So schön kann Fußball sein: VfL-Torhüter Matthias Müller war nach dem Abpfiff überglücklich. Das nächste Pokalspiel und der nächste große Gegner können kommen. Foto: Kraushaar Foto: Schwarzwälder Bote

WFV-Pokal: 600 Zuschauer im Nagolder Reinhold-Fleckenstein-Stadion erleben ein denkwürdiges Spiel gegen den SSV Reutlingen

Pokalwunder oder vielleicht sogar Pokalsensation? Superlative sind an der Tagesordnung, wenn es im Fußball zu den richtig fetten Überraschungen kommt – einer wie die am Mittwochabend in Nagold beim 3:1 gegen den Oberligisten SSV Reutlingen.

Obwohl die Personalsituation der Nagolder Landesliga-Fußballer aktuell eher "bescheiden" als "zufriedenstellend" ist, das "Wunder" ist eingetreten. Zwölf Jahre nach dem Spiel gegen den 1. FC Heidenheim steht der VfL Nagold wieder in der 4. Runde des WFV Pokals.

Keine Frage, der Oberligist aus Reutlingen war zwar die bessere Mannschaft, hatte mehr Spielanteile und mehr Ballbesitz, aber niemand wird dem Nagolder Trainer Armin Redzepagic widersprechen, wenn er in seiner Analyse ausführt, dass seine Mannschaft im zweiten Spielabschnitt nicht nur mehr, sondern auch die deutlich besseren Torchancen hatte.

Zuerst galt jedoch die Devise Routine nach hinten. Mit Matthias Rebmann, Valentin Asch, Lysander Skoda und Dominik Pedro hatte der Nagolder Coach aus seinen erfahrensten Spieler eine Viererkette gebildet. Davor waren Niklas Schäuffele als Abfangjäger und Spieleröffner sowie Henrich Vegelin als Laufwunder und Zerstörer unterwegs.

Chris Wolfer im rechten und Luka Kravoscanec im linken Mittelfeld machten die Außenpositionen zu. Vorne wurde Torhüter Bubacarr Sanyang als Mittelstürmer von der zweiten Spitze Walter Vegelin unterstützt. Der VfL Nagold, anfänglich verhalten, aber sehr konzentriert und erstaunlich abgeklärt, ließ im ersten Abschnitt bis auf zwei, drei Halbchancen wenig, nach dem Seitenwechsel so gut wie gar nichts mehr zu.

Der SSV Reutlingen präsentierte sich nur gesanglich durch seine engagierte Fan-Kolonie in Hochform. Auf dem Spielfeld war zwar eine gewisse Überlegenheit, aber nie Oberligaformat zu erkennen. "Keine Kreativität", treffender als der Reutlinger Trainer Maik Schütt hätte man die Angriffsversuche der "Roten" nicht beschreiben können.

Einfallslos und stereotyp wurde der Ball nach vorne gespielt. Torchancen tendierten gegen null, aber hinten erwies sich das Duo Nuraj Arbnor und Ruben Reisig als souverän – mit Ausnahme der 2. Minute der Nachspielzeit unmittelbar vor der Halbzeitpause. Luka Kravoscanec hatte über rechts einen Sprint angezogen und scharf nach innen auf Walter Vegelin geflankt. Der kam mit der Stiefelspitze zuerst an den Ball, leitete zu Bubacarr Sanyang weiter und dieser ließ frei vor seinem Reutlinger "Torhüterkollegen" Enrico Piu keine Chance.

Tempo (bei Luka Kravoscanec), Glück (bei der Stiefelspitze von Walter Vegelin) und endlich einmal Abschlussqualitäten (Bubacarr Sanyang), der Ausgleichstreffer war gleichzeitig der Türöffner für die 4. Pokalrunde.

In der 53. Minute leiteten die Nagolder einen guter Angriff über Walter Vegelin ein. Bei dessen Zuspiel auf Bubacarr Sanyang hatte das Schiedsrichtergespann jedoch eine Abseitsstellung ausgemacht. Es war eine von mehreren fragwürdigen Entscheidungen an diesem Abend.

