Der evangelische Pfarrer Lutz Bauer. Foto: Archiv Foto: Schwarzwälder Bote

BETRIFFT: Das gelebte Miteinander in der Gemeinde zu Zeiten der Corono-Krise

Neulich fand ich mitten auf der Straße ein kleines Mobiltelefon mit verhältnismäßig großen Tasten. Es lag da wie frisch verloren, ziemlich neu und niemand weit und breit, dem es hätte gehören können.

Als ich es neugierig aufhob, ging mir ein alter Kinderstreich durch den Kopf: Jemand legt etwas augenfällig Wertvolles auf die Straße und hat eine dünne Schnur daran befestigt und neckt damit den sich bückenden Passanten, indem er das gute Stück wegzieht. Nun, da war keine Schnur. Das Handy war auch nicht gesperrt, der Akku voll aufgeladen und der Vertrag gültig. Das Fundbüro hingegen war genauso geschlossen wie das gesamte Rathaus.

Ich drücke also eine Taste und das kleine Display erwacht. So sehe ich die Liste mit den zuletzt getätigten Anrufen. Ich rufe die erste Nummer an. Die Apotheke nebenan meldet sich. Ich erkläre, worum es geht und gehe in die Apotheke hinein, wo ich dann auch ohne den Lärm der Straße weitere Versuche starten werde. Denn die freundliche Apothekerin konnte natürlich auch nicht sagen, wem das Ding gehört. Ich wähle die nächste Nummer: Eine Arztpraxis meldet sich. Die dritte Nummer gehört zu einem Autohaus. Die vierte Nummer ist mit einem Namen eingespeichert, nennen wir ihn Franz. Ich rufe also Franz an, dessen Mailbox geht dran. Ich spreche drauf und nenne meinen Namen, meine Rückrufnummer und sage, dass ich das Mobiltelefon gefunden habe; man möge sich doch bitte bei mir melden. Diese kleine Geschichte mitten in diesen unruhigen Zeiten der Verunsicherung bringt mich ins Nachdenken:

Zunächst einmal: Das Telefon war nicht gesperrt. Einerseits schlecht, weil offen zugänglich – andererseits: Wäre es gesperrt gewesen, hätte ich es eines Tages ins irgendwann wieder geöffnete Fundbüro gebracht. Oder hätte ich es vor Ort liegen lassen sollen? So aber konnte ich die Nummern der Reihe nach abtelefonieren. Habe ich damit den Datenschutz verletzt? Oder kann man in besonderen Situationen es riskieren, sich über dies und das im Interesse der Menschlichkeit hinweg zu setzen – und wo liegen da die Grenzen?! Ich dachte: "Dies Telefon gehört sicherlich einem älteren Menschen." Allein schon wegen der großen Tasten kam ich drauf, und: "Es wird bestimmt dringend gebraucht, neu wie es ist – in diesen Tagen von Covid-19."

Zweitens: Im Rückblick erinnere ich mich genau und gern daran, wie freundlich und hilfsbereit die angerufenen Personen waren, die Apothekerin, die Dame in der Arztpraxis und die beiden Menschen im Autohaus. Sie alle hatten wahrhaft andere Sorgen, als sich auch noch um ein verlorenes Handy zu kümmern – sie haben es aber gemacht!

Das Dritte: Ich hatte die ganze Zeit während dieser Aktion ein gutes Gefühl, so in etwa: "Alles wird gut, das Telefon wird in die Hände zurückkehren, in die es auch gehört." Das ist ja manchmal so, dass man was macht und ein gutes Gefühl dabei hat, auch wenn es dabei einen oder mehrere Momente des Zweifels gibt. Ich habe natürlich nicht bei allem was ich tue, ein gutes Gefühl – und da ist es sehr hilfreich, wenn mir jemand anderes Mut macht und sagt: "Alles wird gut!"

Fazit: Seid achtsam! Achtet drauf, wie sich das alles anfühlt in diesen Zeiten der beginnenden Auflösung vertrauter Alltagsstrukturen. Achtet drauf, ob eure Zweifelgedanken und Sorgen tatsächlich von anderen geteilt werden, oder ob die euch sagen: "Mach dich mal nicht verrückt!" Und natürlich umgekehrt: Achtet drauf, ob eure Sorglosigkeit wirklich durch und durch berechtigt ist, und hört auf die warnenden Stimmen. Übrigens hat am frühen Abend die Person bei mir angerufen, der das Handy gehört. Franz hatte ihr gesagt, was ich auf die Mailbox gesprochen hatte. Das verlorene Telefon ist mittlerweile wieder bei seinem Besitzer. Alles gut soweit.

Abschließend: Ich bin sicher, dass ganz viele da draußen tagtäglich solche oder ähnliche Geschichten erleben. Kleine Hoffnungsgeschichten. Verlorenes wird wiedergefunden. Auf vielfältige Weise ereignet sich menschliches Miteinander – trotz aller verordneter Distanz.

So möchte ich euch alle dazu einladen, solche Geschichten zu erzählen, aufzuschreiben und an die Zeitung zu schicken.

Pfarrer Lutz Bauer

Furtwangen