Schiedsrichter fehlen: 160 bräuchte man um einen reibungslosen Spielbetrieb zu garantieren. Foto: dpa

Fußball: Schiedsrichtergruppe Calw klagt über fehlenden Nachwuchs. Vereine zahlen mehr als 10. 000 Euro Strafe.

Videobeweis, Gewalt auf den Sportplätzen und natürlich der akute Mangel an Nachwuchs – für die Schiedsrichtergruppe Calw gibt es derzeit viel Grund zum Klagen. Und davon machten die Unparteiischen bei ihrer Hauptversammlung in Rotfelden auch Gebrauch.

Die Zahlen und Diagramme, die Obmann Erich Frey bei der Hauptversammlung der Schiedsrichtergruppe Calw im Sportheim des SV Rotfelden auf die Leinwand projizierte, sprechen eine klare Sprache – und die ist alles andere als blumig. In fast allen Bereichen stellt das Jahr 2017 einen neuen Negativrekord dar. Das betrifft auch die Anzahl an Unparteiischen, derer es bei der Gruppe Calw nur noch 137 gibt. Zum Vergleich: 2013 waren es noch 156. Hinzu kommt, dass von den 137 Schiedsrichtern nur 113 aktiv sind. 160 bräuchte man hingegen, um einen reibungslosen Spielbetrieb zu garantieren.

Der ist im Fußballbezirk Böblingen/Calw allerdings nicht möglich. Frey sagte sogar über die vergangene Saison: "Ein ordentlicher Spielbetrieb mit Besetzung aller Fußballspiele war mehr als gefährdet." Die Zahl der Spiele, die die Schiedsrichtergruppe nicht mehr besetzen kann, ist längst dreistellig geworden – Tendenz steigend. Denn: Die älteren Schiedsrichter sind meist deutlich häufiger im Einsatz als die jüngeren, werden aber immer weniger. "Wenn unsere älteren Schiedsrichter mit ihren vielen Spielleitungen in ihre wohlverdiente Rente gehen, dann weiß ich gar nicht, wie wir das auffangen sollen", gestand Frey.

Ein Rekordhoch erreicht auch die Summe der Strafen, die die 46 Fußballvereine im Calwer Bereich des Fußballbezirks Böblingen/Calw zahlen müssen, weil sie zu wenig Schiedsrichter stellen. Seit drei Jahren durchbricht die Summe die 10 .000-Euro-Grenze, inzwischen liegt sie über 11. 000 Euro. Frey ist gefrustet: "Die Vereine interessiert das nicht. Inzwischen werden die Strafen ja sogar automatisch vom Konto abgebucht."

Für Gesprächsstoff sorgte das auch bei den Gästen, die – genau wie die beeindruckende Zahl von 70 Calwer Schiedsrichtern – der Einladung ins Sportheim des SV Rotfelden gefolgt waren. Etwa Jürgen Prchal, Leiter der Sportkreisjugend Calw, schlug vor, nicht immer nur Jugendspiele unbesetzt zu lassen, sondern auch mal bei Partien der Kreisliga B keinen Unparteiischen kommen zu lassen: "Dann wissen die Vereine, was Sache ist. Bei einem Jugendspiel ist es ihnen leider Gottes meist egal."

Harald Kohler vom Gastgeber SV Rotfelden, der selbst seit vielen Jahren als Schiedsrichter tätig ist, verwies indes darauf, dass vielen Vereinen im Kreis Calw generell das Personal fehle. "Jeder kämpft ums Überleben. Zu meiner Zeit konnte der SV Rotfelden noch zwei C-Jugend-Mannschaften melden. Heute müssen sich vier Vereine zusammenschließen, um eine stellen zu können", erinnerte Kohler und fügte hinzu: "Ich versuche immer, Leute für die Schiedsrichter-Neulingskurse zu finden. Aber wenn man nicht mal genügend Spieler oder Ausschussmitglieder findet, dann wird das halt schwer."

Richard Armbruster, Vorsitzender des Fußballbezirks Böblingen/Calw, wünscht sich dennoch mehr Engagement von den Vereine. Er sprach die Stellen der Schiedsrichter-Beauftragten an, die es inzwischen bei jedem Verein im Bezirk gibt. "Im Grunde sind diese Personen nur Papiertiger. Richtige Kümmerer sind das nicht", kritisierte Armbruster, der sich generell mehr Wertschätzung für den Schiedsrichter wünscht: "Fast jede Entscheidung wird hinterfragt. Da muss dringend an den Stellschrauben gedreht werden. Schiedsrichter sind kein notwendiges Übel, sondern ein unabdingbarer Teil der Faszination Fußball."