Rüdes Foulspiel an Dominik Pedro vom Schiri nicht geahnet

Daneben lag Schiedsrichter Benjamin Kammerer (Bösingen), als er ein rüdes Foulspiel an Dominik Pedro übersah, nahezu endlos den Spieler liegen und weiterspielen ließ, bis die Situation auf dem Platz fast eskalierte.

Emotionen, Schubserei Rudelbildung, unter dem Strich wären wohl mindestens zwei Rote Karten fällig gewesen. Kammerer stahl sich mit dreimal Gelb aus der von ihm angerichteten Affäre.

Kurz danach gab es einen Freistoß für die Nagolder. Matthias Rebmann stellte sich bereit, Dominik Pedro lief jedoch an und zwang Piu zu einer starken Reaktion. Inzwischen waren Berk Özhan (57. für Walter Vegelin) und Daniel Leding (66. für Bubacarr Sanyang) in den Nagolder Angriff gekommen, zwei frische Kräfte und beide waren am Führungstreffer zum 2:1 in der 73. Minute beteiligt.

Mit dem Treffer von Berk Özhan und dem verletzungsbedingten Ausfall von SSV-Abwehrchef Ruben Reisig (77.) wendete sich das Blatt. Dabei taten sich vor allem der neue Kapitän Luka Kravoscanec und der ehemalige Altburger Dominik Pedro hervor. Dieser machte am Mittwoch eines seiner besten Spiele, ging lange Wege und traute sich immer mehr zu.

In der 83. Minute hatte Luka Kravoscanec bei einem Konter den dritten Nagolder Treffer auf dem Fuß, doch das Spielgerät flog knapp am langen Pfosten vorbei. Kurz darauf fand er in Schlussmann Piu seinen Meister (85.). Das Reutlinger Aufbäumen hielt sich in Grenzen, auch weil sich Lysander Skoda und Valentin Asch (Innenverteidigung) und Niklas Schäuffele als unüberwindliche Hürde präsentierten. Asch und Skoda agierten nahezu fehlerfrei, Schäuffele gewann viele Zweikämpfen, hatte jedoch ungewohnt viele Fehler im Zuspiel zu verzeichnen.

Die waren jedoch vergessen, als Luka Kravoscanec einen Sprint über das halbe Feld zog und sich (endlich einmal) mit einem wunderschönen Heber zum 3:1 selbst belohnte. Bezeichnend bei dieser Eins-gegen-eins-Situation in der 5. Minute der Nachspielzeit: Dominik Pedro war den langen Weg noch mitgesprintet und hatte Enrico Pio mit dem Angebot einer Abspieloption noch entscheidend irritiert.

Grenzenloser Jubel bei Nagolder Fans nach dem Treffer zum 3:1

Das 3:1 in der Nachspielzeit sorgte für grenzenlosen Jubel. VfL-Torhüter Matthias Müller, der nicht ein einziges Mal richtig gefordert wurde, sank in die Knie und riss die Arme hoch. Die Zuschauer applaudierten der Mannschaft in einer Art und Weise, wie man dies in Nagold nur höchst selten erlebt.

Offiziell 502 Zuschauer wurden an den beiden Kartenhäuschen gezählt. Zusammen mit vielen Offiziellen und weiteren Besuchern, die wegen ihrer Status (wie Schiedsrichter) nicht bezahlen müssen, und den vielen Jugendlichen – unter 16 Jahre freier Eintritt – hatten sich über 600 Menschen im Reinhold-Fleckenstein-Stadion eingefunden. Viele waren wegen des frühen Anstoßzeitpunkts (17.15 Uhr) erst später gekommen. selbst Mitte der zweiten Hälfte waren noch ständig neue Gäste zu beobachten.

Unter dem Strich war es eine prächtige Kulisse, die sich die Mannschaft redlich verdient hat. Jetzt wartet die 4. Pokalrunde auf die Mannschaft von Armin Redzepagic. Das bedeutet zwar eine weitere Zusatzschicht, aber wenn sich die Personalsituation weiter entspannt und die Mannschaft bis zum wahrscheinlichen Termin am 3. Oktober weiter Eigenwerbung betreibt, dann bedarf es nur noch des passenden Gegners, um erneut eine große Kulisse zum "Pokalfeeling" zu locken.