Schloss den Zwinger auf und wieder zu: der frühere Gefängnisarzt Wigbert Schuberth. Foto: Andreas Straub

Vom Leben hinter den Mauern, Brutalitäten, Missverständnissen und Ausbruchsversuchen erzählte der frühere Gefängnisarzt Wigbert Schuberth, der 34 Jahre in Rottenburg tätig war.

Einmal fuhr ein Tieflader vor, der eine Jacht ablieferte. Der Fahrer suchte den „Grafen“, der sie bestellt habe. Doch statt eines Adelssitzes stand er vor der JVA Rottenburg.

 

Ein wegen Hochstapelei verurteilter Häftling hatte das Boot tatsächlich bestellt – unentdeckt an allen Kontrollen vorbei. „Bis heute ein Rätsel“, sagte Schuberth. Der Mann bekam viereinhalb Jahre zusätzlich, „aber bereut hat er es nie – im Gefängnis war er danach der König.“

Auch ein spektakulärer Ausbruch 1990 scheiterte in letzter Minute. Während die Beamten heimlich die Fußball-WM sahen, standen 92 Häftlinge zum Ausbruch bereit. Doch sie gerieten in Streit, wer zuerst raus dürfe, und wurden entdeckt. „Wärter“ mag Schuberth nicht – das klinge nach Zoo. Der Begriff stamme von „warten“ im Sinne von „beobachten“.

Manchmal komme es zu kuriosen Szenen

„In der JVA sind 78 Nationen vertreten“, erzählte er. Manchmal komme es zu kuriosen Szenen. Ein Ungar fiel einst unter den Tisch, nachdem er eine Übersetzerin ungebeten angesprochen hatte. Auf Schuberths Nachfrage, was der Mann gesagt habe, meinte sie nur: „Es gibt Dinge, die eine Dame nicht übersetzt.“ Ein anderer Häftling, ein Somalier mit Schnupfen, verstand Schuberths Bemerkung „die Nase voll“ wörtlich. Als ein Student sagte, ähnlich doppeldeutig sei nur „Finnisch“, hörte der Gefangene „Finish“ und wollte gehen.

Schuberth berichtete auch über heutige Haftbedingungen mit Fernsehern und Werkstätten. Manche hielten das für zu komfortabel, doch der Strafvollzug habe sich stark gewandelt: von reiner Vergeltung hin zur Resozialisierung. Im 18. und 19. Jahrhundert standen Abschreckung und Züchtigung im Vordergrund. Gefängnisse waren düstere, überfüllte Orte, geprägt von Strafen und Isolation. „Strafe ist Strafe und soll weh tun“, habe damals gegolten. Der 1750 erbaute Amannhof mit 18 Zellen sei ein Beispiel. „Fühlen Sie sich wohl in diesem Jahr 1750“, sagte Schuberth ironisch. Noch schlimmer sei es im mittelalterlichen Zwinger gewesen – einem echten Verlies.

Im Amannhof war im 18. Jahrhundert ein Gefängnis. Foto: Andreas Straub

Mit der Aufklärung kamen neue Ideen: Strafe sollte auch bessern. Arbeit galt als Mittel zur Disziplinierung. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Vollzug zunächst von Mangel und Überbelegung geprägt, ehe in den 1960er- und 1970er-Jahren ein Umdenken einsetzte. Die Strafvollzugsreform von 1976 legte bundesweit fest, dass das Ziel die Resozialisierung des Gefangenen ist. Arbeit, Bildung und psychologische Betreuung wurden zentral.

„In einem Hotel des 18. Jahrhunderts ging es den Menschen schlechter als heute im Gefängnis“, sagte Schuberth. Essen, Heizung, medizinische Versorgung, Bewegung und soziale Betreuung seien heute selbstverständlich. Doch geblieben sei die soziale Schieflage: „Es gibt eine Klassenjustiz“, so Schuberth. Wer Geld habe, könne sich gute Anwälte leisten und habe eine bessere Sozialprognose.

Belastungen für Häftlinge und Bedienstete

Der Strafvollzug sei Ländersache und unterliege den jeweiligen Landesgesetzen. Dennoch bleibe die Realität schwierig: Überbelegung, Personalmangel und wachsende psychische Belastungen belasten Häftlinge wie Bedienstete.