Es sei ein einzigartiger Vorgang, sagt der Schauspieler Thomas Thieme (links auf dem Bild), in den Fokus eines Malers wie Harald Reiner Gratz zu geraten. Foto: Leif Piechowski

„Der Maler und der Spieler“ heißt eine Ausstellung in der Galerie Abtart in Stuttgart-Möhringen. Der Maler Harald Reiner Gratz porträtiert den Schauspieler Thomas Thieme. Eine Begegnung zweier Brüder im Geiste.

Thomas Thieme geht umher und sieht sich selbst. „Die kenn’ ich ja noch gar nicht.“ Zeichnungen der Molière-Passion bei den Salzburger Festspielen. „Liebe ist . . .“, der Titel des Bildes erinnert an eindrückliche Szenen in Luk Percevals fünfstündiger Inszenierung. Thieme, der ins Mikro pumpt, rasend, cholerisch, verzweifelnd: Was ist Liebe? Was ist Eitelkeit? Was ist Kunst?

Rechts neben den Bildern in der Galerie Abtart eine Figur, sich leicht krümmend. „Ein Zwerg.“ Kurze Pause. „War ich noch nicht.“ Der Maler ist ja kein Auftragskünstler. Obwohl die Begegnung so anfangen sollte. Harald Reiner Gratz zeigte in Weimar Penthesilea-Bilder. Dann eine Auftragsidee vom Deutschen Nationaltheater Weimar, ob er Thieme malen würde, der da den Faust gespielt hatte. Dazu kam’s nicht, sagt Gratz. Thieme hänge nicht als Faust in der Kantine. Kantine? Mürrischer Seitenblick von Thieme. Wäre ja wohl nicht angemessen, auf Kollegen runterzugucken. Jedenfalls: Damals wussten sie voneinander, kannten sich aber nicht. Der Maler hatte den Schauspieler spielen gesehen. Der Schauspieler besaß eine Arbeit des Malers. Etwas Semifigürliches. Da war Thieme überrascht, sagt er und neugierig, wie er aussehen würde, wenn Gratz ihn malt. Er als abstraktes Bild? Er tätschelt seinen Bauch und deutet auf eine rote Tasse neben ihm auf dem Sofa. „Eine Kugel, was sonst. In Signalrot, mit einem schwarzen Punkt oben.“ Gratz schweigt, er wirkt nicht einverstanden. „Keeene Kugel.“ Der Maler hat seine Vorstellungen von dem Schauspieler, von den Geschichten, in die er passen würde. Er sieht ihn auch als Don Juan (ein Bild, das Thieme inzwischen besitzt). Thieme ist ein Verführer, ein Charismatiker. Das weiß jeder, der ihn als Faust in Weimar, als Molière in Salzburg, als Othello an den Münchner Kammerspielen erlebt hat.

Zu viel Dramaturgengeschwurbel im Theater

„Emotion, Emotion, Emotion“, sagt Thieme. „Das ist es, was unserer Gesellschaft fehlt, Emotion.“ Weil er die auch im Theater nicht mehr sieht, spielt er kaum noch. Zu viel Dramaturgengeschwurbel. Stattdessen dreht er, er ist in Fernsehkrimis und in Filmen wie „Das Leben der Anderen“, „Baader Meinhof Komplex“, „Effi Briest“ zu sehen. Er macht eigene Projekte wie mit dem Regisseur und Ludwigsburger Filmakademiechef Thomas Schadt, mit dem er 2011 einen grandiosen Karl-May-Abend bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen erarbeitete. Und dann ist da die Zusammenarbeit mit Gratz. „Das ist schon ein einzigartiger Vorgang, in den Fokus eines Malers zu geraten und sich plötzlich in Essig und Öl wiederzufinden“, so Thieme.

Und so burschikos er sich bei seinem Galeriebesuch in Möhringen jetzt gibt, ein bisschen geniert es ihn halt doch, den jüngeren Malerfreund so reden zu hören. „Er ist ein schöner Mann“, sagt Gratz (50). „Man kann vieles in ihm sehen.“ Und Thieme (64) ruft sofort: „Er läuft mir nach! Es gibt schon einstweilige Verfügungen.“ Aufgerissene Augen, Donnergrollstimme. Die beiden sind gut aufeinander eingespielt, sie können sich inszenieren. Ähnliche Herkunft, ähnlicher Humor, ähnlicher Kunstsinn. Einer ist ernst, einer macht Faxen.

„Wir sind sehr deutsche Künstler“

Was beide umtreibt – das Deutsche. Kleists Penthesilea im Bild, Goethes Faust auf der Bühne. Und Hebbels „Nibelungen“ als inszenierte Lesung mit Schauspielkollegin Lea Draeger und der Schlagzeugerin Imogen Gleichauf am Abend in der Galerie. „Wir sind sehr deutsche Künstler“, sagt Thieme. Gratz spielt auf ihre Herkunft an: „Normalerweise gehen wir in Thüringer Tracht.“ Was das sei, das Deutsche? Schwer zu definieren. „Es wollen ja alle ausbüxen“, sagt Thieme. „Alle flüchten sich ins Romanische oder Slawische. Alle sind ja eigentlich Pariser oder Römer.“ Nur nicht deutsch sein – bei der Geschichtslast. „Ich will aber nicht so tun, als wäre ich nicht verantwortlich“, sagt Thieme. Gratz nickt. „Man kann nicht so tun, als interessiere es einen nicht, in welchem Land man sich befindet.“

Dann doch eine Definition. Janusköpfigkeit. Thieme: „Einerseits die schwermütige Tiefsinnigkeit, die sich auch in der Romantik widerspiegelt und beim frühen Goethe. Andererseits: Buchenwald. Das ist einmalig. Aus der Geschichte kommen wir nicht heraus, nie.“ Aus diesem Kontext heraus entstehen die Arbeiten der Künstler, beeinflussen sich, Thieme reagiert mit einem Nibelungen-Abend auf die Bilder von Gratz. Gratz reagiert mit Bildern auf die Nibelungen-Inszenierung. Figuren aus den Nibelungen und aus Grimms Märchen tauchen auf in seinen Bildern. Gratz: „Man begegnet sich auf eine merkwürdige Weise, als wären da unterirdische Strömungen“, sagt Gratz. „Mentale Ähnlichkeit“, sagt Thieme. Geplant ist ein weiteres Projekt zur Romantik. Womöglich, schön wäre es, machen sie damit Station in Stuttgart.

Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 21. Dezember in der Rembrandtstraße 18.