu gehen“, sagt Hakenjos. Mehr als 90 Prozent der Präventionsanfragen, die bei ihr eingehen, betreffen die Mediennutzung. Umso wichtiger sei es, das Thema in den Schulen frühzeitig zu thematisieren. „Neben der dreistündigen Unterrichtseinheit halte ich auch regelmäßig Elternabende, um die Eltern für das Thema zu sensibilisieren“, berichtet sie. „Ich erwarte von den Eltern, dass sie diese Informationen an ihre Kinder weitergeben.“ Im Durchschnitt führt sie jede Woche drei bis vier Elternabende durch.

„Klasse im Netz“ arbeitet dabei nicht nur mit theoretischen Inhalten, sondern integriert auch praxisorientierte Elemente wie echte Fallbeispiele, Gruppenarbeiten und Filme, um das Thema greifbar zu machen. „Die Kinder hören immer gespannt zu, stellen viele Fragen und sind oft sehr betroffen, wenn sie erkennen, dass sie in bestimmten Bereichen gefährdet sind“, erklärt Hakenjos. „So konnten wir bereits viele Probleme in den Klassen lösen, besonders im Hinblick auf Mobbing.“

Kein Toilettengang aus Angst vor „Pennywise“

Ein Thema, das besonders erschreckend zugenommen hat, sind Horrorfilme und -spiele. „Ich war schockiert, als mich eine Lehrerin der ersten Klasse fragte, ob ich über Horrorfilme sprechen könne. Einige Schüler gehen den ganzen Tag nicht auf die Toilette, weil sie Angst vor Figuren wie ‚Pennywise‘ haben“, erinnert sich Hakenjos. Die Folgen für die Kinder sind gravierend: „Oft schlafen sie schlecht und haben Alpträume“, erklärt sie. „Nach 15 Jahren im Streifendienst dachte ich, mich schockt nichts mehr – aber da habe ich mich geirrt.“

„Im Internet gibt es viele Gefahren, die keiner kennt“, betont Hakenjos. „Aber wir verteufeln das Internet nicht. Im Gegenteil, es gibt auch viele positive Aspekte, man kann dadurch viel lernen. Aber man muss eben auch die Gefahren kennen.“ Dabei sind nicht nur die Kinder und Jugendlichen selbst gefragt, sondern auch die Eltern. „Die Kinder sind im Umgang mit digitalen Medien sehr fit, aber sie können die Gefahren oft nicht einschätzen“, so Ilg. „Da sind auch die Eltern gefragt, ihre Kinder zu begleiten und zu sensibilisieren.“

Ein besonders brisantes Thema ist das sogenannte Cybergrooming, bei dem sich Erwachsene online als Jugendliche ausgeben, um Kinder zu manipulieren. „Man kann nicht sehen, wer sich hinter einer Nachricht verbirgt, weil man die Person nicht kennt“, erklärt Ilg. „Mit künstlicher Intelligenz kann man vieles faken, und es ist für Erwachsene oft nicht sichtbar. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Kinder wissen, dass es solche Gefahren gibt. Viele Kinder glauben nur an das Gute, aber das ist eben nicht immer der Fall.“

Digitale Welt häufig gefährlicher als die Analoge

Hakenjos sieht noch einen weiteren Aspekt: „Die Eltern bringen ihren Kindern die Gefahren der analogen Welt bei, aber die Gefahren im Internet sind bei weitem nicht so gut bekannt.“ Die Kinder sind oft so in ihrer digitalen Welt verankert, dass sie die Risiken nicht erkennen. „Man merkt, dass sie untereinander so sprechen wie in der digitalen Welt, mit vielen Schimpfwörtern. Das ist ein Problem, denn solche Sprachmuster sind oft auch im Internet zu finden“, erklärt sie.

Ein weiteres großes Thema, das Hakenjos immer wieder anspricht, ist die Gewalt, die Kinder mittlerweile als „normal“ wahrnehmen. „Ein Sechstklässler sagte mir einmal, dass er das erste Video, das er sah, noch schlimm fand, aber mittlerweile sei es irgendwie normal geworden“, erzählt sie.

„Auch Mobbing hat durch die digitalen Medien ein anderes Ausmaß angenommen. Früher fand es meist nur in der Schule statt, heute geschieht es über WhatsApp oder andere Plattformen und ist viel leichter durchzuführen. Beleidigungen zu schreiben, ist einfach, viel einfacher, als jemandem etwas ins Gesicht zu sagen.“

Auch Ilg sieht, wie oft Kinder und Jugendliche in der digitalen Welt unbewusst Straftaten begehen. „Viele wissen gar nicht, dass sie durch das Teilen von extremistischen Inhalten wie Hakenkreuze eine Straftat begehen. Sie wissen oft nicht, was das wirklich bedeutet“, sagt Ilg. „Auch das Versenden von Nacktbildern oder pornografischen Inhalten ist ein Thema. Viele Kinder wissen nicht, wie gefährlich das sein kann, wenn diese Bilder weiterverbreitet werden. Deshalb ist es unser Ziel, die Kinder davor zu schützen.“

Aufklärung der Eltern als Schlüssel der Prävention

Für Hakenjos liegt der Schlüssel zur Prävention auch in der Aufklärung der Eltern. „Die Eltern sollten ihre Kinder frühzeitig über alles aufklären, was mit Sexualität zu tun hat“, betont sie. „Wenn das nicht passiert, erfahren die Kinder alles aus dem Internet und bekommen ein verzerrtes Bild.“ Je offener Eltern mit ihren Kindern über solche Themen sprechen, desto weniger Prävention müsse später betrieben werden.

Ein weiteres Problem, das nicht unbeachtet bleiben sollte, sind Fake News. „Über 61 Prozent der 12- bis 15-Jährigen sind schon auf Fake News reingefallen“, so Ilg. „Es ist wichtig, dass Kinder lernen, solchen Nachrichten zu misstrauen und sie zu hinterfragen.“

Die Präventionsarbeit der Polizei im Schwarzwald-Baar-Kreis zeigt, wie wichtig es ist, Kinder und Eltern für die Risiken der digitalen Welt zu sensibilisieren. Der frühe Einstieg in die Medienerziehung und die regelmäßige Aufklärung sind entscheidend, um die Jugend vor den Gefahren des Internets zu schützen. „Im letzten Jahr haben wir 354 Präventionsveranstaltungen zum Thema Medien durchgeführt und über 10 000 Schüler erreicht“, so Ilg. Im Schwarzwald-Baar-Kreis seien es 114 Veranstaltungen mit 1200 Schülern gewesen. Jessica Hakenjos ist derweil bis März nächsten Jahres komplett ausgebucht und weiter an den Schulen im Kreis unterwegs.