Gleich zu mehreren Veranstaltungen zum Weltkriegsende luden die „Omas gegen rechts“. Nicht überall waren sie willkommen.
Zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren luden die Nagolder „Omas gegen rechts“ am 8. Mai zu verschiedenen Veranstaltungen ein. Da die Gedenkfeier am Mahnmal für die Gefallenen auf dem Friedhof nicht genehmigt wurde, war man dankbar für das Entgegenkommen der evangelischen Kirchengemeinde, die Feier kurzfristig in die Remigiuskirche verlegen zu dürfen.
Nach Begrüßung und Einführung durch Anna Ohnweiler, Gründerin und Sprecherin von „Omas gegen rechts“, trug Helmut Luckert Auszüge aus einem Gemeindebrief von 1975 vor, in dem die damalige Mesnerin Lydia Roller über ihre dramatischen Erlebnisse am Ende des Krieges berichtete.
22 Soldaten wurden in der Remigiuskirche aufgebahrt
Erschütternd, was sich damals in der Remigiuskirche abspielte. Täglich lagen hier tote Soldaten und Zivilisten aufgebahrt. Darunter eine siebenköpfige Familie, die sich aus Verzweiflung das Leben genommen hatte. Oder ein 17-jähriger Soldat, dessen Mutter über seine Erkennungsmarke ausfindig gemacht wurde. Vor ihr läge ihr einziges Kind, nachdem ihr Mann und der ältere Sohn im Krieg gefallen seien. 22 Soldaten wurden in der Remigiuskirche aufgebahrt, bis man ihre Angehörigen finden und diesen übergeben konnte. Einige Soldaten mussten ohne Anwesenheit der Angehörigen auf dem Nagolder Friedhof beerdigt werden.
Helga Mühleisen berichtete von den letzten Kriegstagen in ihrem Heimatdorf in Hohenlohe sowie in Südwestdeutschland. Mehr als 225 000 Wehrmachtsangehörige und 40 000 Zivilpersonen waren hier umgekommen. Hinzu kamen die unzähligen deportierten und ermordeten jüdischen Menschen. Helga Mühleisen erinnerte auch an die über 10 000 Opfer, die die so genannte „Euthanasie“, der Mord an kranken und behinderten Menschen, allein in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb gekostet hatte. 15 der Opfer stammten aus Nagold. Für drei von ihnen konnten inzwischen „Stolpersteine“ in der Innenstadt verlegt werden.
Die Grüße von Rottenburgs Oberbürgermeister Neher überbracht
Nach der Feier in der Remigiuskirche legte Anna Ohnweiler je einen Blumenkorb mit Schleife „Nie wieder!“ am Ehrenmal für die in beiden Weltkriegen 394 gefallenen Nagolder sowie am Gedenkstein für die 44 dort begrabenen sowjetischen Zwangsarbeiter nieder.
Im Anschluss an das Gedenken auf dem Friedhof fuhren die Omas zum jüdischen Friedhof nach Baisingen. Dort überbrachte der Leiter des Rottenburger Stadtarchivs, Peter Ehrmann, die Grüße von Oberbürgermeister Neher.
Bundeszentrale für politische Bildung zeichnet Omas aus
Besonders berührend war der Beitrag von Dorit Adar, einer Frau jüdischen Glaubens, die seit zwei Jahren mit ihrer Familie in Pfrondorf wohnt. Nach einem Bericht über das Schicksal der Juden in Baisingen schlug sie den Bogen zu ihrer eigenen jüdischen Familie Deutschländer aus Hamburg. Ihr Großvater Helmuth Deutschländer konnte 1938 nach Palästina fliehen und von dort nach Australien auswandern. Andere Familienmitglieder wurden deportiert und in Konzentrationslagern ermordet. An sie erinnern heute „Stolpersteine“ in Hamburg.
In ebenso berührenden Worten berichtete der frühere Nagolder Arzt Dr.Fredy Kahn vom Schicksal seiner jüdischen Vorfahren in Baisingen. Sein Vater Harry Kahn war als einziger überlebender Jude nach dem Krieg in sein Heimatdorf Baisingen zurück gekehrt, nachdem er verschiedene Konzentrationslager überlebt hatte.
Die Veranstaltungen wurden begleitet und gefilmt von einem dreiköpfigen Film-Team der Bundeszentrale für politische Bildung, das extra aus Berlin angereist war. Anlass ist die Verleihung des Preises „Botschafter/Botschafterinnen für Demokratie und Toleranz“ der Bundeszentale für politische Bildung an die „Omas gegen rechts“. Anna Ohnweiler wird den Preis im Rahmen eines Festaktes am 23.Mai in Berlin entgegen nehmen.