Claus-Dieter Wehr (61) ist seit Juni 2015 Chef des Bodensee-Airports. Foto: Constantin Blaß

Die Flughafen in Friedrichshafen ist der südlichste in Deutschland - und einer der kleinsten. Es geht am Bodensee familiär zu. In Zukunft könnte er vor allem von klimaneutralen Flügen profitieren.

Seit Juni 2015 ist der gebürtige Frankfurter Claus-Dieter Wehr (61) Geschäftsführer am Flughafen in Friedrichshafen. Die letzten sieben Jahre waren durchaus turbulent. Gleich mehrere Airlines gingen insolvent – und spätestens in Folge der Corona-Pandemie stand der Bodensee-Airport wirtschaftlich unter großem Druck.

Durch eine Insolvenz in Eigenverwaltung (Februar 2021 bis März 2022) stellte sich der südlichste Flughafen Deutschlands neu auf. Und mittlerweile gibt es durchaus Grund für optimistische Zukunftsperspektiven. Claus-Dieter Wehr über das derzeitige Flugchaos an vielen deutschen Flughäfen, die Lufthansa-Verbindung nach Frankfurt, Wachstumschancen und den kürzesten Linienflug der Welt.

Herr Wehr, allein die Lufthansa hat 5000 Flüge in den Sommermonaten gestrichen. Inwiefern ist der Bodensee-Airport vom Flugchaos betroffen?
Claus-Dieter Wehr: Bei uns als kleinerem Flughafen funktionieren die Prozesse. Alles ist eingespielt – auch mit den Dienstleistern. Insofern würden mich Szenen wie an einigen NRW-Flughäfen bei uns wundern. In Baden-Württemberg sind die Passagierkontrollen in Verantwortung der Regierungspräsidien und ebenso wie in anderen Bundesländern an private Sicherheitsunternehmen vergeben. Wir haben aber den Eindruck, dass die Abstimmung deutlich besser und umsichtiger funktioniert, als es derzeit in Nordrhein-Westfalen, wo die Bundespolizei die Aufgabe an Sicherheitsfirmen abgetreten hat, der Fall ist.

Haben Sie denn genug Personal?
Wehr: Über unendlich viel Personal verfügen wir auch nicht. Wenn wir einen Corona-Ausbruch hätten, könnte es eng werden. Da sind wir dann von der Flexibilität unserer Mitarbeiter abhängig. Aber bei uns ist es wie in einer Familie, da hilft man sich gegenseitig aus, soweit es rechtlich zulässig ist.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in der Luftfahrt?
Wehr: Das schmerzt schon. Der Passagier leidet. Entweder wird sein Flug gestrichen, er verpasst den Flug oder sein Gepäck kommt nicht an den Zielort. Das ist ein Riesenärgernis. Der Reisebedarf und die Nachfrage sind da, aber unsere Branche kann es nicht situationsgerecht bedienen. Sie limitiert das Angebot, damit das Angebot überhaupt klappt. Das ist höchst problematisch. Ich habe aber Verständnis für die Maßnahmen. Ohne sie würden wir sehenden Auges in ein noch größeres Chaos hineinlaufen.

Flughafen Friedrichshafen: Lufthansa-Strecke nach Frankfurt auf der Kippe

War der Bodensee-Airport von den Lufthansa-Streichungen betroffen?
Wehr:
Ja, leider hatten auch wir Kollateralschäden. Die Lufthansa hat die Strecke von Friedrichshafen nach Frankfurt ins Drehkreuz gestrichen. Am 29. Juli wird erstmals seit drei Wochen wieder ein Lufthansa-Flieger nach Frankfurt abheben. Wir sind froh, dass wir von den Streichungen nur temporär betroffen waren und unser Appell, das Aussetzen der Strecke kurzfristig zu korrigieren, gehört worden ist. Es war jedoch richtig, dass die Lufthansa und der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport Wert darauf gelegt haben, dass das System funktioniert.

Besteht die Gefahr, dass Friedrichshafen die Strecke wieder verliert?
Wehr:
Das hoffe ich nicht. Es liegt derzeit rein an der Thematik Frankfurt. Wenn 5000 Flüge gestrichen werden, ist es klar, dass es nicht spurlos an Friedrichshafen vorbeigeht. Wir sind mit der Lufthansa im regen Kontakt und haben auch darauf hingewiesen, dass man auf unsere Region besonders achtgeben muss. Wir sind auf die Flugverbindung angewiesen, da wir hier keinen ICE-Anschluss, also keinen Ersatzverkehr haben. Ich hätte damit leben können, wenn Lufthansa die Flüge reduziert und nicht komplett ausgesetzt hätte. Aber wir sind zufrieden, dass wir bis zu drei Mal pro Tag wieder Anschluss ans Drehkreuz in Frankfurt erhalten haben.

