Pellegrino Matarazzo steht unter Druck. Foto: Eibner

Zweite Bundesliga: 1:2 im Derby wirft viele Fragen auf. Schalter muss am Mittwoch gegen Sandhausen umgelegt werden. 

Der VfB Stuttgart hat trotz der 1:2-Derby-Pleite in Karlsruhe noch alle Aufstiegschancen, sein Verfolger aber womöglich einen entscheidenden Vorteil. Und am Mittwoch wartet schon die nächste knifflige Aufgabe.

Für Abwehrspieler Marc Oliver Kempf muss es wie die Höchststrafe vorgekommen sein. Vier Minuten vor dem Ende dieses so bitteren Derby-Nachmittags beim Karlsruher SC schickte Pellegrino Matarazzo nicht etwa ihn, den Kapitän des VfB Stuttgart und gelernten Innenverteidiger, aufs Feld.

Stattdessen wechselte er Innenverteidiger Nathaniel Phillips ein, die Leihgabe des FC Liverpool, für die das Kapitel im Schwabenland nach dieser Spielzeit wohl wieder beendet sein wird. Nicht dass man dem Engländer zwingend mangelnden Einsatz oder fehlende Identifikation vorwerfen könnte. Doch für den in der Mannschaftshierarchie ganz oben stehenden Kempf war das Signal dennoch deutlich: Drei Spieltage vor Schluss, wo seine Mannschaft wie ein angeschlagener Boxer durch die zweite Liga taumelt, wird der Kapitän nicht einmal mehr für die letzten vier Minuten gebraucht. Man könnte auch sagen: entmachtet.

Vermeidbare Gegentore

Wie sonst lässt es sich erklären, dass statt Kempf seit Wochen Marcin Kaminski Dienst in der VfB-Abwehr verrichtet. Und in Karlsruhe nicht zum ersten Mal ein vermeidbares Gegentor verschuldete. Mit dem viel zitierten Leistungsprinzip hat die personelle Herangehensweise des Trainers jedenfalls nicht viel mehr gemein. Der junge Roberto Massimo, dem bei der Pleite in Kiel zwei kapitale Schnitzer unterliefen, sitzt seither auf der Tribüne. Was nur zeigt: Es ist so einiges in Schieflage geraten im Mannschaftsgefüge des Tabellen-Dritten. Weitere Beispiele gefällig?

Mario Gomez muss sich seit Wochen mit der Joker-Rolle begnügen. Die ihm, das ist keine neue Erkenntnis, nicht auf den Leib geschneidert ist. Sein Vertreter Hamadi Al Ghaddioui riss zuletzt aber ebenfalls keine Bäume aus. Daniel Didavi trat seit seinem Blackout in Kiel (gelb-rote Karte) nicht wieder in Erscheinung – gegen den KSC stand er wegen Knieproblemen abermals nicht im Kader. Der Japaner Wataru Endo, seit Wochen der Beste, taugt schon sprachlich nicht zum Anführer. Am Mittwoch ( 18.30 Uhr/Sky) gegen den SV Sandhausen fehlt er auch noch gelbgesperrt.

Als Kapitän wurde die Mannschaft in Karlsruhe von Pascal Stenzel angeführt, der Leihgabe vom SC Freiburg. Ein solider Vertreter seiner Zunft, aber gewiss kein mitreißender Anführer, an dem sich die jungen Spieler in dieser verfahrenen Situation aufrichten könnten.

Und so präsentiert sich das wilde Ensemble in Weiß und Rot dann auch. Das Bemühen war ihr nach dem frühen Rückstand gegen den Abstiegskandidaten zwar nicht abzuerkennen. Es stimmte jedoch abermals vorne und hinten nicht. Klar, die Mannschaft vergibt zu viele Chancen und kassiert zu viele vermeidbare Gegentore. Längst ist sie jedoch in diesem Kreislauf aus den immer gleichen Erklärungen gefangen. Einen Ausweg findet keiner. Lösungsansätze dringen, sofern es sie gibt, durch die Corona-Abschottung, kaum nach außen.

"Das Trikot ist schwer"

Offiziell wird dem Eindruck einer leblosen Elf widersprochen. Sportdirektor Sven Mislintat machte am Sonntagabend im SWR den großen Druck im Aufstiegskampf als Ursache für lähmende Beine aus. "Das Trikot ist schwer", sagte Mislintat und führt mit seiner Aussage doch nur wieder zum Anfang dieser Geschichte. Wer, wenn nicht die Routiniers, sollen mit dem Druck am besten umgehen können? Von den Jungen hat bislang niemand das Gegenteil bewiesen.

Die Frage drängt sich auf: Was ist in den vergangenen Wochen auf der Strecke geblieben? Was ist da kaputtgegangen? Zur Erinnerung: Der Start unter Matarazzo verlief tadellos. Nach der wilden Tim-Walter-Zeit sammelte die Mannschaft mit grundsoliden Auftritten Punkte um Punkte. Und nach dem verpatzten Neustart nach der Corona-Pause schien zumindest der Last-Minute-Sieg gegen den Hamburger SV zum Erweckungserlebnis zu taugen.

Das trostlose 0:0 gegen Osnabrück, spätestens die Niederlage im Derby, hat den Glauben an eine Wende zum Guten und einen erfolgreichen Endspurt aufs Neue erschüttert. Drei Spiele bleiben noch Zeit, den Schalter noch einmal umzulegen.