Gasspeicheranlage im rheinland-pfälzischen Frankenthal – solange die Speicher nicht gefüllt sind, herrscht in Europa Alarmstimmung Foto: dpa/Uwe Anspach

Im Fall von Gasengpässen könnten die Mitgliedsstaaten auch zum Sparen gezwungen werden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen appelliert an die „Energiesolidarität“ zwischen den Ländern.

Die Staaten der Europäischen Union müssen Gas einsparen. Dazu haben sie sich am Dienstag auf einen Notfallplan zur Senkung des Konsums geeinigt. Die Staaten sehen sich zu diesem massiven Schritt gezwungen, weil Russland seine Gaslieferungen wie eine Waffe in einem Wirtschaftskrieg einsetzt. Damit will der Kreml den Westen spalten, damit dieser die Sanktionen lockert. So hat der russische Gaskonzern Gazprom angekündigt, die Lieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 von derzeit 40 Prozent auf 20 Prozent der maximalen Kapazität zu senken.

Nationaler Konsum soll freiwillig um 15 Prozent gesenkt werden

Dieser Schritt ist nach den Worten der EU-Energiekommissarin Kadri Simson politisch motiviert. Sie weist die Behauptung des Unternehmens zurück, die Lieferung müsse wegen der Wartung einer Turbine verringert werden. „Wir wissen, dass es dafür keinen technischen Grund gibt“, sagte Simson vor dem Treffen der Energieminister in Brüssel.

Konkret sieht der von der EU-Kommission vorgeschlagene Plan vor, den nationalen Konsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei weitreichenden Versorgungsengpässen einen Unionsalarm auszulösen und verbindliche Einsparziele vorzugeben. Die Kommission wollte eigentlich noch wesentlich weitergehen, doch die EU-Mitgliedsländer haben während tagelanger Verhandlungen die Eingriffsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt. Es wurden mehr

Die Solidarität zwischen einzelnen Staaten ist lückenhaft

Ausnahmemöglichkeiten formuliert. So können etwa Länder wie Zypern, Malta und Irland nicht zum Gassparen verpflichtet werden sollten, solange sie nicht direkt mit dem Gasverbundnetz eines anderen Mitgliedstaats verbunden sind. Sie bekommen einen Freibrief, wenig oder gar kein Gas einzusparen – die viel beschworene „Solidarität“ mit Deutschland, Österreich oder anderen von russischem Gas abhängigen Ländern ist damit lückenhaft.

Auch die Hürden für die Einführung von verbindlichen Einsparzielen wurden deutlich erhöht. Die Regierungen wollten hier der EU-Kommission nicht zu viel Einflussmöglichkeiten bieten, deshalb wird der Rat der Mitgliedstaaten das letzte Wort haben. Der Alarm in der Union wird nun erst ausgelöst, wenn eine Gruppe von 15 Ländern zustimmt. Zudem müssen diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen.

Deutschland wird deutlich mehr Gas sparen müssen als andere Länder

Deutlich wird, dass Deutschland in diesem Winter voraussichtlich deutlich mehr Gas sparen muss als andere Länder, um bei einem möglichen russischen Gaslieferstopp massive Probleme für die Industrie oder sogar eine Rezession zu verhindern. Dies sei „keine Schande“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Brüssel und verwies auf die „strategischen Fehler“ der Vorgängerregierungen und die hohe deutsche Abhängigkeit von russischem Gas. Zugleich äußerte er Sorge über die vielen Ausnahmen.

Gegen den Gasnotfallplan hat es massiven Widerstand einiger EU-Länder gegeben. So stemmt sich Polen gegen das verpflichtende Einsparen von 15 Prozent des Verbrauchs. „Wir können über freiwillige Mechanismen sprechen, wir können über Einsparungen in den einzelnen Ländern sprechen“, sagte die Umwelt- und Klimaministerin Anna Moskwa in Warschau. Aber es sei schwierig, einem pauschalen Einsparziel zuzustimmen, „ohne zu wissen, wie der kommende Winter aussehen wird“. Das Land befindet sich allerdings in einer komfortablen Position, da die polnischen Gasspeicher zu 98 Prozent gefüllt sind. Warschau hatte schon früh vorgesorgt, nachdem Russland die Lieferungen an das Land bereits im April eingestellt hatte.

Kein Mitgliedstaat kann sich den Folgen entziehen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte allerdings, dass ein Gasnotstand Auswirkungen auf die gesamte EU habe. „Auch Mitgliedstaaten, die kaum russisches Gas beziehen, können sich den Folgen eines möglichen Lieferstopps in unserem Binnenmarkt nicht entziehen“, sagte sie kurz vor einem Sondertreffen der Energieminister an diesem Dienstag. Die Volkswirtschaften in der EU seien eng miteinander verwoben. Eine Gaskrise beträfe in der einen oder anderen Form jeden Mitgliedstaat. „Deshalb ist es wichtig, dass alle Mitgliedstaaten die Nachfrage drosseln, dass alle mehr speichern und mit denjenigen Mitgliedern teilen, die stärker betroffen sind“, ergänzte von der Leyen. Energiesolidarität sei ein Grundprinzip der europäischen Verträge.