Kani Taher trägt das afghanische Nationaltrikot mit der Nummer 13 Foto: Nitschmann

Als Bürgerkriegsflüchtling ist Kani Taher schon als Baby nach Deutschland gekommen. Nach dem Alptraum geht nun ein Traum für ihn in Erfüllung – von der ganz großen Fußball-Bühne.

Aachen - Kani Taher sitzt im Restaurant „Al Triangolo“ im Schatten des Aachener Doms. Eine Stunde zuvor ist der 22-jährige Fußballer, der jetzt T-Shirt, Jeans und Sportschuhe trägt, noch im gelb-schwarzen Trikot über den Rasen des legendären „Tivoli“-Stadions gelaufen. Dort feierte er mit dem U 23-Team von Alemannia Aachen in der fünftklassigen Verbandsliga Mittelrhein einen 1:0-Sieg über den Bonner SC. Als Taher beim Italiener in der Pasta stochert, hat er das Spiel längst abgehakt. Mit seinen Gedanken ist der schwarzhaarige Kicker 6500 Kilometer weit weg – in Afghanistan. „Dieses Land ist eine Herzensangelegenheit“, sagt Taher. Obwohl er seit mehr als 20 Jahren nicht mehr dort war.

Schon im zweiten Jahr nach seiner Geburt musste er das krisen- und kriegsgeschüttelte Land verlassen. Seine politisch verfolgten Eltern flüchteten mit ihm vor dem Bürgerkrieg ins niederrheinsche Korschenbroich, eine ländliche Kleinstadt zwischen Neuss und Mönchengladbach. Seine ersten Dribbelschritte machte Taher mit drei Jahren auf dem Bolzplatz des örtlichen Asylantenheims. „Ein älteres russisches Mädchen brachte mir das Schießen mit dem Ball bei“, sagt er. Er kommt aus kleinen Verhältnissen und bewundert die ganz Großen. Zidan und Ronaldo sind seine Vorbilder. In der Fußball-Bundesliga schlägt das Herz des Deutsch-Afghanen für Borussia Dortmund.

Leistungssport und Vaterlandsstolz

Anfang dieses Jahres hat sich für den leidenschaftlichen Kicker ein Kindheitsraum erfüllt. Per E-Mail wurde er in den Kader der afghanischen Fußball-Nationalmannschaft berufen. Die Afghanistan Football Federation lud den designierten Nationalspieler zu einem zweiwöchigen Lehrgang nach Katar ein, wo sich die Afghanische Auswahl auf den AFC Challenge Cup 2014 vorbereitete. Die begehrte Trophäe wird Mitte Mai auf den Malediven unter acht asiatischen Nationalmannschaften ausgespielt. Der Sieger ist automatisch für die 2015 in Australien stattfindende Asien-Meisterschaft qualifiziert. Katar und Maledieven – das klingt nach Tausend-und einer-Nacht-Geschichten und entspanntem Fünf-Sterne-Urlaub. Tatsächlich aber geht um beinharten Leistungssport. Und um Vaterlandsstolz.

Der Fußball boomt in Afghanistan. Längst läuft dort wieder ein ordentlicher Spielbetrieb. In allen 34 Provinzen des Landes gibt es jeweils vier Leistungsklassen, in denen zusammen etwa 80 000 Fußballer registriert sind. Vor einer Saison startete auch die Premier League APL – mit acht Mannschaften, TV-Liveübertragungen und Vollprofis, die monatlich etwa 1000 US-Dollar (720 Euro) kassieren. Ein Regierungsangestellter bei der Flughafensicherheit muss sich mit 300 US-Dollar (215 Euro) begnügen.

Ali Askar Lali, der Manager der afghanischen Nationalmannschaft, vergleicht die Stärke der höchsten afghanischen Liga mit der fünftklassigen Oberliga in Deutschland. Seinem Nationalteam attestiert er Regionalliga-Niveau. Dennoch ist der Fußball für die Afghanen von überragender Bedeutung. „Man erlebt das Gefühl, eine Nation und ein Volk zu sein, nirgendwo so deutlich wie bei einem internationalen Sportereignis mit afghanischer Beteiligung“, sagt Lali. Zudem sei dieser Sport das beste Mittel, um Jugendliche von Waffen, Gewalt und Drogen abzuhalten.

