In dem Zwergstaat fehlt Fläche. Zum Beispiel für teure Luxuswohnungen. Deshalb wird der neue Stadtteil Anse du Portier gebaut – dort, wo bisher Muscheln und Seegras ihr Zuhause hatten. Mareterra heißt das Zwei-Milliarden-Euro-Projekt.
Monaco - Kritik? Wegen der Baustelle? „Nein“, antwortet der Polizist, der in einer Kurve kurz vor der Avenue de Monte-Carlo mit großer Geste die Raser ausbremst. „Das Projekt wird von allen Einwohnern in Monaco unterstützt,“ sagt er und winkt dann eine allzu schnelle junge Frau im SUV für eine kleine Ermahnung an den Straßenrand.
Der Mann sagt die Wahrheit. Im gesamten Fürstentum ist kein wirklich kritisches Wort über Mareterra zu hören, jener Riesenbaustelle im Meer, die offensichtlich nur außerhalb der Landesgrenzen für Widerstand sorgt. Nachfragen nach dem Sinn des Projektes werden von manchen Monegassen geradezu als Majestätsbeleidigung am Staatsoberhaupt Fürst Albert II. aufgefasst.
Mareterra sei die einzige Möglichkeit, noch irgendwo in der Stadt zu bauen, ist das meistgehörte Argument. Eine technische Meisterleistung sei das, erklärt ein Mann im Ozeanografischen Museum leicht entnervt. „Was sollen wir machen“, kontert eine ältere Dame, die in einem Café am Hafen ein Stückchen Kuchen genießt. „Sollen wir Krieg führen, wenn wir mehr Land brauchen?“
Jeder zweite Monegassen ist Millionär
Das kleine Fürstentum ist in knapp einem halben Tag zu Fuß durchschritten und der Spaziergang durch die Stadt legt nahe, dass die Befürworter mit ihren Argumenten irgendwie Recht haben könnten. Monaco ist eine dicht bebaute Betonwüste, durchzogen von engen Straßen. Als es auf dem schmalen Streifen zwischen Meer und Bergen für neue Wohnungen endgültig zu eng wurde, wurde über Jahrzehnte auf dem nur rund zwei Quadratkilometer messenden Hoheitsgebiet konsequent nach oben gebaut. Aber auch diese Entwicklung hatte irgendwann ein Ende, was die Preise für Wohnungen in astronomische Höhen steigen ließ und die Fantasie der Ingenieure anstachelte.
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So wurde vor einigen Jahren die Idee geboren, dem Meer einen neuen, rund sechs Hektar großen Stadtteil abzuringen, der nach seiner Eröffnung im Jahr 2025 den Namen Anse du Portier tragen wird. Längst sind zwischen den hohen Kränen die Konturen des ehrgeizigen Projektes deutlich zu erkennen. Am rechten Rand entsteht ein Swimmingpool. Dessen eine Seite ist in Richtung Mittelmeer verglast, was das Gefühl vermitteln soll, im offenen Meer zu schwimmen. Auch die geplanten fünf Wohnhäuser mit 120 Appartements und 14 Villen nehmen langsam Gestalt an. Entstehen sollen zudem ein kleiner Park, ein Jachthafen für 30 Boote und Parkhäuser, die unter dem Meeresspiegel liegen werden. Kosten für das Gesamtprojekt: zwei Milliarden Euro, die von privaten Investoren aufgebracht werden.
100 000 Euro pro Quadratmeter für eine Wohnung
Die Preise für die angebotenen Wohnungen regelt natürlich der Markt. Zielgruppe sind etwa 1000 Superreiche, die es sich leisten können, für ihr zukünftiges Luxusdomizil bis zu 100 000 Euro pro Quadratmeter auf den Tisch zu legen. Nach Angaben der Verantwortlichen des Projektes stehen die potenziellen Käufer Schlange. Der Grund, weshalb es so viele Reiche nach Monaco zieht, ist schnell erklärt: es gibt dort keine Einkommens- und Vermögenssteuer. Fast jeder zweite der etwa 38 000 Monegassen hat, so heißt es, mehr als eine Million Euro auf dem Konto.
Das wirklich Atemberaubende an Mareterra spielt sich allerdings nicht oberhalb der Wasseroberfläche ab. Die wahre technische Meisterleistung bleibt dem Auge verborgen. Um den Grund der künstlichen Landzunge stabil zu machen, wurden 18 gigantische Betonklötze mit einer Höhe von bis zu 26 Metern und einem Gewicht von jeweils 10 000 Tonnen auf dem Meeresgrund verankert. Aufgefüllt wurde das gesamte Areal dann mit 600 000 Kubikmetern Sand.
Seltene Muscheln wurden umgesiedelt
Doch nicht nur an die Statik musste gedacht werden, eine zentrale Rolle spielte auch der Umweltschutz. Fürst Albert betont immer wieder, dass das Projekt in all seinen Phasen von Meeresbiologen begleitet worden sei und nicht nur deshalb ein ökologisches Modell für ähnliche Baumaßnahmen in aller Welt sein werde.