An der Auslastung der Strecke lag die kurzfristige Streichung nicht?
Wehr:
Nach Corona hat die Auslastung stetig zugelegt. Wir haben mit zwei Flügen pro Tag begonnen, dann sogar einen Nacht-Stopp erhalten, was für Tagesreisende komfortabel ist. Danach wurde auf bis zu vier Frequenzen pro Tag aufgestockt, im Durchschnitt auf drei Flüge. Das ist ein Zeichen, dass es gut funktioniert hat.

Sind die Probleme bei der Lufthansa und Fraport hausgemacht?
Wehr:
Ich kann und möchte nicht für diese beiden Unternehmen sprechen. Bei uns haben wir nach Corona auch Personal verloren, vor allem bei den Aushilfen. Die Mitarbeiter sind mittlerweile in ihren Stammjobs so gefordert, so dass sie ihren Zusatzjob nicht mehr wahrnehmen können. Derzeit finden wir aber Gott sei Dank genug Leute. Direkt eingesetzt werden können sie aber auch nicht, da die Zuverlässigkeitsüberprüfung absolviert werden muss. Und die dauert vier bis acht Wochen. Wir haben sicherheitshalber auch Kapazitäten für ausländische Unterstützung bei der Bundesregierung angemeldet. Derzeit läuft bei uns aber alles und ich muss schauen, dass ich bei den vielen Neueinstellungen noch alle Leute kenne, die bei uns arbeiten.

Bodensee-Airport: Insolvenz in Eigenverwaltung abgeschlossen

Sie haben am Bodensee-Airport 2018 540.000 Passagiere abgefertigt. Danach nahm der wirtschaftliche Druck enorm zu.
Wehr: 2018 war das einzige ruhige Jahr für uns. Ansonsten hatten wir immer mit Schwierigkeiten unserer Kunden zu tun. 2019 ist der Verkehr wegen der Insolvenz der Germania auf ca. 489.000 Passagiere geschrumpft. Und selbst das war ein Erfolg, denn Germania zeichnete für ein Drittel der Passagiere verantwortlich. Wir haben damals relativ viel schnell ersetzen können, wirtschaftlicher Druck ist bei uns aber normal.

Im Februar 2021 mussten der Flughafen Insolvenz in Eigenregie anmelden.
Wehr:
Ja, nach der Insolvenz der Germania konnten wir gewisse Kennzahlen nicht mehr erfüllen. Die Corona-Jahre 2020 und 2021 haben uns ebenfalls zu schaffen gemacht. In der Konsequenz mussten wir Insolvenz in Eigenverwaltung anmelden, seit April 2022 sind wir aber schon wieder im Normalbetrieb. In dieser Zeit haben wir uns massiv mit der Finanzierung des Flughafens und dem europäischen Beihilferecht beschäftigt. Mittlerweile haben wir schon verschiedene Projekte umgesetzt, zum Beispiel den Duty-Free-Shop in Eigenregie neu eröffnet. Wir schauen nach vorne.

Wann ist die „schwarze Null“ realistisch?
Wehr:
Beim operativen Ergebnis (EBITDA vor Abschreibung und Zinsen) wollen wir bis 2025 eine „schwarze Null“ schreiben. Bis auf das Jahr 2019 waren wir operativ immer im positiven Bereich zwischen einer und zwei Millionen Euro. Nach Abschreibung und Zinsen ist es für kleine Regionalflughäfen extrem schwierig, Investitionen voll aus dem laufenden Geschäft zu bestreiten und eine „schwarze Null“ zu schreiben.

Hat der Flughafen Betriebsbeihilfen, die nur noch bis 2024 gezahlt werden, erhalten?
Wehr:
Nein, der Flughafen Friedrichshafen hat sie noch nie erhalten, weil wir operativ quasi immer im Plus gewesen sind. Es gibt jedoch andere Flughäfen wie Saarbrücken oder auch der BER in Berlin, die auf diese Unterstützung angewiesen waren oder es noch sind.

Flughafen Friedrichshafen: Klimaneutraler Luftverkehr zuerst am Bodensee?

