Müssen Eltern in Baden-Württemberg einen Teil der Kosten für den Schulbus bezahlen? Ja, finden die Gerichte im Südwesten. Nein, finden Eltern, die deswegen vor den Menschenrechtsgerichtshof ziehen.
Im Ringen um eine kostenlose Schülerbeförderung in Baden-Württemberg zieht eine Familie vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. „Ich habe eine Beschwerde beim EGMR eingereicht“, sagte der Rechtsanwalt der Klägerfamilie, Ingo-Jens Tegebauer, der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.
Konkret bemängeln die Kläger ihrem Anwalt zufolge, dass die Beteiligung an den Kosten für den Schulbus gegen das Recht auf Bildung verstoße, das in der europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist. Darin heißt es: „Niemandem darf das Recht auf Bildung verwehrt werden.“ Laut Tegebauer setzt die Beschwerde genau dort an. „Wenn man nicht in die Schule kommt, hat man nichts von diesem Recht, dann wäre das nur theoretisch“, sagte Tegebauer. Der EGMR habe aber schon allgemein festgestellt, dass die Rechte der Konvention nicht nur theoretisch seien, sondern auch effektiv sein müssten, so der Jurist.
Mehrere Eltern haben erfolglos geklagt
Unterstützt wird die Klägerfamilie aus dem Landkreis Tübingen von der Initiative „Eltern für Elternrechte“. Diese fordert, dass der Staat die Kosten für die Bus- oder Bahnfahrkarte zur Schule übernimmt. „Bei einer gesetzlichen Schulpflicht muss sichergestellt sein, dass Kinder die Schule auch kostenfrei erreichen können“, sagte Brigitte Reuther, Sprecherin der Initiative. Die Initiative fürchtet, dass Kinder teils wegen der Kosten für die Schülerbeförderung nicht auf die geeignetste Schule, sondern auf die nahegelegenste gehen müssten.
Mehrere Familien hatten – unterstützt durch die Elterniniative – in Baden-Württemberg bereits erfolglos gegen die Eigenbeteiligung an den Schülerbeförderungskosten geklagt. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte im Juli 2019 entschieden, dass die Eltern sich weiter an den Kosten beteiligen müssen und einen Anspruch auf Kostenfreiheit abgelehnt. Eine Verfassungsbeschwerde hatte der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg im Juli dieses Jahres als unzulässig zurückgewiesen.
Bis die Kläger eine Antwort aus Straßburg bekommen, dürfte noch einige Zeit vergehen. „Jetzt wird erstmal längere Zeit gar nichts passieren“, erklärte Anwalt Tegebauer. Bis die Klage von den Richtern in Straßburg geprüft worden sei, könnten viele Monate vergehen. Ein Sprecher des Gerichts sagte, man habe die Beschwerde bislang noch nicht registriert. Das könne mehrere Wochen dauern.
Kein Ende der Eigenbeteiligung
Sollte die Beschwerde nicht zurückgewiesen werden, schließt sich laut Tegebauer ein Verfahren mit mehreren Stellungnahmen der Bundesregierung und der Klägerseite an. Sollten die Richter am Ende tatsächlich eine Verletzung des Rechts auf Bildung sehen, würde das aber noch kein Ende der Eigenbeteiligung bei den Schülerbeförderungskosten bedeuten, so der Anwalt. Aber: „Mit dem Urteil könnte man dann in Deutschland die Verfahren wieder neu aufnehmen.“
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz im französischen Straßburg gehört zum Europarat. Die von der EU unabhängigen Organe setzen sich für den Schutz der Menschenrechte in den 46 Mitgliedstaaten ein. Zuletzt hatte sich der Gerichtshof unter anderem mit Menschenrechtsverletzungen in Russland, Ungarn oder der Türkei befasst. Russland wurde etwa wegen des Umgangs mit zwei Menschenrechtsaktivisten und die Türkei wegen mangelhafter Ermittlungen nach dem Tod eines Teenagers bei Protesten vor zehn Jahren in Istanbul verurteilt.