Im April 2019 betrat Nico Willig – wenn auch nur für kurze Zeit – beim VfB Stuttgart die große Bühne der Bundesliga. Foto: Eibner

Fußball: Ob E-Jugend-Trainer in Balingen oder Erstliga-Chef-Coach in Stuttgart: Nico Willig brennt für den Fußball. 

Nico Willig hat den VfB Stuttgart "von der Intensiv- auf die Krankenstation" zurückgeführt. Für den Klassenerhalt reichte es am Ende nicht ganz. Doch einen bleibenden Eindruck hat der 38-Jährige im Profi-Fußball definitiv hinterlassen.

Den Funken trägt Nico Willig inzwischen seit mehr als 16 Jahren in sich. Der Funke, der täglich die brennende Leidenschaft für den Fußball entfacht. Bereits während seines Studiums trainierte er eine E-Jugend-Mannschaft der TSG Balingen. Der Name eines seiner Spieler von damals dürfte vor allem den Fußball-Fans in Balingen, Magdeburg und Freiburg ein Begriff sein: Florian Kath. Den 24-Jährigen, der 2015 sein Bundesliga-Debüt für den Sportclub gab, könnte man als Willigs ersten Schützling bezeichnen, der den dauerhaften Sprung zu den Profis geschafft hat. Der Einzige wird er sicherlich nicht bleiben.

Nach mehreren Stationen als erfolgreicher Jugendcoach bei der TSG geht es für Willig 2013 – nur zwei Jahre nach Ende seiner eigenen Spielerkarriere – als Trainer zum Oberliga-Team der Balinger. Das Team blieb in diesem Jahr unter den Erwartungen, schaffte nur knapp den Klassenerhalt. Das Abenteuer Oberliga war für den jungen Trainer nach nur einer Saison wieder vorbei – eine "unschöne Trennung", wie er selbst ein paar Jahre später sagt.

Oberliga-Zeit "hat mich zu einem besseren Trainer gemacht"

Aus der aber die entsprechenden Lehren gezogen wurden: "Als Trainer hast du immer die Aufgabe, dein Tun zu hinterfragen. Zu reflektieren. Situationen zu finden, die du vielleicht anders hättest lösen können. So war es auch damals – und das hat mich letztendlich zu einem besseren Trainer gemacht", blickt Willig auf diese Zeit zurück. Nur durch solche Ereignisse könne man sich den Erfahrungsschatz aneignen, der als Trainer so immens wichtig ist. Ein Erfahrungsschatz, der ihn bis in die Bundesliga geführt hat.

Die Arbeit des Oberliga-Trainers Nico Willig hat also bei der TSG nicht die erwünschten Früchte getragen. Die des Jugendkoordinators Nico Willig umso mehr. Balingen schaffte vergangene Saison den Sprung in die Regionalliga – mit sieben Spielern, die in der Ära Willig mit seinen Konzepten bereits im Verein ausgebildet wurden. "Natürlich sehe ich da irgendwo auch einen Ertrag meiner Arbeit von damals", freut sich Willig über die Erfolge seiner ehemaligen Schützlinge. Er persönlich und der Verein hätten damals die richtigen Entscheidungen getroffen – und das zeigt sich Jahre später noch.

Zu Beginn der Saison 2015/16 beginnt für Nico Willig das Kapitel Stuttgart. Nach einem kurzen Intermezzo in der Jugendabteilung der Kickers geht es in die Akademie des VfB – und dort von der U16 über die U17 schließlich zur U19. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. Die talentierte Truppe führt der 38-Jährige zu Triumphen im WFV- und DFB-Pokal – und bis ins Finale um die deutsche Meisterschaft. Die letzten Wochen der Saison bekommt Willig dann aber nicht mehr wie gewohnt voller Elan an der Seitenlinie mit. Über diesen Elan – diesen Funken – dürfen sich inzwischen bereits andere freuen.

Denn zwischenzeitlich war der 30. Bundesliga-Spieltag herangebrochen. Der VfB Stuttgart geht mit 0:6 in Augsburg unter. Die Schwaben im freien Fall, die Amtszeit von Markus Weinzierl endgültig zu Ende. Nico Willig soll die Wende bringen. Ein No-Name ohne Profierfahrung soll der Heilsbringer werden. Viele trauen ihm diesen Schritt (noch) nicht zu. Er selbst schon: "Natürlich gibt es eine kleine Stimme im Hinterkopf, die zweifelt. Aber da muss man einfach den Mut und die Überzeugung haben – und die hatte ich." Diese Überzeugung teilte vor allem Thomas Hitzelsberger. Der Sportvorstand glaubte an den Balinger und dessen Philosophie. Er glaubte, dass mit Willig der dringend benötigte frische Wind in die Mannschaft kommen könnte. Der Wind kam – aber er blies nicht stark genug.

Unter Willig spielen die Schwaben in sechs Spielen viermal zu null, holen im Schnitt 1,5 Punkte pro Partie. Unter Markus Weinzierl waren es in dieser Saison noch 0,7 – Tayfun Korkut kam davor auf 0,62.

Mit Siegen gegen Gladbach und Wolfsburg bringt Nico Willig den Patienten VfB "von der Intensiv- auf die Krankenstation", wie er selbst sagt. Doch am Ende reicht es nicht, der Klassenerhalt wird in der Relegation gegen Union Berlin verpasst.

Woran es gelegen hat? "Das kann ich so jetzt noch gar nicht sagen – die Reflektionsphase ist immer noch in vollem Gange. Die eine oder andere Kleinigkeit, die man hätte anders machen können, wird sich sicherlich finden lassen. Aber von meinem Gesamtkonzept, meinem roten Faden, würde ich auch im Nachhinein nicht abrücken." Reflektion und persönliche Entwicklung also. Zweifel an den eigenen Fähigkeiten jedoch nicht.

