Seit einem Jahr treffen sich Bürger zum Friedensgebet. Foto: Cools

Es ist der 24. Februar 2022. Der Überfall auf die Ukraine versetzt Menschen auf der ganzen Welt in Schock. Bereits am nächsten Tag wollen Oberndorfer Bürger ein Zeichen setzen. Sie ziehen in Massen durch die Straßen. Das Friedensgebet war geboren.

Dass man ein Jahr später immer noch jeden Freitag um 18 Uhr an der St.-Michael-Kirche zusammenkommen würde, hatte wohl niemand gedacht. „Ich hatte damals die Befürchtung, dass der Krieg noch lange gehen könnte. Aber wirklich daran geglaubt habe ich nicht“, sagt ein Bürger, der nahezu bei jedem Friedensgebet dabei war. Auch für die Organisatoren des Friedensgebets war das ein unvorstellbarer Gedanke, der nun bittere Realität geworden ist.

80 Teilnehmer

Organisiert und inhaltlich gestaltet wird das Friedensgebet von Pfarrer Martin Schwer, Pfarrerin Birgit Henschel sowie Thorsten Sosinski und Andreas Kussmann-Hochhalter. Am Morgen des 24. Februars erfuhren sie vom russischen Angriff auf die Ukraine. Für sie war klar: Sie wollen gegen den Krieg öffentlich protestieren. Innerhalb eines Tages trommelten sie rund 80 Menschen zusammen, zündeten Kerzen an und zogen singend durch die Straßen. Inzwischen hat sich eine treue Schar von 20 Bürgern eingefunden, die nahezu immer dabei sind, bei Wind und Wetter.

Krieg ins Bewusstsein rufen

Ein Oberndorfer Ehepaar ist auch fast jeden Freitag dabei: „Das Friedensgebet ruft den Krieg immer wieder ins Bewusstsein der Menschen“, sagen sie. „Der Krieg geht uns alle an, auch wenn er in weiter Ferne ist“, sagt ein anderer Teilnehmer.

Inzwischen zieht man nicht mehr durch die Straßen. Dafür hat sich der Inhalt gewandelt. Es geht mehr nur um den Ukraine-Krieg, auch welt- und innenpolitische Themen werden in den Redebeiträgen zwischen den Liedern und Gebeten angesprochen. Die Verbrechen des Dritten Reichs wurden beispielsweise am Holocaust-Gedenktag thematisiert. Das Erdbeben in Syrien und der Türkei war ebenfalls Thema in jüngster Vergangenheit.

Demonstrative Andacht

Aus dem Friedensgebet wurde eine demonstrative, politische und informierte Andacht, so die Organisatoren. Dabei galt es eine Balance zu finden: Die Veranstaltung sollte nicht zu christlich sein, schließlich stehe das Friedensgebet für alle Menschen offen, erklärt Pfarrer Schwer. Durch die Redebeiträge sei dieser Balance-Akt gelungen, so Kussmann-Hochhalter. Man habe regelmäßig Teilnehmer, die weder gläubige Katholiken oder Protestanten sind.

Am morgigen Freitag, dem Jahrestag des Kriegsausbruchs, wird es um Bidens Besuch in Kiew und Putins Rede zur Lage der Nation gehen. Das Gebet findet in der Kirche statt, Michael Link wird die Lieder auf der Orgel begleiten.

Zum Abschluss wird ein Hoffnungslied gesungen. Doch mit einem baldigen Ende des Kriegs rechnen weder Schwer noch Kussmann-Hochhalter. Und selbst wenn eines Tages Frieden einkehrt. Es gebe vieles im Nachgang aufzuarbeiten, das Friedensgebet werde wohl auch danach noch stattfinden und dann allmählich ausklingen, so Pfarrer Schwer.