Schramberg geht einen weiteren Schritt in seiner Erinnerungskultur: Künftig werden in allen Ortsteilen Stolpersteine auf die Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus hinweisen.
Schramberg - "Das ist ein tolles Signal. Dann können die Hauptamtlichen jetzt ja loslegen", freute sich Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr. Die Verwaltung hatte die Teilnahme an dem internationalen Projekt auf Antrag der Aktiven Bürger hin vorgeschlagen. Zudem entschied der Gemeinderat einstimmig, dass am Eingang zum Stollen der Luftschutzbunker in der Geißhalde eine Bild-Text-Tafel zum zeitgeschichtlichen Hintergrund des Baudenkmals angebracht wird. Das Thema war in der Januarsitzung vertagt worden, weil die Tagesordnung Infektionszahlen-bedingt klein gehalten, über dieses "wichtige Thema" aber auch angemessen beraten werden sollte, erinnerte Eisenlohr.
Großes Medienecho
Stadtarchivar und Stadtmuseumsleiter Carsten Kohlmann informierte, dass seinerzeit die Berichterstattung rund um das Thema ein großes Echo hervorgerufen habe – "es gingen Zusagen aus der Bürgerschaft und von Bürgervereinigungen ein, die Stolpersteine zu unterstützen", sagte er. Das Projekt wird durch Spenden finanziert. Stolpersteine sind Pflastersteine, auf denen eine Messingtafel die wichtigsten Daten zum Schicksal von NS-Opfern enthält. Sie werden im öffentlichen Raum in die Gehwege vor den Gebäuden eingelassen, in denen diese Personen ihren letzten freiwilligen Wohnsitz hatten. Sämtliche Exemplare werden durch den Initiator und Künstler Gunter Demnig aus Köln verlegt. In Schramberg könnte an etwa 100 Personen in allen Stadt- und Ortsteilen zusammengenommen in dieser Form erinnert werden. Um sich etwas darunter vorzustellen, sagte Kohlmann, dass vor dem Gebäude Berneckstraße 20 in der Talstadt zwei Papp-Muster angebracht seien.
Studentin informiert
Weshalb dort? Daran erinnerte Sarah Glocker. Die 21-jährige Lehramtsstudentin für Geschichte und Deutsch hat 2019 in Schramberg das Abitur gemacht und thematisierte erstmals im Rahmen eines Schulreferats das Schicksal der Jüdin Charlotte Dreyfuss und die Fluchthilfe durch den Redakteur August Ludwig Ackermann. Der Leiter des damaligen "Schwarzwälder Tagblatts" wurde im dritten Reich wegen seiner kritischen Berichterstattung immer wieder in der NS-Presse scharf angegriffen oder auch in Schutzhaft genommen, informierte Glocker. Im Zuge der Trümmerräumung versah er untergetauchte Juden mit neuen Papieren – so auch Charlotte Dreyfuss, die er unter falschem Namen eine Zeit lang bei sich unterbrachte. Die Redaktionsräume befanden sich seinerzeit eben in der Berneckstraße.
Sinnvolle Ergänzung für Jüngere
"Dass es sich bei Charlotte Dreyfuss, die der Ermordung im Gegensatz zu ihrem Vater und ihrem Sohn entgehen konnte, um ein Schicksal von vielen handelt, ist sowohl mir als auch Ihnen bewusst. Und gerade deshalb ist es wichtig über solche Einzelschicksale zu sprechen, weil so die Menschen hinter den so unfassbar scheinenden Zahlen sichtbar werden", so Glocker. Sie erläuterte die Wirkung der Stolpersteine, die einen gerade in ganz alltäglichen Situationen mit ihrem Inhalt träfen und so zum Nach- und Gedenken anregten. Weil gerade junge Menschen "oft eher weniger an den klassischen Gedenkveranstaltungen" teilnähmen, sieht Glocker darin eine sinnvolle Ergänzung zu der bereits in Schramberg bestehenden Erinnerungskultur in Form von Gedenktafeln, Ehrenmälern oder den Kranzniederlegungen am Volkstrauertag.
"Kann unser aller Schicksal sein"
Jürgen Winter (CDU) dankte Glocker für ihren Vortrag. Vor Monaten hätte noch niemand gedacht, dass es in Europa wieder einen Krieg geben könnte. Dieser wie auch vergangene Kriege hätten alle einen gemeinsamen Nährboden. Es sei also wichtig, die Erinnerung auch auf diese Weise wach zu halten, "dass dieses Schicksal der Einzelnen auch theoretisch jederzeit unser Schicksal sein könnte".
Info: Juristisch nicht anfechtbar
Thomas Brantner (CDU) sagte, die Erinnerungskultur müsse gegeben sein und leben, weshalb das Projekt zu unterstützen sei. Er fragte, inwiefern die aktuellen Hauseigentümer einbezogen würden. Das, sagte Kohlmann, sei andernorts bereits "Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen gewesen". Die Stolpersteine würde im Gehweg, dem öffentlichen Bereich eingelassen. Zudem werde immer versucht, die Gebäudeeigentümer mit ins Boot zu holen. Überwiegend seien die Reaktionen positiv – aber es sei nicht auszuschließen, dass es Kritik von Eigentümern gebe. Das Gremium treffe nun aber einen Grundsatzbeschluss und müsse diese dann aushalten – juristisch anfechtbar seien die Stolpersteine nicht.