Falsche Briefe an Stuttgarter Haushalte bitten um Spenden wegen Kostenexplosion bei S21.
Stuttgart - Die Stuttgarter sollen fürStuttgart 21 spenden, weil das Bahnprojekt „völlig überraschend“ teurer wird. So steht es in einem Bettelbrief an etliche Haushalte in der Landeshauptstadt. Doch Vorsicht! Das Schreiben mit der kopierten Unterschrift von Oberbürgermeister Wolfgang Schuster ist eine Fälschung.
Mancher Stuttgarter Normalbürger fühlt sich sicher gebauchpinselt, wenn er dieser Tage einen Brief seines Oberbürgermeisters im Briefkasten findet. „Jetzt sind Sie gefragt, wie es mit Stuttgart 21 weitergeht“ – mit dieser Formulierung wendet sich Wolfgang Schuster bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres bittend an die Bürger. Zumindest erweckt das Schreiben, das dieser Tage an etliche Stuttgarter Haushalte verteilt worden ist, diesen Anschein.
Logo der Stadt inklusive Pferdle, Bild von Schuster rechts oben, Adresse des Rathauses, Unterschrift – die Machart entspricht exakt einem umstrittenen Brief an die Stuttgarter, mit dem OB Schuster vor der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 tatsächlich um ein Votum zugunsten des Bahnprojekts geworben hatte. Teils wurden jetzt identische Textpassagen von damals verwendet. So ist in beiden Schreiben die der Halbsatz „Es ist meine Pflicht, Ihnen zu sagen, . . .“ zu finden.
Inhaltlicher Unterschied: Jetzt bittet der mit „Ihr Wolfgang Schuster“ unterzeichnende Verfasser die Bürger, „für die aus unsrem Abstimmungsergebnis resultierenden Konsequenzen Verantwortung zu übernehmen“. Denn es hätten sich „völlig überraschende Mehrkosten“ ergeben, heißt es in dem Schreiben. Sprich: Nachdem mehrheitlich fürs Bahnprojekt gestimmt worden ist, soll nun auch mehrheitlich bezahlt werden.
Betrag soll ein Euro nicht unterschreiten
Man möge zu dem Zweck „einen Betrag in der Höhe dessen, was Sie persönlich in die zukünftige Mobilität Baden-Württembergs und unsere grüne Stadtentwicklung investieren wollen“, überweisen. Die Stadt gibt sich laut dem Schreiben mit „einen Einmalbetrag“ genauso zufrieden wie mit „einer kontinuierlichen Spende“. Aber bitte: Der Betrag sollte einen Euro möglichst nicht unterschreiten – wegen des Verwaltungsaufwands. Die Einführung des sogenannten Bahnhofspfennigs sei mit dem Gemeinderat zudem abgestimmt. Beigelegt ist dem Brief ein Überweisungsträger, versehen mit einem vermutlich erfundenen Aktenzeichen.
Erfunden wie der ganze Brief. Markus Vogt, Sprecher der Stadt Stuttgart, ringt nach Worten ob dieses schlechten Scherzes. „Hier wird versucht, mit einem gefälschten Schreiben Verunsicherung und Unfrieden in der Stadt zu stiften. Das ist unanständig. Eine üble Geschichte, hinter der erhebliche kriminelle Energie steckt.“ Weil ein Unterschied zum legalen OB-Schreiben zur Volksabstimmung vor einem knappen halben Jahr praktisch nicht auszumachen sei, könne man nicht ausschließen, dass manch gutgläubige Stuttgarter wirklich Geld überweisen. „Wir haben deshalb Anzeige wegen Urkundenfälschung erstattet“, so Vogt.
Eingetragenes Konto existiert tatsächlich
Das auf dem Überweisungsvordruck eingetragene Konto bei der Baden-Württembergischen Bank existiert tatsächlich und ist eines von mehreren Konten der Stadtkasse. Eingegangene vermeintliche Spenden würden daher, so es sich nicht um Cent-Beträge handelt, zurückgebucht. Bis Mittwochnachmittag wurden unter dem Betreff Bahnhofspfennig offenbar noch keine Spendeneingänge verbucht.
Wer einen solchen Brief in seinem Briefkasten vorfindet, dem rät Markus Vogt, auf einen Poststempel zu achten – mit einem solchen sei reguläre Post der Stadt versehen – oder im Zweifelsfall bei der Stadt nachzufragen. Per Telefon, E-Mail oder sogar persönlich haben dies am Mittwoch über 50 Stuttgarter gemacht. Der gefälschte Bettelbrief ist demnach stadtweit aufgetaucht, „ohne dass bis jetzt ein Schwerpunkt auszumachen ist“, so Vogt.
Gefälschte Schreiben kursieren nicht zum ersten Mal
Ob die Urheber des Briefs ausfindig gemacht werden können, ist zumindest fraglich. Schon einmal haben Unbekannte ein mit „Ihr Wolfgang Schuster“ unterzeichnetes Schreiben in Umlauf gebracht. Ende 2010 wurden damals im Zusammenhang mit Stuttgart 21 geschätzte Mieterhöhungen von 400 bis 500 Prozent angekündigt. Laut Claudia Krauth, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart, konnten die Täter bis heute nicht gefasst werden. Im aktuellen Fall werde nicht nur in Richtung Urkundenfälschung, sondern auch in Richtung Betrug, Verleumdung und übler Nachrede ermittelt, sagt Polizeisprecher Stefan Keilbach.
Wie 2010 könnte auch im vorliegenden Fall der erste Verdacht auf Stuttgart-21-Gegner fallen. Für das Aktionsbündnis schließt dessen Sprecher Hannes Rockenbauch allerdings jede Beteiligung aus: „Guerilla-Methoden entsprechen nicht unseren Mitteln, Themen politisch zu bearbeiten.“ Die Begleitung von Stresstests, Faktenchecks oder die Organisationen von großen Protestveranstaltungen seien die richtigen Hebel für den Widerstand.