Wie positioniert sich der Bodensee-Airport im Geschäft mit den Großen aus Stuttgart oder auch Zürich und der Billigflieger-Heimat Memmingen?
Wehr: Wir schauen, dass wir die Nachfrage der Region bedienen. Drehkreuzverbindungen spielen dabei eine Rolle, etwas weniger die Angebote von Low-Cost-Carriern. Für die Wirtschaft und Privatreisende ist die Verbindung nach Frankfurt wichtig, da unsere Region ohne Autobahnanschluss und ohne Schnellbahn-Verbindung verkehrlich relativ schwach angebunden ist. Ohne den Flughafen wäre die Bodensee-Region für einige Firmen nicht so attraktiv. Aber auch die touristischen Verbindungen sowie die Low-Cost-Verkehre nach Osteuropa sind für die Region und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Firmen wichtig. Für uns könnte sich jedoch in nicht mehr ferner Zukunft eine ganz neue Möglichkeit ergeben…

Welche?
Wehr: Ich bin überzeugt davon, dass klimaneutraler Luftverkehr zuerst im Regionalflugsegment Einzug halten wird. Da werden wir als regionaler Flughafen schneller eine Rolle spielen als die großen.

Konkret: Wie wird sich die Luftfahrt bis 2050 entwickeln?
Wehr:
Ich glaube an eine Vernetzung der Verkehre, an Direktverbindungen mit Fliegern, die klimaneutral unterwegs sind. Größere Flugzeuge benötigt man nur noch für größere Distanzen. Wenn derzeit Flugzeuge mit einer Kapazität von >30 Sitzen und klimaneutralen Antrieben entwickelt werden, dann ist das für unseren Flughafen sehr interessant. Schon bis 2026 könnten einige Anbieter beim batteriebetriebenen Fliegen in die betriebliche Serienreife gehen. Ein Flug mit der Brennstoffzelle wird vor 2035 bis 2040 nicht in die Serie gehen. Wenn der elektrische Strom klimaneutral erzeugt wird, dann sehe ich eine tolle Perspektive für die Luftfahrt.

Luftfahrt wohl doch nicht so schädlich – bei ganzheitlicher Betrachtung

Machen batteriebetriebene Flugzeuge oder welche mit Brennstoffzelle das Rennen?
Wehr:
Flieger, die nur Elektrizität benötigen, werden schneller in der Luft sein. Mit der Brennstoffzelle wird es bezüglich Zertifizierung noch anspruchsvoller. Allein der Sicherheitsaspekt wird spannend sein zu lösen: Wie gehen wir zum Beispiel mit Tanks um? Interessant ist auch, ob sich Lilium und Volocopter durchsetzen können. Beide starten senkrecht. Aber auch für derartige Anbieter könnten wir ein interessanter Knotenpunkt bzw. zumindest ein Knötchen sein.

Ist der Luftverkehr im Vergleich zur Schiene nicht ohnehin im Vorteil, da es viel zu lange dauert, Schienen zu verlegen?
Wehr: Wenn Kurzstrecken klimaneutral möglich sind, dann haben wir eine sehr gute Lösung. Ohnehin muss der Umweltgedanke ganzheitlich gedacht werden. Da geht es auch um den Flächenverbrauch. Mit acht Kilometern Runway, d.h. zum Beispiel, um großzügig zu rechnen, mit vier Kilometern am Startflughafen und vier Kilometern am Zielflughafen, überbrücken wir eine Distanz von z.B. 800 Kilometern. Ein Zug benötigt dafür 800 Kilometer Schienentrasse, von Tunnel- und Brückenbauwerken ganz zu schweigen. Daran wird deutlich, dass der Luftverkehr doch nicht so schlecht aussieht.

Wo sehen Sie Wachstumsmöglichkeiten für den Bodensee-Airport?
Wehr: Die Nachfrage nach Mallorca ist fast permanent vorhanden. Nachdem wir in 2021 Palma de Mallorca nicht im Programm hatten, bieten wir die Strecke in diesem Jahr täglich an, am Samstag sogar zwei Mal. Im touristischen Bereich gibt es noch Möglichkeiten. Im Winter könnte es auch wieder eine Verbindung nach Großbritannien geben. Über Friedrichshafen in die Arlberg-Region, das wäre wieder was.

Und innerdeutsche Flüge?
Wehr: Da sind Düsseldorf, Hamburg und Berlin interessant. Aber eine Fluggesellschaft zu finden, die die Strecke mit dem passenden Fluggerät wirtschaftlich bedienen kann, ist nicht so einfach. Berlin ist dabei die anspruchsvollste Strecke, da sich die Nachfrage vor allem auf das Wochenende bezieht. Hier ist die Nachfrage von Privatreisenden und Geschäftsreisenden gleich groß. Realistisch ist ein Wachstum im Segment des Geschäftsreiseverkehrs erst, wenn das Niveau von 2019 wieder erreicht wird. Das wird aber noch andauern.

