Na also, es geht doch: Joshua Kimmich (oben) freut sich mit Toni Kroos nach dessen verwandeltem Elfmeter zur 1:0-Führung. Foto: Fassbender

Nationalmannschaft: Deutsche Elf trotz 1:2-Niederlage mit Weltmeister Frankreich lange Zeit auf Augenhöhe. 

Joachim Löws Mut zur Jugend und zu lange vermissten Veränderungen wurde nicht belohnt und kommt in der Nations League zu spät.

Drei Monate nach dem WM-Desaster im Sommer forderte das verjüngte deutsche Team am Dienstagabend in Paris Weltmeister Frankreich auf höchstem Niveau. Doch nach dem Führungstor von Toni Kroos durch einen verwandelten Handelfmeter (14. Minute) drehten die Gastgeber nach der Pause durch einen Doppelpack von Antoine Griezmann (62./80./Foulelfmeter) noch die Partie.Nach dem 1:2 (1:0) bei den starken Franzosen droht in der Nations League nun die europäische Zweitklassigkeit. Mit weiter nur einem Punkt könnte Deutschland schon vor dem letzten Spiel am 19. November in Gelsenkirchen abgestiegen sein, wenn Holland (3 Punkte) zuvor gegen den Tabellenführer Frankreich (7) gewinnt. Nur ein eigener Sieg gegen Oranje kann noch den rettenden Platz zwei sichern.

Für die lange Zeit auf Augenhöhe mit dem Weltmeister mithaltende Mannschaft könnte das Unentschieden vor rund 75. 000 Zuschauern in Paris dennoch zum Wendepunkt werden. Unter großem Druck präsentierte sich der angeschlagene Bundestrainer drei Monate nach dem historischen WM-K.o. doch noch als mutiger Erneuerer. Dem erhöhten Druck nach der Pause konnten die Gäste aber nicht standhalten. Die halbe Startformation vor Torwart Manuel Neuer wechselte Löw aus und ging dabei ein hohes Risiko. Thilo Kehrer spielte erstmals von Beginn an. Nico Schulz kam erstmals in einem Pflichtspiel zum Einsatz und Serge Gnabry bestritt erst sein drittes Länderspiel.

Löw setzte auf Jugend und Tempo. Niklas Süle als Ersatz für den verletzten Jérôme Boateng wurde zum neuen Abwehrchef in einer Dreierkette befördert. Und ausgerechnet der von vielen Fans schon lange geforderte und vor der WM von Löw noch aussortierte Leroy Sané war mit seinen Turbo-Sprints lange ein Trumpf. Thomas Müller musste hingegen bis zur Schlussphase auf seinen 98. Länderspiel-Einsatz warten.

"Nach einem 0:3 muss man wechseln. Wir haben die Lehren aus dem Spiel gezogen", hatte Löw nach der Pleite in den Niederlanden gesagt. "Wir hoffen, dass eine Energie frei gesetzt wird, die gegen Holland nicht zu sehen war", merkte Oliver Bierhoff kurz von dem Anpfiff im ARD-Interview an. Der scharf kritisierte Löw erreiche die Mannschaft weiterhin, meinte der Teammanager und die Spieler demonstrierten dies auf dem Platz.

Mit dem Mut zur taktischen und personellen Umstellung in einer Dreierkette mit Matthias Ginter, Süle und Mats Hummels und der Rückkehr zur Doppelsechs mit Kroos neben Joshua Kimmich korrigierte Löw nicht nur Fehler aus dem Holland-Spiel, sondern überraschte auch die Franzosen. Jeder Ballverlust der Équipe tricolore wurde zu einem blitzschnellen Gegenangriff genutzt – fast immer über Sané. Dieses Tempo hatte man von einer DFB-Elf seit Jahren nicht gesehen. Auch Löw selbst wirkte an der Seitenlinie wieder viel engagierter und richtete seine jungen Akteure nach Fehlern gestenreich wieder auf.

Schon nach elf Minuten musste Frankreichs Torwart Hugo Lloris einen gefährlichen Konter über Sané und Timo Werner abfangen. Kurz darauf entschied Referee Milorad Mazic auf Strafstoß als Presnel Kimpembe eine Sané-Herreingabe unabsichtlich mit dem Oberarm blockte. Kroos war der Druck anzusehen – er zitterte den Ball an Lloris vorbei ins rechte Eck.

Chancen zum zweiten Tor

Endlich war sie da, die ersehnte Führung. Zum ersten Mal lag die DFB-Auswahl in diesem Jahr in einem Pflichtspiel 1:0 vorn. Und die Chancen zum zweiten Tor waren da. Sané und Werner konterten weiter (19.). Ginter scheiterte nach einer Ecke knapp an Lloris (24.).Die Franzosen waren irritiert ob des deutschen Mentalitätswandels. Erst kurz vor Halbzeit entwischte Kylian Mbappé (40.) im Rücken der Dreierkette. Der von Löw vor der Partie demonstrativ gestärkte Neuer packte aber sicher zu. Neuer war auch nach dem Seitenwechsel schnell wieder gefordert, als er gegen Mbappé parierte. Bei Griezmanns Kopfball war der Bayern-Schlussmann aber machtlos.

