Thomas Schreckenberger fehlt derzeit der Kontakt zum Publikum, "dieses Erlebnis, mit fremden Menschen plötzlich etwas zu teilen, das man selbst erschaffen hat." Foto: Martina Bogdahn

Künstler äußert sich zu existenziellen Nöten sowie seinem Umgang mit Corona und dem erneuten Lockdown.

Gechingen - Musiker, Unterhalter, Schauspieler, Schriftsteller und Kabarettisten wie Thomas Schreckenberger aus Gechingen – mehrfach ausgezeichneter Kleinkunstpreisträger und gern gesehener Gast in Fernsehen, Rundfunk sowie auf Kleinkunstbühnen – trifft die Corona-Krise hart. Der Künstler erläutert im Interview, wie er als Soloselbstständiger zurecht kommt, wie er mental mit der Situation umgeht und ob er sich einen Plan B zurechtgelegt hat, sollte er auf längere Sicht nicht mehr in seinem Beruf arbeiten können.

Was bedeutet es für Sie, nicht nur in finanzieller Hinsicht, nicht auftreten zu können?

Nun, seit März sind Dutzende von Auftritten entfallen, da müssen wir über die finanziellen Folgen gar nicht reden. Aber der Künstlerberuf ist ja zudem auch etwas, das man aus vollem Herzen betreibt, das ist etwas, was einen als ganze Person ausmacht und kein Job, den man halt von 9 bis 17 Uhr betreibt. Und wenn man dann in diese Unsicherheit gerät, dass man sich immer fragen muss "Wann darf ich wieder auftreten?", "Wann wird es wieder eine Schließung geben?", wenn man sich quasi nur von Woche zu Woche hangelt und jederzeit wieder mit Absagen rechnen muss, dann geht das einem natürlich auch psychisch nah. Und als Bühnenmensch fehlt einem halt der Kontakt zum Publikum, dieses Erlebnis, mit fremden Menschen plötzlich etwas zu teilen, das man selbst erschaffen hat. Das ist ein überaus beglückendes Gefühl.

Wie sind die vergangenen Monate bei Ihnen aus künstlerischer Sicht verlaufen?

Nun ja, ich habe mich mit verschiedenen Aktivitäten so durchgewurschtelt: Streaming, Autokino, Open Air, ein TV-Auftritt, ich habe Texte für eine Webserie geschrieben. Und seit September ging es ja dann auch bei den Bühnen und Theatern wenigstens teilweise mit all den Einschränkungen wieder los, vor weniger Zuschauern und mit weniger Auftritten als gewohnt, aber immerhin. Und jetzt hat man diesen Stecker wieder gezogen. Ich weiß natürlich, dass man angesichts der steigenden Infektions-Zahlen reagieren musste, aber ob es auch Restaurants und Theater treffen musste, das sei mal dahingestellt.

Haben Sie sich bereits einen Plan B zurechtgelegt, sollte es zu weiteren Lockdowns kommen? Keiner weiß ja, wie es mit der Corona-Pandemie weitergeht.

Bis jetzt ist schon der Wille da, durchzuhalten – wie gesagt, Künstler sein ist ja auch eine Art Berufung, das wirft man nicht so einfach weg. Ich war ja früher Lehrer, aber da bin ich jetzt auch schon 13 Jahre raus, da weiß ich nicht, ob man das beiden Seiten zumuten sollte…

Reicht Ihrer Meinung nach die finanzielle Soforthilfe für Kunstschaffende aus?

Absolut nicht! Die Soforthilfe des Bundes kommt ja nur für Betriebskosten auf – aber viele Künstler haben gar keine oder nur wenig, müssen ja aber trotzdem für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Das Land Baden-Württemberg hat ja hier noch etwas draufgelegt, immerhin! Aber der jetzige Ansatz, dass für die Ausfälle im November ein Teil des Umsatzes vom Vorjahresmonat oder Jahresschnitt ersetzt werden soll, wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung. Hoffen wir, dass das auch so kommt! Man muss immer feststellen: Wir hatten schon im März quasi ein Berufsverbot! Kein Künstler, kein Techniker, kein Veranstalter hat persönlich etwas falsch gemacht! Wir waren die ersten, die nicht mehr arbeiten durften und werden die letzten sein, die es wieder wie früher tun können!

Ist das derzeitige Schicksal Kreativer Ihrer Meinung nach auf politischer Ebene eher nebensächlich?

