Absurdistan am Bahnhof Eyach: Der Lokführer ist ausgestiegen, hat den Gleisübergang mit einer Kette abgesperrt Foto: Lück

Das schmerzt richtig, wie die Bauarbeiten auf der Gäubahn die Bahnpendler treffen. Egal, wie man Bahn fährt, es ist nicht zum aushalten. Egal, ob man von Stuttgart über Tübingen oder über Böblingen nach Horb fährt. Unser Reporter Jürgen Lück berichtet von seiner Gäubahn-Umleitungs-Odyssee.

Horb - Am ersten Werktag der Gleis-Vollsperrung wegen der Bauarbeiten zum zweigleisigen Ausbau der Gäubahn Horb-Neckarhausen mache ich mich auf den Härtetest: Wie fährt es sich jetzt über Tübingen oder Böblingen nach Horb? Bisher hat das von meiner Haustür zum Bahnhof Horb 70 Minuten gedauert.

Jetzt zeigt die App knapp zwei Stunden pro Fahrt an – egal, ob über Böblingen oder Tübingen. Daraus werden dann insgesamt 364 Minuten. Sechs Stunden, vier Minuten. Und zur Odyssee voller Nerv und Absurditäten, die zeigen, warum die Bahn so dringend saniert gehört.

Schon die Fahrplan-App dreht durch

Check für die Hinfahrt. Schon die VVS-App, die bisher zuverlässig die Busverbindung ab Rosenberg-/Johannesstraße in Stuttgart zum Bahnhof und die Weiterfahrt bis Horb angezeigt hat, sagt nur: "Leider konnten mit den Einstellungen keine Fahrten gefunden werden." Schlechtes Zeichen?

Los geht es dann am Hauptbahnhof mit der S-Bahn, die schon über die Panoramabahn fährt. Weil auch der S-Bahn Tunnel saniert wird. Ein Stück Science-Fiction, denn die S 21 Projektpartner wollen die Panoramabahn zwischen 2025 und 2027 sanieren. Auch für solche Ersatzverkehre.

Umstieg in Böblingen auf den Regionalexpress. Zwar rollt die S-Bahn schon verspätet ein, aber der Regionalexpress nach Eutingen ist auch noch nicht da. Hauptthema dann auf der Fahrt bis Eutingen: das 9-Euro-Ticket und die Fahrradfahrer.

Ein Zugnachbar: "Mit dem 9 Euro-Ticket ist es schwierig für Radfahrer geworden. Du musst reservieren, sonst gibt es keinen Platz. Teilweise kommen die Leute sogar mit Lastenrädern: Die sind so breit, da kommst Du nicht vorbei." An diesem Ferientag ist es aber ruhig im Zug.

Schulbus-Feeling beim Schienenersatzverkehr ab Eutingen

Immerhin: Die Ankunft in Eutingen ist pünktlich. 10.10 Uhr. Sonst war ich um 10.06 Uhr am Bahnhof Horb. Ein Mitarbeiter zeigt mir, wo die Busse stehen. Rein. Los geht’s. Und hinter dem ersten Kreisel fahren die beiden Busse erst mal rechts auf den Seitenstreifen – damit der Getränkelaster von Digeser vorbei kommt. Ist wie im Schulbus früher hinten. Der Motor brummt, es schaukelt. Vor mir sitzen noch drei Fahrgäste.

Endlich Ankunft am Hauptbahnhof. 10.30 Uhr. In den ersten Bus drängen sich gleich die Fahrgäste. Ich denk’ mir: "Mir haben schon 20 Minuten Schulbus gereicht. Ihr habt jetzt 65 Minuten vor Euch – statt 29 wie auf der Schiene mit der Gäubahn. Herzlichen Glückwunsch!"

Fazit: Vor allem wegen des nervigen Schulbus-Feelings nicht so toll. Immerhin: Trotz Verspätungen wurden die Fahrzeitversprechen in der Bahn-App eingehalten.

