Bei Gewaltsituationen ist als Beobachter Zivilcourage gefragt. Foto: © frenzelll – stock.adobe.com

Ein Mensch befindet sich in einer Notsituation, doch die Umstehenden schauen weg, verharren tatenlos. Jüngst sorgte solch ein mutmaßlicher Fall von unterlassener Hilfeleistung für viel öffentliche Aufregung. Gab es solche Fälle auch schon im Kreis Calw und was können Gründe sein für die mangelnde Zivilcourage?

Calw - Unlängst sorgte ein Angriff auf eine 17-Jährige in Berlin für viel öffentliche Aufregung. Die Minderjährige ist mutmaßlich von einer Gruppe von Erwachsenen an einer Tram-Haltestelle in Prenzlauer Berg zusammengeschlagen worden. Sie habe um Hilfe gerufen, aber trotz vieler Menschen in der Umgebung habe niemand eingegriffen. Ein Einzelfall – oder etwas, das häufiger vorkommt? Wie sieht es diesbezüglich in Calw aus? Jürgen Wagensommer vom Polizeipräsidium Pforzheim über Fälle der unterlassenen Hilfeleistung, die Strafbarkeit dergleichen und die möglichen Gründe für das Wegschauen in Notsituationen.

Wie viele zur Anzeige gebrachte Fälle von unterlassener Hilfeleistung gab es im Kreis Calw in den vergangenen Jahren? Gab es womöglich ähnlich gelagerte Fälle wie den in Berlin?

"Ähnlich gelagerte Fälle sind uns im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Pforzheim in jüngster Zeit nicht bekannt", weiß Wagensommer zu berichten.

Die im Kreis Calw zur Anzeige gebrachten Fälle von unterlassener Hilfeleistung in den vergangenen Jahren würden zudem im unteren einstelligen Bereich liegen. Hierzu merkt der Sprecher des Polizeipräsidiums Pforzheim an, dass die Gründe für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen unterlassener Hilfeleistung vielfältiger Art sein können.

Dazu könnten zum Beispiel auch Anzeigenerstattungen gegen Mitarbeiter eines Krankenhauses aufgrund nicht zufriedenstellender Behandlung eines Angehörigen durch Ärzte oder medizinisches Personal gehören. Auch sei zu beachten, dass manche Fälle sich abschließend im Ermittlungsergebnis anders darstellen als ursprünglich angezeigt oder gar den Straftatbestand nicht erfüllen, so Wagensommer.

Ab wann gilt etwas als Unterlassen von Hilfeleistung? Können Sie uns ein Fallbeispiel dazu nennen?

"Als Fallbeispiel sei genannt, dass eine Person Zeuge eines körperlichen Angriffs wird, wobei das Opfer Gefahr läuft, schwer verletzt zu werden oder offenkundig schon schwer verletzt ist. Dem Zeugen wäre in diesem Fall zumindest zuzumuten, die Polizei zu verständigen oder im Idealfall, auch mit Hilfe weiterer Zeugen, einzuschreiten und den Angreifer zu stoppen", schilderte Wagensommer unserer Redaktion.

Welche rechtlichen Folgen gibt es und wo sind diese geregelt?

Das strafbare Unterlassen einer Hilfeleistung ist in Paragraf 323c Strafgesetzbuch (StGB) geregelt, informiert Wagensommer. Dort heißt es: "Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft." Die Strafzumessung sei letztlich Aufgabe des Gerichts, gab Wagensommer Auskunft.

Was können Gründe für das Unterlassen von Hilfeleistung sein?

Wagensommer: "Die Gründe können unter anderem in der Angst der Helfer, selbst Opfer zu werden, liegen." Des Weiteren könne auch Unsicherheit (Wie kann ich helfen? Wie helfe ich richtig?) eine große Rolle spielen.

In diesem Zusammenhang wies der Sprecher vom Polizeipräsidium Pforzheim auf die "Aktion-tu-was" der Polizeilichen Kriminalprävention hin, eine Initiative der Polizei für mehr Zivilcourage. Die Botschafter der Aktion-tu-was bringen es kurz und prägnant auf den Punkt: Jeder kann im Ernstfall im Rahmen seiner Möglichkeiten helfen. So steht auf der Internetseite www.aktion-tu-was.de geschrieben: "Wegsehen oder weglaufen gilt nicht" Die Initiative der Polizei möchte den Menschen unter anderem mit den sechs "Zivilcourage-Regeln" zeigen, wo ihr "Einsatz gefragt ist" Denn: "Unser Zusammenleben geht alle etwas an!"