Lange währte der grün-rote Koalitionsstreit um das Turbo-Abitur. Nun dreht gezwungenermaßen auch SPD-Fraktionschef Schmiedel bei: Es wird zunächst nicht mehr Gymnasien mit neunjährigem Abitur geben. Foto: dpa

Lange währte der grün-rote Koalitionsstreit um das Turbo-Abitur. Nun dreht gezwungenermaßen auch SPD-Fraktionschef Schmiedel bei: Es wird zunächst nicht mehr Gymnasien mit neunjährigem Abitur geben.

Stuttgart - Eltern und Schüler können bis zur nächsten Landtagswahl definitiv nicht mit einer noch größeren Zahl von Gymnasien mit neunjährigem Abitur rechnen. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel sagte am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart: „Es bleibt bei den 44 Gymnasien, weil der Koalitionspartner nicht bereit ist, sich zu bewegen.“ Damit dreht er im koalitionsinternen Streit bei. Hingegen hatte Schmiedel noch im Juni wegen des Drucks von Eltern verlangt, dass mehr Gymnasien zu G9 zurückkehren dürfen. Derzeit sind im Südwesten 44 G9-Gymnasien in einem Schulversuch genehmigt.

Für Schmiedel ist das Thema damit aber nicht erledigt. Spätestens in der nächsten Legislaturperiode müsse man den Schulversuch auswerten und daraus Schlüsse ziehen. Der SPD-Politiker verwies darauf, dass es bereits heute Klagen von den Hochschulen über eine mangelnde Studienreife der Studenten gebe. Sein persönlicher Eindruck sei nach wie vor, dass das Turboabitur G8 für eine bestimmte Anzahl von Kindern infrage komme, es aber nicht für alle das richtige Angebot sei. Das G8 könne auch nicht so bleiben, wie es ist. „Wir müssen das G8 so gestalten, dass es auf eine breite Zustimmung stößt. Solange sich 90 Prozent abwenden, bleibt es umstritten“, sagte er.

Das G8 erregt seit seiner Einführung im Schuljahr 2004/2005 unter der damaligen Kultusministerin Annette Schavan (CDU) die Gemüter. Kritiker von G8 monieren, beim Turboabitur werde nahezu der gleiche Unterrichtsstoff wie im neunjährigen Gymnasium nur in kürzerer Zeit behandelt. In einigen westlichen Bundesländern gibt es wieder G9-Züge - so in Hessen, Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein. In Bayern können sich die Gymnasiasten für ein freiwilliges Zusatzjahr in der Mittelstufe entscheiden.

Die 44 G9-Gymnasien in Baden-Württemberg sind ein Kompromiss, auf den sich die Koalitionspartner geeinigt hatten. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) hatte bereits im Januar erklärt, dass er sich als Minister an die Entscheidungen der grün-roten Koalition gebunden fühlt. „Ich halte es für unrealistisch, im Zeitrahmen bis 2016 von weiteren G9-Schulen auszugehen“, machte er damals klar.

2013 fallen 1000 Lehrerstellen weg - 2014 sind es noch einmal 1200

Stoch und auch die Grünen verweisen immer wieder darauf, dass es weitere Möglichkeiten im Südwesten gibt, in neun Jahren zum Abitur zu kommen. So könnten Schüler erst die Realschule und dann ein berufliches Gymnasium, eine Gemeinschaftsschule mit gymnasialer Oberstufe oder erst eine Gemeinschaftsschule und dann ein berufliches Gymnasium besuchen. Der „Badischen Zeitung“ sagte Stoch nun: „Man könnte das G9-Gymnasium als natürlichen Feind der Gemeinschaftsschule bezeichnen.“

Der Minister deutete an, dass er die Zahl von 11.600 Lehrerstellen, die bis 2020 wegfallen sollen, nicht für in Stein gemeißelt hält. „Ja, wir müssen sparen, aber nicht zulasten der pädagogischen Qualität“, sagte er. „Wir müssen jedes Mal, Haushalt für Haushalt, prüfen, was ist machbar, was können wir verantworten.“ Schmiedel stimmte Stoch zu. Der Fraktionschef sprach von einer „Richtzahl mit Blick auf das Jahr 2020“, die sich rechnerisch aus dem Schülerrückgang ergebe. Jedes Jahr müsse man überprüfen, wie sich die Schülerzahlen entwickeln und welche Konsequenzen das für die Lehrerzuweisung habe.

Bereits im laufenden Doppelhaushalt 2013/2014 habe man weniger Lehrerstellen gestrichen als rechnerisch möglich gewesen wären, sagte Schmiedel. 2013 fallen 1000 Stellen weg - 2014 sind es noch einmal 1200. Der Fraktionschef erneuerte seine Forderung, der Bund müsse sich an den Kosten für die Einbeziehung behinderter Schüler in den regulären Schulunterricht (Inklusion) und den Ausbau von Ganztagsschulen angemessen beteiligen. Trete dieser Fall ein, verändere dies auch die Zahl der abzubauenden Lehrerstellen.

Die grün-rote Landesregierung begründet die Streichung der Lehrerstellen mit den Sparzwängen und den zurückgehenden Schülerzahlen. Kritiker verweisen allerdings darauf, dass Lehrer auch für neue Aufgaben wie Inklusion und Ausbau der Ganztagsschulen nötig sind. Die Landesregierung setzt große Hoffnungen auf eine bessere Steuerung von Lehrerressourcen. Das Kultusministerium hat derzeit keinen landesweiten Überblick darüber, wo welche Lehrer eingesetzt sind, wo es große Lücken und möglicherweise noch größere Puffer gibt.