Der Blick zurück wird für Lance Armstrong immer unangenehmer: Die Karriere des früheren Radprofis basierte auf Lug und Trug. Foto: dapd

Er radelte mit dem damaligen US-Präsidenten George Bush durch die Gegend, hielt Vorträge vor den wichtigsten Wirt- schaftsbossen, sprach US-Soldaten im Irak Mut zu. Lance Armstrong war ein Sportheld. Nun droht dem früheren Radprofi, der seinen Dopingarzt zum Millionär machte, der tiefe Fall.

Colorado Springs - Am Abend, als sein Lügengebäude über ihm zusammenbrach, saß Lance Armstrong (41) daheim im Wohnzimmer. „Ich hänge mit meiner Familie ab“, twitterte er, „ungerührt.“

Dabei hätte Armstrong durchaus Grund gehabt, sich Sorgen zu machen. Große Sorgen. Bisher hatte der siebenmalige Tour-de-France-Sieger trotz aller Dopinggerüchte Unterstützer bis hinauf in höchste Kreise der Politik und Wirtschaft. Doch dies könnte sich schnell ändern. Schließlich gibt es nun keinen Zweifel mehr daran, dass Armstrong jahrelang betrogen hat, und das in bisher ungeahnter Dimension. „Es ist zweifellos das hochentwickeltste, professionellste und erfolgreichste Dopingprogramm, das die Sportwelt je gesehen hat“, sagt Travis Tygart, Chefermittler der US-amerikanischen Anti-Doping-Agentur (Usada), über das System Armstrong, „die Beweise sind stärker als stark. Sie sind aussagekräftiger als in jedem anderen unserer Fälle.“

Die Usada hat ihre Anschuldigungen auf 202 Seiten aufgelistet und an den Radsport-Weltverband (UCI) geschickt, sie stellte zudem mehr als 1000 Seiten aus ihren Akten ins Internet – Zeugenaussagen, E-Mails, Bankauszüge, Gerichtsprotokolle, Labortests. „Armstrong handelte mit Hilfe einer kleinen Armee an Unterstützern, einschließlich Dopingärzten und Drogenschmugglern“, heißt es in dem Bericht, „Armstrong hatte nicht nur Kontrolle über seinen eigenen Drogenkonsum, der extensiv war, sondern auch über die Dopingkultur im Team.“

Armstrong förderte und forderte Doping im eigenen Rennstall

Diese Aussage wird gestützt von 26 Zeugen, darunter 15 Radprofis, ein Teil von ihnen noch aktiv. Der Veröffentlichung des Usada-Berichts folgten Dopinggeständnisse von George Hincapie (BMC), Michael Barry (Sky/beide gerade zurückgetreten), Levi Leipheimer (Quickstep), Christian Vande Velde, Tom Danielson und David Zabriskie (Garmin), die für sechs Monate gesperrt wurden. Sie gehörten einst zu Armstrongs US-Postal-Team, wie auch die geständigen Tyler Hamilton oder Floyd Landis. Ihre Aussagen decken sich: Im Rennstall wurde mit allem gedopt, was die Medizin hergab – Epo, Eigenblut, Testosteron, Wachstumshormon, Kortison. „Die Athleten schilderten ihr Dilemma“, sagt Tygart, „dope oder du kannst nicht am Wettbewerb auf höchstem Niveau teilnehmen. Das ist eine tragische Wahl, kein Sportler sollte sie treffen müssen.“

Nun muss niemand Mitleid haben mit dopenden Radprofis, von denen viele der Meinung sind, dass sie ohnehin nur tun, was alle im Peloton tun. Aber bei US Postal ist der Druck besonders groß gewesen. Armstrong förderte und forderte Doping im eigenen Rennstall. Hamilton soll er in einem Restaurant bedroht („Wir machen dein Leben zur verdammten Hölle“) und Leipheimers Ehefrau einschüchternde SMS geschickt haben.

Gleichzeitig perfektionierte er sein System, zu dem zum Beispiel der „Motoman“ gehörte – ein französischer Motorradfreak, der dafür verantwortlich war, die Drogen immer rechtzeitig zu den jeweiligen Etappenorten zu bringen. Der medizinische Kopf hinter der verbotenen Leistungssteigerung war Michele Ferrari. Der italienische Arzt, Spitzname „Dottore Epo“, ließ sich dafür fürstlich entlohnen – Armstrong machte ihn zum Millionär. Belegt sind elf Geldzahlungen zwischen 1996 und 2006 in Höhe von 1,02 Millionen Dollar (788 000 Euro). Und auch danach hatte Armstrong noch Kontakt zu Ferrari. Allerdings war er nun laut Usada etwas vorsichtiger – und bezahlte bar.

Weshalb ist Armstrong nie aufgeflogen?

Die US-Behörde ist überzeugt davon, dass Armstrong auch nach seinem Comeback im Jahr 2009 munter weiterdopte. Die Usada ließ 32 Bluttests aus dieser Zeit durch einen unabhängigen Wissenschaftler nachuntersuchen. Das Ergebnis: Besonders während der Tour 2009, als Armstrong Dritter wurde, sei ein Absinken der roten Blutkörperchen festgestellt worden – ein Indiz für eine Eigenbluttransfusion. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Armstrongs Werte natürlicher Herkunft sind“, erklärt Gutachter Christopher Gore, „liegen bei eins zu einer Million.“

Bleibt die Frage, weshalb Armstrong, der gerne betont, bei 500 Dopingtests nie positiv gewesen zu sein, trotzdem nie aufgeflogen ist? Schon länger wird der UCI vorgeworfen, Mitwisser zu sein und Armstrong beschützt zu haben. So soll Armstrong bei der Tour de Suisse 2001 positiv auf Epo getestet worden sein und ein Schweigegeld von 100.000 Euro bezahlt haben. Nun muss der Weltverband innerhalb von drei Wochen entscheiden, ob er Armstrong die sieben Tour-Siege aberkennt oder vor den Internationalen Sportgerichtshof (Cas) zieht. Egal, was die UCI tun wird, für Anti-Doping-Kämpfer Werner Franke steht fest: „Der Radsport ist in sich selbst korrupt, dafür gibt es jetzt endlich gültige Aussagen von Zeugen.“

Mit diesen muss sich nun auch Armstrong abfinden. Am Abend, als sein Lügengebäude einstürzte, verlinkte er in einem Tweet ein Lied des verstorbenen US-Musikers Elliot Smith. In „Coming up Roses“ heißt es: „Die Dinge, die du dir selbst erzählst, werden dich mit der Zeit zur Strecke bringen.“ Armstrong, so ist zu vermuten, hat dabei an die Kronzeugen gedacht, nicht an sich selbst. Dabei ist die Lage für ihn viel ernster.