Mit großer Intensität und viel Aufwand stemmte sich das DFB-Team gegen die nun stärker werdenden Franzosen und hatte auch die Chance zur erneuten Führung durch Sané und Gnabry (67.). Doch der späte Nackenschlag folgte nach einem erneuten Elfmeterpfiff von Mazic. Hummels’ Zupfen gegen Blaise Matiudi wertete er als Foul. Griezmann verwandelte eiskalt.

Spieler in der Einzelkritik

Manuel Neuer

Auch hinter dem Kapitän stand vor dem Spiel ein Fragezeichen, doch Neuer ließ sich nicht beirren. Strahlte Souveränität aus, agierte sicher. Stark gegen Jungstar Kylian Mbappe (52.), bei den Gegentoren machtlos.  

Matthias Ginter

Der Gladbacher hat sich auf der rechten Abwehrseite festgespielt, auch wenn er diesmal im Dreierbund weiter innen spielte. Konnte dort seine Zweikampfstärke besser zur Geltung bringen. Wackelte, wenn die französischen "Mopeds" (Hummels) Gas gaben. Vergab das mögliche 0:2 (24.).

 Niklas Süle

Ersetzte seinen verletzten Vereinskollegen Jerome Boateng und machte einen frischeren Eindruck. Als zentraler Mann Organisator der Dreier- bzw. Fünferkette, gewohnt kompromisslos im Zweikampf. Ließ sich vor Neuers Glanztat von Mbappe überrumpeln.

 Mats Hummels

Einziger verbliebener Final-Held von 2014 im defensiven Fünferblock und zunächst derjenige mit der undankbarsten Aufgabe gegen Mbappe. Hatte mit dessen Tempo wenig überraschend Probleme, machte es aber so gut, dass Mbappe bald nach links auswich. Verdarb sich seinen guten Auftritt mit dem Foul an Matuidi, das zum Elfmeter führte, den Griezmann zum 2:1 nutzte (80.).  

Thilo Kehrer

Der Profi von Paris St. Germain sollte in seinem zweiten Länderspiel die rechte Seite abschirmen, was nicht immer gelang. Nach vorne mit vielen Akzenten, aber oft zu schlampig. Deutete an, dass er eine Alternative sein kann.  

Joshua Kimmich

Löws neuer Sechser war wieder überall, an der Grenze zur Hyperaktivität. Eroberte bissig Bälle, lenkte das Spiel mit großer Um- und Übersicht. Leitete das 0:1 ein. In dieser Rolle nicht wegzudenken.  

Toni Kroos

In seinem 90. Länderspiel wacher und präsenter als in Amsterdam. Seine Standards saßen wieder. Beim Handelfmeter zum 0:1 (14.), seinem 14. Länderspieltor, sehr präzise.

Nico Schulz

Stand sehr hoch und ließ so Hummels gegen Mbappe zu oft alleine, verlor im Vorwärtsgang manchen Ball zu einfach, fiel technisch etwas ab. Ließ sich aber nicht entmutigen und schaltete sich immer wieder offensiv ein.  

Timo Werner

Bei der Bekanntgabe der Aufstellungen fehlte das Foto des Leipzigers auf der Anzeigetafel. Auf dem Platz zeigte er sich mit den gewünschten Läufen in die Tiefe, diesmal meist von rechts.  

Serge Gnabry

Der Münchner begann im Sturmzentrum, wie nur in zwei seiner 55 Bundesliga-Spiele. Überzeugte mit Technik und Tempo, selbst aber zu selten gefährlich wie in der 67. Minute, als er an Lloris scheiterte. Arbeitete immer wieder aufmerksam nach hinten.  

Leroy Sané

Erstmals seit Juni und überhaupt erst zum siebten Mal in der Startelf, zeigte er seinen Wert. Holte den Elfmeter zum 0:1 heraus, stieß selbst immer wieder gefährlich nach vorne.

 Julian Draxler

Löste Sane ab (75.), setzte keine Akzente mehr.  

Julian Brandt

Kam in der Schlussphase für Ginter, womit Joachim Löw defensiv auf Viererkette umstellte.  

Thomas Müller

Kam in der 88. Minute für Gnabry.

Stimmen zum Spiel

Joachim Löw (Bundestrainer):

"Ich bin über das Ergebnis enttäuscht. Das 1:2 hätte nicht sein müssen. Aber auf der anderen Seite waren wir mit dem Weltmeister auf Augenhöhe, hätten das zweite Tor machen müssen. Wir sind für das sehr gute Spiel nicht belohnt worden. Nach dem 0:3 gegen die Niederlande war klar, dass wir Veränderungen vornehmen müssen. Diese Entscheidungen habe ich aus voller Überzeugung getroffen." 

Manuel Neuer:

"Es fühlt sich immer schlecht an, wenn man verliert. Das ist bitter und enttäuschend, vor allem, weil man gefühlt alles im Griff gehabt hat. Jogi und sein Team hatten einen klaren Plan, der grundsätzlich auch aufgegangen ist."

Serge Gnabry:

"Ich denke, dass wir in keinster Weise schlechter waren als Frankreich. Wir haben das Spiel gut gestaltet. Hintenraus war es schwer. Wenn wir die Konter besser ausspielen, können wir sogar 2:0 in Führung gehen."

Nico Schulz:

"Wir haben ganz gut gespielt, hinten ganz gut gestanden. Dennoch ist es eine Enttäuschung, dass wir hier nicht gewonnen haben. Wir haben wenig zugelassen, das ist gegen Frankreich auch nicht so einfach."