Gibt es eine Traumverbindung, die Sie unbedingt nach Friedrichshafen holen wollen?
Wehr: Nein. Da bin ich bodenständig. Das Wichtigste ist, dass die Verbindungen nachhaltig sind und stabil laufen.

Also kein von Friedrichshafen nach New York?
Wehr:
Da bin ich zu realistisch. So eine Strecke kann sich nicht rentieren. Ich träume lieber vom klimaneutralen Fliegen. Da möchte ich gerne Vorreiter sein und das unbedingt hinbekommen.

Gibt es für den Bodensee-Airport beim Passagier-Wachstum eine Grenze?
Wehr:
„The sky is the limit…“ – Spaß beiseite, wir sind realistisch unterwegs. Früher gab es eine Diskussion über eine bis zu 1,5 Millionen Passagieren. 600.000 bis 700.000 Passagiere sind realistisch, wenn wir alles ausschöpfen, im vernünftigen Rahmen bleiben und nicht nur im Low-Cost-Bereich tätig sind. Einen ruinösen Wettbewerb mit Memmingen will niemand. Das wäre unsinnig. In diesem Jahr werden wir voraussichtlich um die 300.000 Passagiere abfertigen.

Sind Sie froh, dass Ryanair nicht mehr am Bodensee-Airport ist?
Wehr:
Ich war damals noch nicht hier, als Ryanair weggegangen ist. Wir sprechen mit allen Fluggesellschaften, mit Ryanair bzw. Laudamotion sind wir 2021 nicht zusammengekommen. Dabei ist die Palma-Verbindung eigentlich ein Muss für jeden Flughafen. Aber die gescheiterten Gespräche mit Ryanair haben dazu geführt, dass wir in diesem Jahr Condor als Kunden haben. Und Condor hat eine gute Reputation, ist der deutsche Charter-Carrier.

Und wann gibt es wieder Linienflüge direkt über den Bodensee nach Altenrhein?
Wehr:
Die Verbindung wird wohl nicht mehr wiederkommen. Ich bin die Strecke über Altenrhein nach Wien einmal geflogen. Das war mit Peoples herrlich. Und der achtminütige Flug von Friedrichshafen nach Altenrhein ist natürlich legendär. Wir waren damals schon skeptisch, aber medial war diese Strecke weltweit ein Hit.

Vor Jahren gab es auch eine Verbindung von Friedrichshafen in die Dominikanische Republik nach Puerto Plata.
Wehr: Stimmt, das war mit einer Boeing 767, die über München in die „DomRep“ geflogen ist. Das würde es heute nur noch mit Sondergenehmigung geben.

Zur Person: Daten zu Claus-Dieter Wehr

Claus-Dieter Wehr (1961) ist seit Juni 2015 CEO des Bodensee-Airports. Zuvor verantwortete er verschiedene Positionen im Technischen Betrieb der Swissair (1990-2002), leitete als Geschäftsführer die Condor Flugdienst GmbH in Kelsterbach bei Frankfurt (2002-2005) und verantwortete als Geschäftsführer am Flughafen Hamburg (2005-2013) die Bodenverkehrsdienste und den Einzelhandels- und Gastronomiebereich. Bis zu seinem Start in Friedrichshafen war Wehr als Berater in der Luftfahrtindustrie tätig.

Friedrichshafen Flughafen: fünf Airlines in sieben Jahren insolvent

  • Der Flughafen Friedrichshafen (FDH) ist der zweitälteste und südlichste Airport in Deutschland. 1913 wurde er eröffnet, zwei Jahre nach dem Hamburger Flughafen.
  • Im Kalenderjahr 2021 wurden 125.150 Passagiere abgefertigt, vor Corona waren es 540.782, in der Spitze sogar 657.749 (2006).
  • In den vergangenen sechs Jahren hatte der Bodensee-Airport Pech mit seinen Kunden: Im November 2015 musste der Homecarrier InterSky Insolvenz anmelden. Im Juni 2016 beantragte der Nachfolger VLM Airlines (aus Belgien) Insolvenz, Air Berlin flog im Oktober 2017 das letzte Mal, das Aus für Germania erfolgte im Februar 2019, und für die deutsche Tochtergesellschaft der Sun-Air of Scandinavia war im Januar 2021 Schluss.