Die meisten afghanischen Nationalkicker spielen im Ausland Fußball

Bei Länderspielen ist das Ghazi-Stadion in Kabul mit 30 000 Zuschauern stets ausverkauft. Millionen Afghanen verfolgen die Spiele vor den Bildschirmen. Ähnlich wie die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Wunder von Bern wollen die Afghanen via Fußball den Anschluss an die moderne Welt schaffen. Im vergangenen Jahr hat ihre Nationalmannschaft, die auf Platz 127 der Fifa-Weltrangliste rangiert, bereits einen ersten bedeutenden Titel errungen: die Südasien-Meisterschaft. Beim Halbfinalsieg gegen Nepal hielt Torhüter Mansur Faqiryar, der im Fußball-Alltag für den Regionalligisten VfB Oldenburg aufläuft, gleich zwei Elfmeter und sicherte seiner Mannschaft den Einzug ins Finale. Seither wird Faqiryar in seiner Heimat als Volksheld gefeiert. Die meisten afghanischen Nationalkicker spielen im Ausland Fußball, in Australien, Kanada, Holland. Oder in Deutschland, in der vierten oder fünften Liga – wie Torwart Faqiryar oder Mittelfeldakteur Taher.

„Die Spieler aus Deutschland sind die Wirbelsäule der Mannschaft“, sagt Manager Lali. Mit diesen Amateur-Spielern hat das Fußballentwicklungsland in den letzten acht Jahren immerhin 79 Plätze in der Fifa-Weltrangliste aufgeholt. In Kabul wird bereits von der Teilnahme an den Asien-Meisterschaften geträumt.

Dabei wollen die Funktionäre nichts dem Zufall überlassen. Hilfe suchend wandte sich der afghanische Fußballverband vor wenigen Wochen an DFB-Präsident Wolfgang Niersbach: Afghanistan suche dringend einen erfahrenen Interims-Coach. Der aktuelle Trainer der Nationalelf, Mohammad Yousef Kargar, sei wegen Schiedsrichterbeleidigung für vier Länderspiele gesperrt worden. Niersbach konnte helfen. Er überredete Erich Rutemöller, den einstigen Kölner Bundesligatrainer, sich auf die afghanische Trainerbank zu setzen.

„Kani, wann kommst Du endlich im Fernsehen?“

„Das ist absolutes Neuland für mich“, sagt Rutemöller. Bisher kenne er weder die Struktur des dortigen Fußballs noch die einzelnen Spieler. Dennoch freut sich der 69-jährige Fußball-Weltenbummler, der im Namen von Fifa und Uefa auf allen Kontinenten Fußballtrainer ausbildet, auf das Abenteuer Afghanistan. Bevor es zum AFC Challenge Cup auf die Malediven geht, will Rutemöller den 23-köpfigen Kader zwei Wochen in Kuweit oder Dubai einspielen. „Ich freue mich, wenn ich Afghanistan bei der Weiterentwicklung des Fußballs voran bringen kann.“

Obwohl sein Heimatland ein Zwerg auf der Fußball-Landkarte ist, wird für Kani Taher mit der Berufung in die afghanische Nationalelf ein Kindheitstraum wahr. „Wenn ich Fernsehbilder aus Afghanistan sehe, dann weiß ich, dass ich in meinem Leben sehr viel Glück gehabt habe“, sagt Taher. „Deshalb habe ich das Bedürfnis, diesem Land etwas zurück zu geben.“ Mit dem Sport lasse sich eine Menge bewegen.

Bei einem Turnier der Sportorganisation Afghan Eurosport in Köln, bei dem afghanische Amateurteams aus ganz Europa antraten, fiel der junge Mittelfeldspieler Manager Ali Askar Lali sofort ins Auge. Taher spielte damals noch für den siebtklassigen Bezirksligisten SG Kaarst und für Fortuna Kabul, eine Mannschaft von Afghanen aus dem Großraum Düsseldorf. „Über dieses Team konnten wir hier etliche Flüchtlinge integrieren“, sagt Taher. Der Fußball half auch ihm bei der Eingliederung in der neuen Heimat. In Korschenbroich startete er als Sechsjähriger in der Pampers-Liga, spielte in vielen Nachwuchsteams bis er zum Oberliga-Aufsteiger SV Uedesheim wechselte. Sein Studium zum Bauingenieur verschlug Taher Mitte 2013 nach Aachen. Auch in der Kaiserstadt fand er rasch fußballerischen Anschluss und avancierte zum Vertragsspieler im U23-Team von Alemannia Aachen.

Und nun ein weiterer Schritt: Nationalmannschaft. Vor wenigen Tagen hat Taher, der fließend Persisch spricht, seinen afghanischen Pass erhalten. Seine Oma Rahima, die in der afghanischen Hauptstadt lebt, kann den ersten Auftritt ihres Enkels im roten Nationaltrikot kaum erwarten. Und so enden die wöchentlichen Telefonate meist mit der selben Frage: „Kani, wann kommst Du endlich im Fernsehen?“