Zum einen ist unser Berufsstand natürlich eher auf ein Einzelkämpferdasein ausgelegt, es rächt sich jetzt, dass es keine gemeinsame Interessenvertretung oder Lobbyismus gibt wie in anderen Bereichen. Da wünscht man sich schon manchmal eine Fluggesellschaft oder ein Schlachthof zu sein, denn da hieß es ja sehr schnell "The show must go on", Schlachten und Fliegen sind da halt eher systemrelevant. Bezeichnend ist ja auch, dass die Politik immer davon redet, dass man die Wirtschaft am Laufen halten müsse. Da übersieht man gerne, dass wir keine Hampelmänner sind, die ein bisschen Quatsch machen, sondern in unserer Gesamtheit einen bedeutenden Wirtschaftssektor darstellen. Die Kultur- und Kreativwirtschaft hat 2019 über 170 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet und es sind über 1,2 Millionen Menschen in ihr tätig. Wir sind halt nicht nur das Land von Daimler und VW, sondern auch von Goethe und Schiller. Da sollte man öfter mal dran erinnern!

Wie gehen Sie mit der Krise um und wie leben Sie und Ihre Familie damit? Gehen Sie als Kabarettist womöglich ganz anders mit der Krise um als viele andere – nach dem Motto: Wer monatelang keine Termine und Auftritte hat, hat jede Menge Zeit für neue Ideen?

Ich bin sehr froh und dankbar, dass meine Frau einen sicheren Job hat und ich selbst glücklicherweise die letzten Jahre gut im Geschäft war. Ich kenne Kollegen, wenn da beide Künstler sind, dann bleibt nur der Gang zum Amt und der Hartz IV-Antrag. Und langweilig wird mir nicht – kürzlich durfte ich wieder zwei unserer Kinder beim Homeschooling unterstützen, weil deren Schule schon wieder zwei Wochen zu war. Und das wird sicher nicht das letzte Mal sein, fürchte ich.

Mit den neuen Ideen ist es so eine Sache – man möchte sie ja auch auf der Bühne umsetzen können. Ich bin ja aber auch als Autor tätig, habe da an einem Buch für einen Kollegen mitgeschrieben oder eben für eine Internet-Sendung, jetzt kommen Texte für die SWR-Sendung "Das jüngste Gerücht", aber auch diese wird es diesmal nur in abgespeckter Form geben. Man versucht halt dann, in diesem Bereich mehr zu machen.

Welche Auswirkungen hat Corona aus Ihrer Sicht auf Kunst und Kultur allgemein?

Ich denke, es werden einige auf der Strecke bleiben: Theater, die schließen, Künstler, die sich anders orientieren. Auf jeden Fall besteht die Gefahr, dass die Szene kleiner und ärmer geworden ist, wenn die Krise mal vorbei ist.

Ist Kultur ein Luxus, den man sich leisten oder den man auch ohne Weiteres einfach ohne jegliche Folgen streichen kann?

Christoph Schlingensief hat mal den schönen Satz gesagt: "Der Mensch besteht eben nicht nur aus Chemie, sondern auch aus ganz viel Sehnsucht." Und diese Sehnsucht wird doch durch Kunst und Kultur verkörpert. Problematisch ist natürlich, dass Kunst und Kultur durch das Netz, durchs Fernsehen ständig verfügbar zu sein scheinen, aber zum einen stehen auch dahinter Menschen, die von etwas leben müssen und zum anderen ersetzt keine Konserve das echte Erleben eines Live-Events – die Nähe zum Künstler, der Austausch mit anderen Zuschauern und das Glas Wein in der Pause. All das drückt doch die Sehnsucht aus, von der Schlingensief spricht.

Wenn wir nicht aufpassen, dann bleiben vom Land der Dichter und Denker irgendwann nur noch "Bauer sucht Frau" und "Die Bachelorette" übrig. Daher muss die Politik helfen, und natürlich muss auch das Publikum wieder zu uns kommen, sobald das möglich ist. Es gibt keine bekannten Infektionsgeschehnisse in Theatern oder anderen Veranstaltungsräumen. Daheim ist es viel gefährlicher! Daher müsste man die Menschen auffordern: Wenn ihr in Sicherheit sein wollt, dann besucht die Kulturbetriebe, denn die machen sich wirklich Gedanken, wie sie ihre Gäste schützen können! Das mag bei Onkel Gerds 70. Geburtstag dann weniger der Fall sein…