Schon vor Jahren hat die vier Gechinger Organisten die Leidenschaft für Orgelmusik gepackt. Foto: Schwarzwälder Bote

Jahr der Orgel: Evangelische Kirchengemeinde Gechingen hat gleich vier Organisten / Langfristige Planung derzeit erschwert

Die Orgel ist das Instrument des Jahres 2021. So haben es die Landesmusikräte festgelegt. Mit der Königin der Instrumente haben es in der evangelischen Kirchengemeinde gleich vier Organisten zu tun – ganz schön komfortabel für den kleinen Ort.

Gechingen. Hartmut Benzing, Adelheid Leverenz, Tilman Schwarz und Miriam Kühn-Junge begleiten die Gottesdienste, Hochzeiten sowie Taufen auf der Orgel in der Martinskirche, und auch so manches Konzert haben sie schon mit dem erhabenen Instrument bereichert.

Die Kirchentür ist offen und es dringen die Orgelklänge eines Gottesdienst-Vorspiels nach draußen auf den sonnigen Kirchhof. Benzing ist als erster des Organisten-Quartetts zum Gespräch angekommen. Da noch Zeit war, habe er "ein wenig von dem gespielt, was ich vor 40 Jahren schon gespielt habe", sagt er schmunzelnd. In wenigen Tagen feiert er seinen 80. Geburtstag. 1953 hat er mit zwölf Jahren angefangen, Orgel zu spielen. Er und seine zwei Schwestern, die später ebenfalls Organistinnen wurden, haben zunächst Klavierunterricht genossen. 1957 absolvierte er die kirchenmusikalische C-Prüfung und wurde 1962 als junger Lehrer offizieller Organist in Spaichingen. "Voraussetzung dafür war, dass ich auch den Kirchenchor leite." Nach Gechingen kam er 1971 mit seiner Familie und seither spielt er auf der 1874 von der Orgelbaufirma Schäfer aus Heilbronn im Gechinger Gotteshaus aufgestellten Orgel.

Eine ähnlich lange Organistinnen-Geschichte hat Adelheid Leverenz (83). Das Orgelspiel wurde ihr quasi in die Wiege gelegt: Der Vater war Pfarrer in Stuttgart-Vaihingen und die Mutter die Organistin der dortigen Kirchengemeinde. Zum Klavierunterricht kam bald auch der an der Orgel und sie legte in jungen Jahren ebenfalls die C-Prüfung ab. Seit 1975 lebt sie mit ihrer Familie in der Gäugemeinde, spielt seither die Orgel in der Martinskirche und ist laut Pfarrer Ulrich Büttner die "Cheforganistin". Darauf angesprochen, muss sie lachen, sie sei nicht der Chef, sondern: "Ich mache den Orgelplan und teile ein, wer von uns wann an der Reihe ist." Dies ist in der momentanen Corona-Zeit nicht ganz einfach, weil oft recht kurzfristig klar sei, was bezüglich der Gottesdienste oder aktuell einer in Kürze geplanten Hochzeit möglich und erlaubt sei. In Vor-Corona-Zeiten waren längerfristige Planungen möglich, was den einzelnen Musikern selbst auch mehr Planungssicherheit gab.

Das erzählt auch Tilman Schwarz (62), der zeitlebens in Gechingen zuhause war und ist und sich auch als Gemeinderat im Ort engagiert. "Der Bua spielt doch Klavier..." Diese "Anfrage" aus der Kirchengemeinde an die Eltern des damals 14-jährigen Tilman führte zu seinem Einstieg ins Orgelspiel. "Ich war ein braver Bua und hab g’macht, was man von mir wollte", sagt er schmunzelnd auf die Frage nach seiner Motivation, als Jugendlicher den Sonntagvormittag beim Orgelspiel in der Kirche zu verbringen. Wie Leverenz und Benzing ist er ausgebildeter Kirchenmusiker mit C-Prüfung. Als er den Führerschein hatte, kam eine weitere Motivation dazu: "Ab da war ich im gesamten Oberamt unterwegs und hab Vertretungen gemacht, ich fahr auch jetzt noch gern woanders hin, nach Würzbach, nach Alt- und Neuhengstett, Simmozheim oder Ottenbronn und in weitere Gemeinden des heutigen Kirchen-Distrikts."

500 Jahre Martinskirche

1981 feierten die Gechinger das 500-jährige Bestehen ihrer Martinskirche mit einem großen Fest. Schwarz hat damals in der Festschrift die Geschichte der Orgeln dargelegt. Erstmals wurde eine im Jahr 1751 in einem Kirchenprotokoll erwähnt. Die Kirche und die heutige Orgel waren bei einem Fliegerangriff in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt worden. 1953 wurde sie von der Chor-Empore auf die Seitenempore versetzt und ein weiteres Mal renoviert sowie erweitert. Seither ist die Orgel mit 20 Registern in zwei Manualen und einem Pedal unverändert zu hören.

Für Schwarz war die große Hauptausreinigung des Instruments 1973 ein prägendes Erlebnis: "Ich war über die ganzen Sommerferien sozusagen der Hilfsarbeiter des Herrn Mühleisen von der Firma Weigle", erzählt er, "die Orgel war total zerlegt und alle Pfeifen im Kirchenraum ausgelegt." Dabei habe er verstanden, wie eine Orgel aufgebaut ist und funktioniert.

Ein herausragendes Erlebnis für Schwarz und Benzing markiert der Gemeindeausflug 2003 unter anderem ins rumänische Hermannstadt, wo sie für ihre Reisegruppe auf der großen Orgel der Stadtpfarrkirche spielen konnten.

Die jüngste im Bund der Gechinger KirchenmusikerInnen ist seit etwa vier Jahren Miriam Kühn-Junge (48). "Bereits als kleines Mädchen wollte ich Klavier spielen." Bis heute ist sie dabei geblieben. Während des Studiums der Religionspädagogik und der Gemeindediakonie hat sie "eine Schmalspur-Orgelausbildung genossen", wie sie erzählt, "die Anforderungen an die D-Prüfung, die Voraussetzung für die C-Prüfung ist, haben mich als junge Mutter mit zwei Kindern jedoch davon abgehalten."Außerdem hätte sie zum Üben immer in die Kirche gemusst, was für sie damals nur schwer zu organisieren gewesen wäre. Sie spielt sehr gern das E-Piano, hat vor vier Jahren begonnen mit der Begleitung des Voco-Chors und sich dann auch getraut, ganze Gottesdienste zu begleiten.

"Uns ist es ein Herzensanliegen, dass die Vielfalt der Musik in der Gechinger Kirche erhalten bleibt, dazu gehört definitiv auch die Orgel", macht Schwarz für das Quartett noch mal deutlich. Ihnen ist jedoch auch klar, dass es dafür Nachwuchs braucht, der momentan nicht in Sicht ist. Die vier bleiben jedoch zuversichtlich, dass es gelingt, wieder junge Menschen für die Kirchenmusik zu begeistern.

"Seit 2017 sind Orgelmusik und -bau durch die Unesco als Immaterielles Kulturerbe anerkannt", informiert die Website des Landesmusikrates Baden-Württemberg. Dies auch deshalb, weil Deutschland zu den wichtigsten Ländern für die Weiterentwicklung des Orgelbaus und der Orgelmusik gilt. Keine Orgel gleicht der anderen, sie wurden und werden gebaut speziell für den architektonischen Raum, in dem sie erklingen sollen. An den vielen erhaltenen und restaurierten Orgeln ist die Stilvielfalt von mehr als 500 Jahren Kirchenmusik klanglich zu erleben.