Bei allem Unmut über den fehlenden Nachwuchs, der ebenfalls scharf kritiserten Einführung des Videobeweises (Frey: "Das läuft vom ersten Spieltag an chaotisch!") und der Gewalt auf den Sportplatz – es gab bei der Hauptversammlung der Schiedsrichtergruppe Calw auch Positives zu berichten. In Württemberg hat sie sich schließlich längst einen Namen gemacht. So stellt sie derzeit drei der 14 Oberliga-Beobachter – obwohl Calw längst nicht zu den größten der 39 Grupen in Württemberg gehört. Frey: "Da können wir uns wirklich mal auf die Schulter klopfen."

Das bestätigte auch Reiner Bergmann vom WFV-Schiedsrichterausschuss, der selbst der Gruppe Calw angehört und sich das Heimspiel daher nicht nehmen ließ. Er teilt sich mit Verbandsobmann Giuseppe Palilla die Aufgabe, die Hauptversammlungen der württembergischen Schiedsrichtergruppen zu besuchen. Dabei lobte Bergmann, dass mehr als die Hälfte der Calwer Unparteiischen zur Hauptversammlung gekommen war: "Von 21 bis 170 Schiedsrichter habe ich bei den Versammlungen wirklich alles gesehen. Ich habe auch schon in viele ältere Gesichter geschaut. Hier schaue ich in viele junge."

Mit einem Altersschnitt von 39,1 Jahren würden die Calwer gut dastehen. Die mit Abstand größte Altersgruppe bilden dabei die 19- bis 25-Jährigen. "Die Erfahrung zeigt: Wenn wir die über die 30 kriegen, dann bleiben die uns erhalten", unterstrich Bergmann und forderte: "Diese Arbeit muss in den einzelnen Gruppen gemacht werden. Aber das wird hier ganz hervorragend gemacht. Denn eines muss klar sein: Jeder Schiedsrichter, den wir haben, ist besser als einen neuen zu finden."

Ins Gespräch brachte Bergmann auch die Fusion von Schiedsrichtergruppen. Vor zwei Jahren gab es den ersten Zusammenschluss in Württemberg, damals fusionierten die Gruppen Horb und Freudenstadt zur neuen Gruppe Nördlicher Schwarzwald. Inzwischen gibt es mit Hechingen und Balingen die zweite Vereinigung. "Das war der richtige Schritt zur richtigen Zeit", sagte Bergmann über die Gründung der Schiedsrichtergruppe Nördlicher Schwarzwald, gestand aber auch: Die Gruppe habe nicht einen neuen Unparteiischen hinzugewonnen – jetzt aber eine bessere Struktur. Für Bergmann sei klar: Aus den heute 39 württembergischen Schiedsrichtergruppen werden "in den nächsten Jahren 35 oder 36".

Ein Szenario, das auch für die Gruppen Calw und Böblingen infrage kommt? Bei der Hauptversammlung stieß eine mögliche Fusion nicht auf Zustimmung. Auch der Bezirksvorsitzende Richard Armbruster machte klar: "Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit beide Schiedsrichtergruppen im Bezirk bestehen bleiben."

Kommentar

Druck von oben

von Tim Geideck

Bei den Zahlen, die die Schiedsrichtergruppe Calw präsentiert hat, kann es einem um den Amateurfußball Angst und Bange werden. Doch es fehlt nicht nur massiv an Unparteiischen, auch den Vereinen geht an allen Ecken und Enden das Personal aus. Jugendtrainer, Vorstandsmitglieder, ja selbst Spieler – alles Mangelware.

Und der Profibereich? Der rückt mit seinen Zuschauerrekorden den Amateuren immer weiter auf die Pelle. Der Sonntag war einmal der heilige Spieltag der Dorfvereine. Die Bundesliga kümmert das jedoch wenig. Sie hat in dieser Saison den Tabubruch vollzogen und lässt sonntags schon um 13.30 Uhr anpfeifen. DFL-Chef Seifert sagte erst im Januar: "Die Schere zwischen Profis und Amateuren – sie wird weiter auseinandergehen."

Ein Satz, der kaum weniger Angst und Bange macht als die Zahlen der Schiedsrichtergruppe Calw.

Info

Obmann Erich Frey gibt Rückzug ab 2021 bekannt

Der Calwer Schiedsrichter-Obmann Erich Frey hat angekündigt, bei den nächsten Wahlen 2021 nicht mehr anzutreten. "Irgendwann ist Schluss. Das ist meine letzte Amtsperiode", sagte Frey bei seiner Wiederwahl bei der Hauptversammlung der Schiedsrichtergruppe Calw. Der Simmersfelder ist jetzt seit 24 Jahren Obmann.

 Für den Fußballbezirk Böblingen/Calw ist das damit die zweite große Veränderung, die 2021 anstehen wird. Auch der Bezirksvorsitzende Richard Armbruster will sich in drei Jahren nicht mehr zur Wiederwahl stellen.

 Neben Obmann Erich Frey wurde bei der Hauptversammlung der Schiedsrichtergruppe Calw auch sein Stellvertreter Martin Schroth für weitere drei Jahre im Amt bestätigt. Dem Ausschuss gehören Benjamin Haug, Kai Reichert, Vicent Schöller und Christine Gieron an.