Die Rückfahrt durch Absurdistan

Horb-Tübingen-Stuttgart. In der Theorie (Bahn-App) Abfahrt 17.16 Uhr Horb, Stuttgart Hauptbahnhof 19.14 Uhr. Diese Strecke wollen einige Politiker während der drohenden Gäubahn-Kappung in Stuttgart-Vaihingen als Alternative mit Durchfahrt bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Doch wie fährt es sich heute über Tübingen nach Stuttgart?

Die Kulturbahn schleicht hinter Mühlen nur mit Tempo 40 lang. In Sichtweite der Autobahnbrücke gibt sie wieder Gas. Um 17.26 Uhr am Bahnhof Eyach steigt der Lokführer aus. Durchsage: "Hier können Sie Pause machen." Er sperrt vor dem Bahnhof mit einer Kette den Gleisübergang zu unserem Zug ab.

Er sagt: "Da kommt gleich ein Zug. Da sind schon ein paar totgefahren worden!" Zigarettenpause für den Schwabo-Reporter. Ganz in Ruhe, Zug um Zug. Endlich rollt um 17.33 Uhr der weiß-gelbe SWEG-Zug ein. Der letzte Wagen hält Richtung Mühringen hinter der Kette. Mein Lokführer nimmt sie ab, es geht weiter.

Erinnerungen an Bahnübergang Talheim werden wach

Muss unwillkürlich daran denken, dass Bahn-Mitarbeiter per Hand vor Jahren den Bahnübergang Talheim monatelang per Hand und Seilen die Autos vor dem Zug geschützt haben. Ich dachte, das Bahn-Mittelalter sei vorbei.

Tübingen Hauptbahnhof. Ich sehe den weiß-gelben Zug schon vorn gegenüber beim Aussteigen. Gleis 1. 18.08 Uhr. Abfahrt Richtung Heilbronn über Stuttgart.

17.59 Uhr. Ausstieg an Tübingen Hauptbahnhof. Gleis 12 ist ganz hinten. Gefühlt einen Kilometer bis zur Unterführung. Um 18.08 Uhr soll der Zug nach Stuttgart abfahren – Gleis 1.

Technik-Test in Tübingen

Oben ein komisches Bild: Die Bahnhofuhr zeigt 18.06 Uhr. Der Zug ist zu, die Stromabnehmner unten. Trauben von Menschen stehen konsterniert vor verschlossenen Türen. Um 18.11 Uhr öffnen sich endlich die Türen. Schnell einen Sitzplatz.

Dann die Ansage: "Der Zug muss nach einer bestimmten Kilometerzahl einen Testlauf durchführen. Mit einer Bremsprobe. Deshalb fährt dieser Zug nach circa acht Minuten ab. Haben Sie mit uns noch Geduld." Mir reicht es eigentlich schon.

Um 18.20 Uhr fährt der Zug endlich los. Nochmal die Ansage: "Wir hätten den Testlauf mit Bremsprobe auch auf freier Strecke machen können, aber das hätte Ihnen nicht gefallen!"

Ansagen über Ansagen

Um 18.25 Uhr bremst der Zug ab. Die nächste Ansage klingt etwa so: "Leider ist diese Bummelbahn nach Reutlingen vor uns. Deshalb müssen wir immer wieder halten."

Um 18.42 Uhr hinter Reutlingen die nächste Ansage: "Wir haben derzeit eine Verspätung von 16 Minuten. Wir versuchen, sie zu reduzieren."

19.22 Uhr. Endlich am Hauptbahnhof Stuttgart. Fühle mich total gerädert. Wenigstens kommt der Bus-Nummer 42 nach 1800 Schritten vor den Bonatz-Bau schon in zwei Minuten. Um 19.42 Uhr endlich am Ziel. Noch vier Minuten zu Fuß bis zur Haustür. 224 Minuten oder über dreieinhalb Stunden nach dem Start am Horber Bahnhof. Fazit: Morgen fahr’ ich wieder mit dem Auto.