WM-Finale 1966: Wolfgang Weber (li.) erzielt das 2:2 gegen England Foto:  

Er ist ein Teil deutscher Fußball-Geschichte. An diesem Donnerstag wird Wolfgang Weber 70 Jahre alt. Zeit für eine Hommage an den „Bullen“.

Stuttgart - Es muss an einem Samstag gewesen sein, als der achtjährige Junge frisch gebadet, aber mit feuchten Händen, vor dem Fernseher saß, der sich in der guten Stube so groß und klotzig ausnahm, dass Mutters Gummibaum weichen musste. Fußball-Weltmeisterschaft 1966. Das Endspiel. England gegen Deutschland. Tilkowski, Höttges, Weber, Haller, Seeler oder Emmerich glänzten in der Fantasie eines kleinen Jungen mehr als eine Pflanze, deren Blätter, seltsam genug, mit Bier verhätschelt wurden.

Die Bilder aus einer fernen Welt lieferte das Fernsehen in Schwarz-Weiß. Und Rudi Michel kommentierte das WM-Finale so herrlich unaufgeregt, dass man die hysterischen Schreihälse von heute gern zum ihm in die Lehre schicken möchte.

Irgendwie war alles groß und beeindruckend. Das Wembley-Stadion, das Publikum, das WM-Finale. Aber Michel sagte nur: „Herrschaft noch mal!“, als Helmut Haller nach zwölf Minuten das 1:0 erzielte. Er zischte „Achtung!“, als Geoff Hurst der Ausgleich gelang. Und er stieß ein lang gezogenes „Oooh“ aus, als Martin Peters die Engländer in Führung schoss. Als sich jedoch Wolfgang Weber in den letzten Sekunden der regulären Spielzeit lang machte und nach einem Freistoß von Lothar Emmerich den Abpraller zum 2:2 über die Torlinie schob, da ließ sich Michel zu einem lauten „Goal, Goal“ hinreißen – und zur Erkenntnis: „Es war der Kölner Weber.“

Er war es oft. 356 Spiele machte er für den 1. FC Köln (1963 bis 1978), 53 für die deutsche Nationalmannschaft. Mit den Geißböcken feierte er zwei deutsche Meisterschaften und drei Pokalsiege. Und der Gedanke den Verein zu wechseln, war dem Vorstopper aus Köln-Porz in all der Zeit so fremd, wie der, dass der Schuss von Geoff Hurst zum 3:2 für die Engländer tatsächlich im Tor gelandet sein könnte. Jedenfalls köpfte Weber den Abpraller über die Querlatte und winkte dann so entschlossen ab, dass der kleine Junge am Fernseher ihm von Herzen glauben mochte: Kein Tor, Gott sei Dank! Es kam bekanntlich alles ganz anders, weshalb das Wembley-Tor und Weber auf ewig irgendwie zusammen gehören.

„Das ist Schnee von gestern“, sagt Wolfgang Weber heute. Jedoch ein Schnee von der Sorte, der ihm noch immer Kälteschauer über den Rücken jagt. Deutschland unterlag im WM-Finale 1966 mit 2:4 nach Verlängerung. Der „Bulle“, wie ihn seine Freunde riefen, hat die Niederlage ertragen. So wie er 1970 in Mexiko mit gesenktem Blick, aber erhobenen Hauptes vom Platz schritt, als sich Deutschland und Italien im WM-Halbfinale (3:4 n.V.) ein Duell mit epischen Ausmaßen lieferten.

Spieler wie er waren wegen ihrer Härte gefürchtet – und geschätzt, Weil die Härte nicht allein dem Zweck diente, den Gegner zu bekämpfen. Sie war die logische Folge einer Kindheit in den kärglichen Jahren nach dem Krieg. Und Weber richtete sie immer dann auch gegen sich selbst, wenn er das große Ziel in Gefahr sah. 1965 ignorierte er im Europapokal der Landesmeister gegen den FC Liverpool nach einem Zweikampf das heftige Stechen in der Wade. Weil damals nicht ausgewechselt werden durfte, hielt er noch 75 Minuten durch. „Ich wollte die Mannschaft nicht im Stich lassen“, sagt Wolfgang Weber. Nach dem Spiel stellte sich heraus: Das Wadenbein war gebrochen. Die Partie endete 2:2. Erst der zweite Münzwurf des Schiri entschied gegen den 1. FC Köln. Beim ersten war das Geldstück senkrecht im Schlamm stecken geblieben.

Wolfgang Weber nahm es wie immer sportlich, er hat Siege gefeiert und Niederlagen weggesteckt. Stets mit Anstand und ohne sich großartig zu beklagen. So wurde er zum Vorbild für einen Jungen, der 1966 vor dem Fernseher dicke Tränen vergoss – für ihn und eine wunderbare Mannschaft .

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