Alexandre Meinesz kann angesichts solcher Aussagen nur den Kopf schütteln. Der Mann war Professor für Meeresbiologie an der Universität von Nizza Sophia Antipolis und ist inzwischen einer der heftigsten und profiliertesten Gegner des Milliardenprojektes. Dass er aber auch einer der einzigen Kritiker ist, damit hat er sich längst abgefunden. Die großen Organisationen wie Greenpeace oder der WWF würden sich einfach nicht für solche kleinen und sehr lokalen Projekte interessieren, erklärt der Wissenschaftler.
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Was den Wissenschaftler Alexandre Meinesz im Fall von Mareterra besonders ärgert ist, dass sich Fürst Albert in der ganzen Welt als Umweltschützer feiern lasse. „Immer wieder wird zu internationalen Fachkongressen nach Monaco eingeladen, wo über den Schutz der Meere in der Arktis oder anderen, entfernten Teilen der Welt diskutiert wird“, sagt der Experte. Vor der eigenen Haustüre aber endeten die großen Ambitionen des Monarchen, dort mache er die Natur einfach platt.
Auch früher hat Monaco dem Meer schon Land abgerungen
Die in Monaco ständig ins Feld geführten Maßnahmen zum Schutz von Flora und Fauna seien allenfalls Augenwischerei, ist das ernüchternde Fazit von Alexandre Meinesz. Mit großem Aufwand und dem nötigen Tamtam seien seltene Muscheln umgesiedelt worden und auch einige Hundert Quadratmeter Seegraswiese seien verpflanzt worden. „Die werden nun an ihrem neuen Standort mit Unterwasserkameras beobachtet“, sagt der Experte und schüttelt resigniert lächelnd mit dem Kopf. Das höre sich zwar alles sehr engagiert an, der Erfolg dieser Aktion sei allerdings mehr als ungewiss, urteilt der Wissenschaftler.
Durch das Mareterra-Projekt werde ein Biotop an der Mittelmeerküste zerstört, das wichtig für die Biodiversität der Region sei. In jenen seltenen Zonen würden seltene Pflanzen wachsen und sie seien auch wichtig für die Fortpflanzung mancher Fischarten. „Vor Monaco sind inzwischen 91 Prozent der wichtigen Bereiche bis zehn Meter Wassertiefe zubetoniert“, sagt Alexandre Meinesz und klickt sich auf seinem Rechner durch allerlei Grafiken und schematische Darstellungen. Bis zu einer Tiefe von 20 Metern seien es weit über 80 Prozent. „Das ist verlorenes, totes Gebiet“, sagt er, „da kann man auch nichts retten oder irgendwie renaturieren.“ Von diesen Flachwassergebieten gebe es am Mittelmeer nicht sehr viele, da das Ufer an den meisten Stellen sehr steil abfalle.
Der Wissenschaftler sagt, in der Region Alpes-Maritimes sei mittlerweile ein Drittel der Küste verbaut. Gut zu erkennen ist das vom Vorplatz der Kathedrale von Monaco aus. Von dort fällt der Blick auf den Stadtteil Fontvieille. Bereits vor einem halben Jahrhundert wurden dort dem Mittelmeer schon einmal mehr als 20 Hektar Land abgerungen – es entstanden Wohnungen, zwei Jachthäfen und Parkplätze. Bis heute sind die Monegassen stolz auf dieses Projekt, das von Fürst Alberts im Jahr 2005 verstorbenen Vater Rainier vorangetrieben worden war.
Der Palast schweigt lieber
Damals, in den 1970er Jahren, arbeitete Alexandre Meinesz als junger Assistent an der Universität in Nizza. Als der Wissenschaftler von den Bauarbeiten erfuhr, schrieb er ziemlich empört direkt an Fürst Rainier und war erstaunt, als dieser ihm antwortete. Der Monarch hatte ein Einsehen und als eine Art Ausgleichsmaßnahme wurde am anderen Ende von Monacos Küstenstreifen das kleine Naturreservat Larvotto künstlich erweitert. Das ist ein Erfolg, auf den der ehemalige Professor noch heute sehr stolz ist. Doch auch dieser Rückzugsraum für Pflanzen und Tiere wird nun bedroht, denn der aus dem Meer gestampfte neue Stadtteil Anse du Portier wird direkt an das Schutzgebiet grenzen.
Kritik? Wegen der Baustelle? Keine Spur davon in Monaco. Natürlich gibt es auch in dem Zwergstaat am Mittelmeer eine Naturschutzorganisation. AMPN heißt der Verein. Ganz unabhängig scheint der aber nicht zu arbeiten. Fragen von Journalisten zum Projekt Mareterra werden direkt an die Pressestelle des Palastes weitergeleitet. Und dort sagt man lieber nichts dazu.