Warum auch? Der Faktor Willig war in seiner knapp sechswöchigen Amtszeit deutlich zu spüren. Der VfB trat mit einer ganz anderen Dynamik auf den Rasen. Der "Relegationspokal" wurde zum geflügelten Begriff und zur Motivationsspritze. Willig macht trotz fehlender Profi-Erfahrung einen souveränen Eindruck – ob an der Seitenlinie oder bei den Pressekonferenzen. "Das war die am schwersten einzuschätzende Komponente. Alles andere gehört auch im Nachwuchsbereich zum Tagesgeschäft, aber an den Umgang mit den Medien muss man sich erstmal gewöhnen", resümiert der Übungsleiter. Aus seiner kurzen Zeit in der Bundesliga nimmt der gebürtige Tübinger vor allem zwei Erkenntnisse mit: "Mein Führungsstil und meine Methoden funktionieren auch auf diesem Niveau. Und auch den Umgang mit den Medien kann ich meistern."

Der junge Coach hat sich also auf der großen nationalen Bühne bewiesen, einen bleibenden Eindruck hinterlassen und beendet die Saison mit einem noch weiter gestärkten Glauben in die eigenen Fähigkeiten. Warum geht es jetzt also wieder zurück zur U19? "Der Rahmen war von Beginn an klar. Wir wollten das Ganze als Projekt angehen und daran hat sich in diesen sechs Wochen nichts geändert", sagt Willig selbst.

Jugendarbeit abseits des großen Rampenlichts der Bundesliga

Tim Walter steht als neuer VfB-Coach für die kommende Saison bereits in den Startlöchern. Zusammen mit Sportdirektor Sven Mislintat soll er die Schwaben so schnell wie möglich zurück in die Bundesliga und im nächsten Schritt zurück in die nationale Relevanz führen. Nico Willig verabschiedet sich indes erst einmal wieder aus dem Rampenlicht der Bundesliga.

Denn das Arbeiten mit den Spielern der VfB-Akademie liegt Willig weiter am Herzen. Der Posten als U19-Trainer bringt ganz andere Herausforderungen mit sich als die Bundesliga: "In der Akademie muss man das richtige Gleichgewicht finden zwischen kollektiven Erfolg und individueller Entwicklung der Spieler." Eine Jugendmannschaft auf diesem Niveau müsse man sich als Puzzle vorstellen. Und durch die Entwicklung der einzelnen Puzzleteile profitiert auch das Gesamtbild. Das weiß der ehemalige Mittelfeld- und Abwehrspieler besser als die meisten anderen – und weiß dieses Wissen seit Jahren gewinnbringend für Spieler und Verein einzubringen.

Davon können zum Beispiel Leon Dajaku und Antonis Aidonis ein Loblied singen. Beide gehörten sie zu Willigs erfolgreicher U19-Mannschaft – und schafften im Laufe der abgelaufenen Saison den Sprung zu den Profis. Kath, Dajaku, Aidonis – in diese Reihe von Willig-Schützlingen in der Bundesliga wollen sich ab der kommenden Saison auch andere gesellen.

Zu Florian Kath pflegt Willig übrigens noch immer eine enge Beziehung. Die beiden tauschen sich regelmäßig aus und gehen sogar hin und wieder gemeinsam joggen, wie der Mittelfeldspieler des SC Freiburg verrät. "Nico war für mich schon immer mehr als nur ein Trainer – er hat mir unglaublich viel beigebracht", meint der 24-Jährige. Willig habe ein sehr gutes Gespür für die Stärken seiner Spieler und wo man diese am besten einsetzen kann. Und zudem leiste er als Motivator hervorragende Arbeit: "Das kann für eine Mannschaft sehr wichtig sein, an der Seitenlinie einen zu haben, der sie immer wieder antreibt."

Eine Rückkehr zu den Profis schließt der 38-Jährige nicht aus

Nico Willigs Vorbilder sind Julian Nagelsmann, Jürgen Klopp und Christian Streich. Alle haben sie über Jahre in der Bundesliga ihr Können unter Beweis gestellt. Ist das jetzt auch das große Ziel des 38-Jährigen? Der erste Schritt dafür wäre ohne Zweifel getan. "Ich schließe es für die Zukunft nicht aus. Aber ich habe definitiv auch nicht den Druck, so schnell wie möglich in den Profi-Bereich zurückzukehren." Für diesen erneuten Schritt gebe es schließlich weitaus mehr in Betracht zu ziehen als nur die sportliche Seite.

Der heimatverbundenen Willig lebt noch immer mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im Balinger Stadtteil Heselwangen (Zollernalbkreis). In seiner Freizeit erkundet er gerne zu Fuß oder mit dem Mountainbike die Schwäbische Alb. Seine Familie bezeichnet er selbst als eine "schöne Oase", in der nicht immer Fußball das Thema Nummer eins ist. All das würde bei einer solchen Entscheidung eine wichtige Rolle spielen.

Erst einmal also wieder U19. Aber dennoch ist Nico Willig nun eben kein unbeschriebenes Blatt im Profi-Fußball mehr – kein No-Name mehr. Er hat sich selbst und der Bundesliga bewiesen, dass er eine Mannschaft auf diesem Niveau führen kann. Mit dem Funken, den er während des Studiums bei einer E-Jugend-Mannschaft der TSG Balingen für sich entdeckt hat, entfachte er auch beim Intensivpatienten VfB Stuttgart wieder die Leidenschaft für den Fußball. Diesen Funken wird er auch in der kommenden Saison wieder in der Stuttgarter Jugendakademie versprühen. Und vielleicht führt ihn dieser Funke eines Tages erneut als Chefcoach in die Bundesliga.